Isabelle tut etwas, das sich für moderne Kinoheldinnen eigentlich nicht gehört: Sie weint oft. Enttäuschungen, Kränkungen und Blessuren pariert man heute in aller Regel streitbarer. Aber die Heldin von Claire Denis’ neuem Film ist nah am Wasser gebaut. Die Liebe spielt der Künstlerin um die Fünfzig übel mit. Also vergießt sie stille, verschwiegene Tränen, die deren Verursacher vielleicht noch nicht mal bemerken.
Das ist keine drollige Verzweiflung wie in handelsüblichen Rom-Coms. Isabelles (Juliette Binoche) Tränen sind eine körperliche Reaktion, was bei der Regisseurin, die ein eminent physisches Kino dreht, immer auch eine moralische Dimension besitzt. Sie misstraut den Worten, weshalb bei ihr stets die Körper beredt und wahrhaftig sein müssen. Indem Isabelle ihre Verletzbarkeit offenbart, steht sie zugleich selbstbewusst für ihre Gefühle ein. Sie ist eine Serien-Romantikerin, die mit wackerer Verzagtheit das Glück sucht. Ihrem Begehren scheint allzu oft die Vorsilbe „Auf“ zu fehlen. Das ist ein Mangel, den ein zeitgenössisches Publikum erst einmal aushalten muss. Zu einer feministischen Heldin taugt Isabelle vorerst nicht. Aber Denis ist eine Filmemacherin, die sich nicht von Ismen vereinnahmen lässt, sondern stets auf eigene Rechnung erzählt.
Meine schöne innere Sonne stellt in ihrem Werk einen erstaunlichen Registerwechsel dar. Die Regisseurin, die in Filmen wie Ich kann nicht schlafen, Trouble Every Day und Beau Travail die dunklen Randzonen des Begehrens erkundet hat, begibt sich auf unbekanntes Terrain. Es ist ihre erste Komödie; keine lupenreine, sondern eine fast depressive, sozusagen trotzig vergnügliche Komödie. Die Galerie zeitgenössischer Männlichkeit, an die Isabelle gerät, ist ziemlich lächerlich. Den Reigen eröffnet ein regelrechtes Scheusal, ein zynischer, hedonistischer Bankier (Xavier Beauvois). Sodann gerät sie an einen alkoholsüchtigen Schauspieler, der auch beim Rendezvous noch Regieanweisungen braucht (Nicolas Duvauchelle).
Zu blasiert, zu schüchtern
Ferner hat sie mit ihrem verbitterten Ex-Mann zu tun, der sie gern zurückhaben würde (Laurent Grévill) sowie mit zwei Galeriebesitzern, der eine zu blasiert (Bruno Podalydès), der andere zu schüchtern (Alex Descas), als dass die Funken wirklich fliegen könnten. Allen ist gemeinsam, dass sie eitel, selbstmitleidig und vor allem große Zauderer sind. Es geniert den Zuschauer jedes Mal gehörig, dass Isabelle ihnen nicht gleich sofort den Laufpass gibt.
Bislang war das Zögern der Männer in Denis’ Filmen tatkräftiger und entschlossener. Einzig den jungen Fremden (Paul Blain), in dessen Arme sie sich beim Tanzen in einem Provinz-Nachtclub fallen lässt, nachdem er einen mutigen Blick auf das Dekolleté der Pariserin geworfen hat, kann man sich in einem ihrer früheren Film vorstellen. Das Drehbuch hat Denis zusammen mit der Romanautorin Christine Angot geschrieben, die berühmt und gefürchtet ist für die schonungslose Schilderung persönlicher Erlebnisse (Inzest). Gemeinsam finden beide zu einem leichtfüßigen, ironischen Tonfall, in dem doch ungebrochene Romantik durchscheint. Ursprünglich wollten die Frauen Roland Barthes’ Fragmente einer Sprache der Liebe adaptieren, was an Rechteproblemen scheiterte. Barthes’ Titel darf man als gleichsam strukturelle Inspirationsquelle des Films im Hinterkopf behalten.
Die Liebe ist eine listige Fallenstellerin in Meine schöne innere Sonne. Die Episoden spielen das Thema im Wechsel von Wiederholung und Variation durch. Die Genrekonvention der romantischen Begegnung spart Denis aus – mit der bezeichnenden Ausnahme des Unbekannten aus der Provinz. Die Anbahnung hat schon stattgefunden, Isabelle ist bereits geworfen in den Widerstreit zwischen Versprechen und Zweifel und muss am Ende unweigerlich Federn lassen. Aber jede Affäre, auf die sie sich einlässt, gibt eine Antwort auf die vorangegangene. Darin liegt eine zuversichtliche Dynamik; die Aussicht eines Dazulernens ist nicht ausgeschlossen. Zumindest kommt Denis’ Heldin nach jedem Liebesfiasko wieder auf die Beine. Binoche verleiht ihr eine wehrhafte Verletzbarkeit.
Die magnetische Sinnlichkeit, die Denis und ihre bewährte Kamerafrau Agnès Godard den bisherigen Filmen gaben, lag in der Neugierde, mit der sie sich fremden Welten näherten. Sie besaß eine geografische Reichweite (es wurde auf drei Kontinenten gedreht) wie eine geschlechtliche (die Faszination von selbstverständlicher Virilität). In Meine schöne innere Sonne, wo sie lauter Figuren in den Blick nehmen, denen es an Eigentlichkeit gebricht, entdecken die beiden ein anderes Faszinosum. Das Objekt ihrer Schaulust ist die Verliebtheit. Denis und Godard betrachten sie emphatisch: als ein Abenteuer des Alltags.
Dabei ist die romantische Komödie auch insofern ein heikles Terrain, weil darin, zumal in Frankreich, die vornehmliche Handlung der Sprechakt ist. Denis ist schlecht geeignet für Konversationskino. Sie zieht ihm einen doppelten Boden der Choreografie ein. Der Kern ihres filmischen Kosmos ist die Begegnung der Körper. Da geeignete Tanzpartner in Isabelles Leben rar gesät sind, muss die Kamera einen Rhythmus für die Sehnsucht finden.
Das Resultat ist ein wundersam gelöster Film, an dessen Ende Gérard Depardieu einen grandiosen Auftritt als Hellseher hat, der Klarheit in die Gefühlsirrungen bringt. Der Filmtitel leuchtet dabei als späte Entdeckung auf, als ein Projekt für die Zukunft.
Info
Meine schöne innere Sonne Claire Denis Frankreich/Belgien 2017, 94 Minuten
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