Schon die ersten Sekunden des Vorspannes halten eine Irritation bereit: Das Firmenlogo von Warner Bros. bleibt schwarzweiß, so wie einst zu Beginn der Tonfilmära, als das Studio seine heroische Epoche erlebte. Wer weiß, ob in diesen ersten Sekunden von Mystic River nicht schon ein Widerstreit ausgetragen wird, von dem sich der spätere Film nicht wird lösen können? Wenn Clint Eastwood dieses Intro als Hommage an ein Studio gemeint haben sollte, das ihm (und dem er) über 30 Jahre und eine Karriere voller Wechselfälle lang treu blieb - warum hat er ihr Objekt so weit entrückt? Natürlich wäre das Schwarzweiß denkbar als Indiz einer nur vagen, unverbindlichen Nostalgie, als Bekenntnis eines Regisseurs, der sich längst und nicht ungern als altmodisch klassifizieren lässt. Seinem Film eilt seit Cannes die Fama eines brillant gespielten Charakterdramas voraus, das jene Ernsthaftigkeit und Gravität besitzt, mit denen sich in einer schlechten Saison Oscars gewinnen lassen.
Eastwoods Traditionsbewusstsein war freilich schon immer etwas präziser. In seinem elegischen Tempo knüpft Mystic River an die Schule realistisch-urbaner, zeitaktueller Gangsterfilme und Melodramen an, die seinerzeit Raoul Walsh und William Wellman für Warner Bros. inszenierten. Der schwarzweiße Vorspann stünde mithin für eine atmosphärische Einfärbung, die jene Aura von Verhängnis einholen soll, die in deren Filmen herrschte. Seit je her sucht Eastwood ein modernes Äquivalent zur Weltsicht des Film noir. Im unergründlichen Dunkel, in das Kameramann Tom Stern die Gesichter taucht, sowie die entsättigten Farben, mit denen Mystic River drapiert ist, hat er es wiederum gefunden. Die Verfilmung des Romans von Dennis Lehane, den Brian Helgeland mit ungleich größerem Geschick adaptiert hat, als sein letztes Drehbuch für Eastwood (Bloodwork) erhoffen ließ, folgt zugleich der Struktur von Eastwoods Western, in denen die Vergangenheit auf den Figuren lastet und das ursprüngliche Drama ständig erneut ausgetragen werden muss.
Das Trauma, von dem die drei Protagonisten in Mystic River unerlöst bleiben werden, reicht zu einem Streich zurück, bei dem sie als Halbwüchsige erwischt wurden. Sean und Jimmy schreiben im Prolog des Films ihren Namen in frischen Zement auf den Bürgersteig; als Dave sich ebenfalls verewigen will, werden sie von einem vermeintlichen Polizisten und einem ebenso dubiosen Priester zur Rede gestellt. Die beiden Männer nehmen Dave schließlich mit, halten ihn mehrere Tage lang gefangen und missbrauchen ihn, bis er sich endlich selbst befreien kann. 25 Jahre später ist Dave (Tim Robbins) das tragische Gegenstück zu den Wiedergängern geworden, die Eastwood in seinen Western spielte: Er führt eine geisterhafte Existenz, seinem Leben als Familienvater wohnt er nurmehr bei. Er ist ein Untoter, der weiterwest wie die Vampire im Fernsehen, mit denen er sich identifiziert; es erscheint ihm verlockend, eines Tages festzustellen, dass man nichts Menschliches mehr hat. Robbins spielt ihn regrediert, er dämpft seine Stimme, lässt aber doch manchmal etwas Ahnungsvolles aufblitzen in seinem sonst stumpfen Blick.
