Um seinen jüngsten Film Doch das Böse gibt es nicht realisieren zu können, musste er unsichtbar werden. Sein Name tauchte auf keiner Stabsliste und keinem Drehplan auf. Seine Produzenten hatten der Zensurbehörde die Drehbücher zu vier Kurzfilmen vorgelegt, als deren Autoren seine Regieassistenten zeichneten. Die List verfing: Bei Kurzfilmprojekten schaut die iranische Zensur nicht so genau hin wie bei Langfilmen.
An Drehorten, die fernab von Teheran lagen, erschien Mohammad Rasoulof jedoch am Set: Der Regisseur weiß, welche Schlupflöcher die Provinz in einem repressiven System bieten kann. So konnte unter dem Radar der Behörden eine der schärfsten filmischen Anklagen der Todesstrafe entstehen. Im iranischen Kino besaß dieses Tabuthema bis da
es Tabuthema bis dahin kaum Sichtbarkeit, obwohl es zum Alltag gehört in einem Land, das jährlich mehr Menschen hinrichten lässt als jedes andere, mit Ausnahme der Volksrepublik China.Als der Episodenfilm bei der Berlinale 2020 den Goldenen Bären gewann, musste Rasoulofs Tochter Baran den Preis entgegennehmen. Das Regime in Teheran hatte 2017 den Reisepass des Vaters eingezogen; ihm drohte überdies eine einjährige Haftstrafe, deren Antritt jedoch ständig hinausgezogen wurde.Am vergangenen Freitag wurde Rasoulof zusammen mit seinem Regiekollegen Mostafa Al-Ahmad erneut verhaftet. Diesmal ist es kein brisanter Film, der sie in Konflikt mit den Behörden gebracht hat, sondern ein offener Brief, den sie im Mai unterzeichneten. Er hat eine komplizierte Vorgeschichte. Nach dem Einsturz eines Gebäudes im südiranischen Abadan, der 41 Todesopfer forderte, fand dort eine Demonstration gegen Korruption und Günstlingswirtschaft statt, die von der Polizei brutal niedergeschlagen wurde. Rasoulof und Al-Ahmad protestierten, ebenso wie 70 weitere Filmschaffende, gegen die Polizeigewalt, auch unter dem Hashtag #putyourgundown. Zunächst war unbekannt, wohin die zwei Verhafteten verbracht wurden; inzwischen scheint klar, dass sie im berüchtigten Evin-Gefängnis einsitzen. Die Justiz wirft ihnen „destabilisierenden Aktivismus“, Unruhestiftung sowie die Gefährdung „der psychologischen Sicherheit der Gesellschaft“ vor.Der iranische Staat nutzt DrohgebärdenAm Montag wurde bekannt, dass auch Rasoulofs Freund Jafar Panahi verhaftet wurde. Er hatte, unter anderem mit dem Regisseur Asghar Farhadi, eine Petition für die sofortige Freilassung seiner Kollegen verfasst und sich offenbar zum Evin-Gefängnis begeben, wo ihn die Staatsanwaltschaft in Gewahrsam nehmen ließ. In der Wahrnehmung des Regimes und der Filmbranche sind Rasoulof und Panahi eng, ja untrennbar miteinander verbunden. Sie unterstützen sich häufig bei Produktion und Schnitt ihrer Filme. Als Panahi einen Dokumentarfilm über die Präsidentschaftswahl 2009 drehen wollte, stand sein Freund ihm zur Seite. Der damals noch prominentere Panahi, der 2000 in Venedig den Goldenen Löwen für Der Kreis gewann, wurde 2010 zu sechs Jahren Haft verurteilt und mit Berufsverbot belegt. Rasoulof wurden vorerst „nur“ die Drehgenehmigungen verweigert: Die repressive Justiz kennt im Iran Nuancen der Bestrafung und Einschüchterung.Rasoulof, der in Filmen wie Manuscripts Don’t Burn (2013) und A Man of Integrity (2017) den Staatsterror mit unbestechlicher Präzision schildert – oft zugleich aus der Sicht der Täter wie der Opfer –, hat gelernt, diese Nuancen zu nutzen. Die Drohgebärden des Regimes haben diesen scharfen Kritiker bisher nie verstummen lassen. Geboren wurde er 1973 in Südwesten Irans, in Shiraz, der Stadt der Dichter, Orangenhaine und Teppiche. Er studierte Soziologie, fing aber schon mit 18 Jahren an, Kurzfilme zu drehen. Der Regisseur, der in Interviews mit westlichen Journalisten gern Hannah Arendt und Václav Havel zitiert, hat seine Karriere früh international ausgerichtet. Den Durchbruch erlebte er 2005 beim Filmfestival Hamburg, wo sein Film Eiserne Insel den Kritikerpreis gewann und in dessen Leiter Albert Wiederspiel er fortan einen engagierten Unterstützer fand. Seitdem weiß er, wie hilfreich das internationale Renommee dafür sein kann, iranische Filmemacher gegen Verfolgung zu schützen. Während seine Filme in der eigenen Heimat nur auf dem Schwarzmarkt oder im Netz zirkulieren, hat er auf den großen Festivals weltweit zahlreiche Preise gewonnen. Seit 2012 hat er – theoretisch – einen zweiten Wohnsitz in Hamburg. Doch das Böse gibt es nicht wurde von der dortigen Filmförderung mitfinanziert.Mohammad Rasoulof bricht BilderverboteWährend die meisten Mitglieder des Teams vor der drohenden Anklage wegen des „Verstoßes gegen die öffentliche Moral“ ins Ausland flohen, blieb Rasoulof in seiner Heimat. Er ist ein trotziger Optimist, auch der filmischen Form. Seine ersten Filme besitzen noch die Mehrdeutigkeit von Allegorien und Parabeln. Zusehends bricht er nun Bilderverbote und geißelt die Mechanismen staatlicher Unterdrückung. Ihr Arsenal besteht in Korrumpierung oder Verleumdung, aber auch in Entführung, Folter und Mord. Tatsächlich ist unerhört, was in Manuscripts Don’t Burn zur Sprache kommt. Rasoulofs Aussagen über Repression sind von unverblümter, provokanter Offenheit; sein Befund eines beinahe reibungslos funktionierenden Überwachungsstaates ist niederschmetternd. In Doch das Böse gibt es nicht, seinem bildmächtigen Pamphlet gegen die Todesstrafe, verdichtet er im Widerspruch zwischen Gehorsam und Verweigerung ein Klima durchdringender Angst.Er ist, das haben seine Ankläger triftig erkannt, ein wachsamer Kenner der Psychologie dieser Gesellschaft. Sein Publikum entlässt er nicht in tröstliche Gewissheiten. Nur eine Figur spricht sich in seinem Berlinale-Gewinner offen für die Ehrfurcht vor dem Leben aus. Aber sie lebt im Exil.