Korruption kann lustvoll sein

Jenseits von Alt-68ern und Kaviar-Linken Der kanadische Film "Invasion der Barbaren" konfrontiert die redseligen Figuren aus "Der Untergang des amreikanischen Imperiums" mit ihren mittlerweile erwachsenen Kindern

Ihren selbstgefälligen Zynismus haben sie auch beinahe 20 Jahre später nicht verloren, ihr Kulturpessimismus findet nach wie vor reichlich Anlass, nur ihr libidonöser Elan hat merklich nachgelassen. Es steckt noch immer eine irritierende Frivolität im Scharfsinn, mit dem sie die Widersprüche der Gesellschaft (und erst recht die eigenen) enthüllen und dabei nonchalant über die Gefühle der Anderen verfügen. Die eigenen, intimen Bekenntnisse tarnen sie weiterhin kokett als funkelnde Epigramme. Und das Scheitern der großen gesellschaftlichen Utopien würden sie auch heute nicht sich selbst anlasten. Wer hätte gedacht, dass die Wiedersehensfreude mit den drei Männern und den drei Frauen aus Der Untergang des amerikanischen Imperiums so groß sein würde?

Sie hatten sich in der Zwischenzeit ein wenig aus den Augen verloren, waren sich beinahe ganz abhanden gekommen. Wenn ihr Autor und Regisseur Denys Arcand sie nun in Invasion der Barbaren wieder versammelt, tut er es unter dem Vorzeichen der Melancholie. Der lüsterne Geschichtsprofessor Rémy (Rémy Girard) der schon damals als unvermutet erfolgreicher Schürzenjäger im Zentrum des frivol-intellektuellen Gefühlsreigens stand, hat Krebs im Endstadium. Der Untergang des amerikanischen Imperiums ist der weltweit erfolgreichste kanadische Film, zumal auf das Publikum in Westdeutschland (wo er 1987 unverhofft stattliche 1,2 Millionen Zuschauer anlockte) hatte er eine besondere Anziehungskraft. Sie mag sich daraus erklären, dass Arcands Ensemblefilm gut als Gegenentwurf zur verzagt-selbstgerechten Nabelschau hiesiger Alt-68er funktionierte und als ein Mittelweg jenseits der Kaviarlinken Frankreichs. Auch die geopolitische Randlage seines Heimatlandes, auf die der Titel anspielte, wird ideologisch entlastend gewirkt haben: dass die Welt so ungerecht eingerichtet ist, mochte man den mächtigen nordamerikanischen Nachbarn, nicht aber Arcands Helden vorhalten.

Vor allem war es jedoch ihr einnehmender, wenn auch nicht schuldfreier Hedonismus, der Arcands Helden attraktiv machte: sie schienen letztlich gegen alle ideologischen Anfechtungen imprägniert durch ihre Libertinage und ihren Freundschaftssinn. Schon damals legte Arcand sein Ensemble nicht als Mikrokosmos der Gesellschaft an, sondern als Schutzbündnis. Ein exklusives Gemeinschaftsgefühl herrschte in diesem Akademikerzirkel, dessen herablassende Gelehrsamkeit ein patentes Mittel war, um Abstand zu halten zum vorrangig von ihren Studenten verkörperten Kulturverfall. Es wäre damals wie heute ein Leichtes für Arcand, ihre Herablassung als blanke Furcht vor der nächsten Generation zu entlarven. Er jedoch feiert ihre Beredsamkeit als Vergewisserung der eigenen Vitalität, unverzichtbar, da ihr Lebenshunger allmählich ins Stadium der Nostalgie zu entrücken droht.

Damals war das Parlieren über die eigenen Eskapaden wichtiger, als die Erlebnisse selbst: nicht nur als Prahlerei, sondern als zusätzlicher, exquisiter Sinnenrausch. Nun kreisen ihre Debatten weniger um die Segnungen der sexuellen Revolution, sondern um den Abgrund, der sie von den nächsten Generation, mithin den eigenen Kindern trennt (für die übrigens die Libertinage der Eltern nicht das reine Vergnügen war).

Arcand überlistet seine alten Hauptfiguren, in dem er die Kindergeneration allmählich eine heilsame Kraft entfalten lässt. Sie führen vor, wie die Werte sich umkehren, die Konturen von richtig und falsch verschwimmen. Am Ende seines Lebens entdeckt Rémy, zunächst widerwillig, ein neues Lustprinzip: den Segen der Korruption. Es ist ein großes, nicht nur komplizenhaftes Vergnügen zuzuschauen, wie souverän sein entfremdeter Sohn Sébastien (Stéphane Rousseau) dafür Sorge trägt, dem Vater die letzten Tage so erträglich wie möglich zu gestalten. Mit freundlicher Gelassenheit macht er der Krankenhausverwaltung und dubiosen Gewerkschaftlern ein Angebot, das sie nicht ausschlagen können. Dazu braucht er weder Drohgebärden noch Arroganz, ja, es mag letztlich womöglich nicht einmal das Geld selbst sein, das seine Gegenüber verlockt: Es ist, als spürten sie insgeheim, dass sich in dieser neoliberalen Selbstgewissheit allmählich eine tiefe Sohnesliebe offenbart. So bringt ihn sogar der Drogenfahnder hilfsbereit auf die Spur des Dealers, von dem dann Nathalie, die heroinsüchtige Tochter eines der Freunde, den schmerzlindernden Stoff besorgt.

Das Verwerfliche verführerisch erscheinen zu lassen, ist eine nicht zu unterschätzende filmische Disziplin. Mit großzügiger, warmherziger Ambivalenz umfängt Arcand seine Figuren. Er achtet die private, auch korrupte Moral. Die Versöhnlichkeit, mit der er das Sterbeidyll ausmalt, bleibt redlich, verrät sie doch den unbedingten Willen, seine Figuren zu lieben. Sie hat wenig gemein mit dem sterilen Harmoniebedürfnis, das in vergleichbaren Hollywoodproduktionen herrscht. Die Heiterkeit, die sich über dieses filmische Requiem legt, ist eine schwebende; sie ist nicht dingfest zu machen, sondern nur zu erfühlen.


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