Sean (Kevin Bacon) und Jimmy (Sean Penn) hat das Trauma auf unterschiedliche Seiten Gesetzes verschlagen. Der Eine ist Beamter bei der Bostoner Mordkommission, der Andere hat auch als Kioskbesitzer seine Diebeskarriere noch nicht ganz an den Nagel gehängt. Durch ein neuerliches Verbrechen kreuzen sich ihre Wege: Sean muss den Mord an Jimmys ältester Tochter aufklären. In eine mulmige Nähe werden die einstigen Gefährten, die keine Freunde mehr sein können, nun gezwängt; den Verdacht, der bald auf Dave fällt, legt das Buch als so offensichtlich falsche Fährte aus, dass sie schon wieder plausibel erscheint.
Eastwood inszeniert ihre Wiederbegegnung als einen Dreiklang der Einsamkeiten, der seinen Widerhall findet im Hauptthema der Partitur, die der Regisseur selbst komponiert hat. In deren Pathos ist eine Sehnsucht nach Trost zu spüren; die Hoffnung auf Erlösung aber scheint längst verklungen. Die drei Schicksale werden sich, dafür trägt Eastwoods Faible für Parallelmontagen Sorge, verheerend und unlösbar verknüpfen. Im Spiel seiner drei Hauptdarsteller hat er insgeheim Spuren einer Synchronität der Gesten verborgen, die sein bewährter Schnittmeister Joel Cox bis in kleinste Details verfolgt. Dieses Montageprinzip mündet in ein Finale, dessen Suspense im Zeichen tragischer Vergeblichkeit steht. Ihre Ehefrauen lässt Eastwood als irritierende, bedrohliche Kraftfelder im Hintergrund wirken, er malt sie in allen pessimistischen Schattierungen zwischen Angst und Berechnung, Loyalität und Verrat aus.
Die neuralgischen Punkte des Dramas, das Auffinden der Leiche und die Reaktion des Vaters, hat Eastwood in extremen Aufsichten als Tableaus des Schmerzes inszeniert. Die Vertikale drängt sich immer wieder als Kompositionsprinzip in die CinemaScope-Bilder: Schwenks in den Himmel markieren die Aktschlüsse; Konfrontationen inszeniert Eastwood vornehmlich auf Treppen und positioniert die Akteure in Unter- und Aufsichten zueinander. Die Augenhöhe, sonst eine Grundfeste des amerikanischen Erzählkinos, besitzt in Mystic River keine Selbstverständlichkeit mehr, die Abgründe sind so weit aufgerissen, dass sich die ehemaligen Freunde kaum mehr auf die gleiche Bildebene bringen lassen.
Eastwood ist ein Regisseur des Nachdrucks, den die Verdopplung von Motiven in den Bildern und Dialogen mitunter nicht schreckt. Was als Subtext in den Szenen angelegt ist, dürfen seine Charaktere in altmodischer Transparenz noch einmal, für sich und die Zuschauer, formulieren. Umso überraschender ist es, dass seinem Film die Gewalt nur in ihren Konsequenzen begreiflich bleibt. Der Schrecken gewinnt seine angemessene Dimension, weil die drei Verbrechen, über die sich das Schicksal der Drei entscheidet, nicht gezeigt, sondern rekonstruiert werden. Diese nachgerade puritanische Zurückhaltung fügt sich in das Konzept von Abbitte und Buße, das Eastwood seinem Kino seit Unforgiven verordnet hat. Die Vergeltung ist für seine Charaktere zwar noch immer ein Mandat, aber längst zur Verdammnis geworden. Die Selbstjustiz blieb in seinen früheren Filmen nahezu ohne Korrektiv, auch heute ist das Individuum für ihn noch immer die höchste Instanz. Aber die in Mystic River obsiegende Variante jener eigentümlich amerikanischen Moral der geringen Reichweite - die Nachbarschaft regelt ihre Probleme selbst -, wird auf einer tieferen Ebene nicht entlastet, nicht abgelöst von Schuld und Sühne. "Du fühlst dich so allein, wenn du jemandem etwas antust", hatte Dave seiner Frau einmal anvertraut. Die wortlos lauernden Seitenblicke, die sich die Hauptfiguren unentwegt zuwerfen, sind in der Schlusssequenz zu wissenden Blicken geworden. Sie werden mit diesem Alleinsein leben müssen.
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