Magische Zufälle

Kino In Pedro Almodóvars neuem Film spielt Antonio Banderas einen alternden Regisseur: Autobiografie oder mehr?
Ausgabe 30/2019

Als Außenstehender vergisst man leicht, dass das Filmemachen ein Beruf ist, der nicht nur Anforderungen an Inspiration und Vorstellungskraft stellt. Er ist auch körperlich anstrengend. Das Team will geführt und animiert werden, Machtkämpfe müssen gewonnen und Krisen gemeistert werden. Die Drehtage sind lang, sie vollziehen sich in einem Rhythmus der Wiederholung, bei dem sich Scheitern und Gelingen abwechseln. Wer eine solche Verantwortung trägt, muss über eine robuste Konstitution verfügen.

Salvador (Antonio Banderas) traut sich diese Kraftanstrengung nicht mehr zu. Sein letzter Film liegt lange zurück. Das Filmemachen ist eine Lebensweise, von der er sich verabschiedet. Das Alter liegt nicht mehr auf der Lauer, es hat sich eingestellt. Nun erfordern diverse Krankheiten seine Aufmerksamkeit. So entspannt wie in der ersten Einstellung, wo er im Wasser eines Schwimmbads schwebt, werden wir ihn für eine ganze Weile nicht mehr erleben. Salvador erholt sich von einer komplizierten Rückenoperation. Sein Schritt ist vorsichtig. Als er eingangs eine ehemalige Darstellerin trifft, zögert er, einen Kaffee mit ihr zu trinken. Am Café-Tisch hält er sich aufrecht und hört ihren Erzählungen mit gesenkten Schultern zu.

Diese Schultern wirken schmaler, als wir sie bisher auf der Leinwand sahen. Kaum vorstellbar, dass Banderas mal tatkräftige Helden wie Zorro verkörpert hat! Mit seinen graumelierten Haaren und dem Bart nähert er sich in Leid und Herrlichkeit radikal der Erscheinung seines Regisseurs an; er trägt auch Pedro Almodóvars Kleidung. Nichts liegt also näher, den Film als ein Selbstporträt des Filmemachers zu betrachten, der die Hauptrolle einem zuverlässigen Alter Ego anvertraut hat. Almodóvar musste sich selbst einer Rückenoperation unterziehen; das Ursprungsbild des Schwebens im Schwimmbad geht unmittelbar auf seine Rekonvaleszenz zurück. Er verbindet sie fließend mit Erinnerungen an eine Kindheit im Spanien der Franco-Diktatur, die sich lebhaft aus dem eigenen Heranwachsen in der Provinz speisen.

Aber die Vermutung des Autobiografischen verschleiert, wie viel Erfindung in Leid und Herrlichkeit dann doch steckt. Vergessen wir nicht, dass Almodóvars bisherigen Filme ihre erzählerische Kraft aus der unbedingten Identifikation mit ihren Heldinnen bezogen.

Sein bevorzugter Darsteller Banderas agiert nun als sein Double, ohne ihn zu imitieren. Er zeigt sich als ein wunderbarer Komödiant der Gebrechlichkeit. Sein Körperspiel fällt auf, freilich nicht als eitle Verstellung, die eine Distanz markieren will – Banderas ist gut ein Jahrzehnt jünger als sein Regisseur, der im September 70 wird –, sondern als gestische Einfühlung in etwas, das ihm noch nicht zu eigen ist. Während er das Altern darstellt, ist dem Schauspieler ein körperliches Erstaunen anzumerken, was sich mit ihm alles ändert.

Altern macht großzügig

Salvador hat eine Lebensphase erreicht, in der Begegnungen weitgehend Wiederbegnungen sind. Einer seiner großen Erfolge wurde nun von einer Kinemathek restauriert. Beim Dreh damals kam es zu einem epochalen Zerwürfnis mit seinem Hauptdarsteller Alberto (Asier Etxeandía ), mit dem er nun gemeinsam in die Wiederaufführung einführen soll. Bei der Begegnung der Unversöhnten treten zwar die alten Konflikte wieder auf den Plan, aber allmählich löst sich die Anspannung.

Dass Alberto ihm Heroin gegen seine Schmerzen anbietet, billigt der Film vorerst, zumal es zu ihrer Annäherung beiträgt und herrliche Situationskomik gewinnt. Im Rausch gleitet Salvador sanft hinüber ins Reich seiner Kindheitserinnerungen, die vor allem um seine Mutter Jacinta (Penélope Cruz) kreisen. Während die Gegenwart für das Leid im Filmtitel steht, repräsentieren die lichten, sonnigen Rückblenden dessen zweite Komponente. Die Zeitebene dazwischen, Salvadors glanzvolle Karriere, beschwört Almodóvar anfangs in einer brillanten Animationssequenz, die seine Reisen zu Premieren und Festivals verschmitzt mit einem visuellen Register seiner Erkrankungen verknüpft. Als Salvador seinem wiedergefundenen Mitstreiter die Rechte an einer unveröffentlichten Kurzgeschichte (Die Sucht, ein Text, den Almodóvar in den 1990ern schrieb) überträgt, darf er dank eines magischen Zufalls einen weiteren Faden der Vergangenheit wieder aufnehmen: Im Publikum des kleinen Theaters, in dem Alberto den Monolog aufführt, sitzt Federico (Leonardo Sbaraglia), der sich als der Geliebte wiedererkennt, der damals, vor 30 Jahren, ans Heroin verlorenging.

Der Nostalgie, die dieser Geschichte innewohnt, entspricht Almodóvars Erzählgestus, der mit den Jahren immer klassischer wird: Er spiegelt ein reiferes Temperament wider, verabschiedet sich aber nicht von der Möglichkeit der Erneuerung, für die seine Animationssequenz ein schöner Beleg ist. In Leid und Herrlichkeit drängt seine Inszenierung auf das Essenzielle. Alles, was sie in den Blick nimmt, hat Gewicht. Diese Schwere lastet, anders als noch in seinem Vorgänger Julieta, nicht auf ihm. Almodóvars neuer Film ist eine therapeutische Erzählung. Salvadors Wunsch, vorzudringen zu den eigenen Wurzeln, muss keine Entscheidung gegen die Zukunft sein. Der Wartestand, in dem er sich befindet, ist insgeheim schöpferisch und die Entrückung, in der man ihn wähnt, eine Zeit der Latenz. Er ist eher bereit zuzuhören als zu sprechen. Aber die Aufgeschlossenheit, die Banderas ihm großzügig schenkt, ist auch ein Indiz dafür, dass Salvador sich Rechenschaft ablegen will über das, was noch kommt.

Info

Leid und Herrlichkeit Pedro Almodóvar Spanien 2019, 113 Minuten

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