Felices Mutter protestiert, als er sie waschen will. Ihre Schamhaftigkeit gebietet es der frommen Katholikin. „Tu‘ so, als wäre ich ein kleiner Junge“, schlägt der gestandene Mann der zierlichen Frau vor. Dass er ein Mensch mit großem Taktgefühl ist, wissen wir seit der vorausgegangenen Szene, in der er im Krämerladen an der Ecke neue Unterwäsche und einen Schwamm für die Mutter kaufte. Er respektiert ihre Verlegenheit, will sie aber dennoch verführen. Sie lächelt über seine Worte, es ist fast so, als würde sie die Befangenheit in ihrem hohen Alter belustigen. Also lässt sie es schließlich geschehen, leistet keinen Widerstand, als er ihr hilft, sich zu entkleiden. Die zarte Frau gibt sich vertrauensvoll in s
n seine starken Armen, als er sie zum Waschzuber trägt. Mit einem Mal herrscht ein tiefes Einverständnis zwischen ihren Körpern. Nun ist kein Stolz mehr verletzt, sondern ein neuer, unverhoffter entstanden. Sie genießt die fürsorgliche Zärtlichkeit ihres Sohnes, auf dessen Gegenwart sie lange Zeit verzichten musste.Felice (Pierfrancesco Favino) ist nach vierzig Jahren im Exil nach Neapel zurückgekehrt. Damals musste er als Halbwüchsiger aus seiner Heimatstadt fliehen, zuerst in den Libanon, dann nach Südafrika und schließlich nach Ägypten, wo er als Bauunternehmer reich geworden ist und zum Islam konvertierte. Insgeheim erzählt Nostalgia zunächst von einer glücklichen Regression. Felice kann wieder Sohn sein und sich um die gebrechliche Teresa kümmern, über deren Lippen kein Wort des Vorwurfes kommt. Aurora Quattrocchi spielt sie als eine Frau am Ende ihrer Jahre, die ihre Zuversicht in den Augenblick legt. Die Zwei holen viel Versäumtes nach; es ist eine heitere und mitnichten vergebliche Wiederkehr. Aber der Wiedersehensfreude bleibt nur eine kurze Frist.Seine Ehefrau im fernen Kairo lässt Felice per Telefon an den Entdeckungen teilhaben, die er in den Gassen seines alten Viertels Sanità macht. Nichts scheint sich hier verändert zu haben in der Zwischenzeit. Felice glaubt, an seine Vergangenheit anknüpfen zu können. Aber er ist als ein Fremder zurückgekehrt; der Kellner einer Pizzeria hält ihn gar für einen englischsprachigen Touristen.Eine letzte offene RechnungDer Film des neapolitanischen Regisseurs Mario Martone versenkt sich tief in die Atmosphäre der Stadt. Sie ist vieldeutig, die alte Heimat wird zu einem Terrain der zweifachen Begegnung: mit der Gegenwart und der Vergangenheit. Nach dem Tod seiner Mutter könnte Felice heimkehren, aber eine weitere Rechnung muss noch beglichen werden. Er will seinen Jugendfreund Oreste wiederfinden, mit dem zusammen er einst viel Unruhe stiftete in Sanità. Alle Welt rät ihm von der Suche ab, denn der verlorene Freund ist inzwischen zum Paten der hiesigen Cosa Nostra aufgestiegen. Seine Macht über das Viertel scheint unangefochten, nur der furchtlose Priester Don Luigi (Francesco di Leva) macht sie ihm streitig. Als Felice ihm nach der Trauerfeier für seine Mutter dankt, fassen beide Vertrauen zueinander.Felice gesteht ihm, dass er damals Komplize eines Einbruchs war, bei dem Oreste den Hausherrn erschlug. Der Priester wird das Geständnis wie ein Beichtgeheimnis wahren. Felice hat seinen Freund nie verraten. Der Seelenhirte respektiert seinen Stolz, behält aber im Hinterkopf, dass er ein wichtiger Belastungszeuge werden könnte. Felice ist nicht mehr nur zwischen zwei Heimatländern zerrissen, er steht auch zwischen zwei Lagern. Immer wieder fällt sein Blick auf einen Jungen, der im gleichen Alter ist wie er damals und vor der Entscheidung steht, entweder weiter die Kirche zu besuchen oder sich Orestes Motorradbanden anzuschließen. Eingebetteter MedieninhaltDie Rückkehr in die Heimat ist ein derart beliebtes Kinosujet, weil sie für Filmemacher eine Komfortzone eröffnet: Sie folgt verlässlichen Konventionen, einer erzählerischen Einhegung vorhersehbarer Gefühle, aus denen dennoch eine sachte, selbstverständliche Spannung entsteht. Die Wiederbegegnung mit dem Vergangenen garantiert eine emotionale Aufladung, mit der sich ein Publikum augenblicklich identifzieren kann. Die Erinnerungen drängen lebhaft in Felices Leben, aber sie folgen nicht den Wegen, die er ihnen gern vorbestimmen würde. In einer der bewegendsten Szenen findet er ein unerwartetes Bindeglied zu seiner Vergangenheit, als ihn ein älterer Herr wiedererkennt, der sich als Verehrer seiner Mutter entpuppt und ganz verzweifelt darüber ist, dass deren Sohn sich nicht an seinen Namen erinnert.Allianzen für eine bessere ZukunftMit Don Luigi tritt indes eine andere Dynamik in Martones Film ein. Die Nostalgie hatte ihre Zeit, jetzt kann es um Aufbruch gehen. Der charismatische Priester stellt an Felice unter seinen Schutz – und da sein Wort im Viertel gilt, überträgt sich dieses Mandat auf alle Bewohner, die guten Willens sind. Felice lässt sich einspannen für die Strategie des Paters, der ihn als Vorbild präsentiert für den anderen Weg, den es aus der Armut gibt. Sein Blick auf die alte Heimat ist auf die Zukunft gerichtet: auf die Rolle, die er jetzt in diesem Gemeinwesen spielen kann. Er kauft ein Haus, das er für sich und seine Frau renoviert und unterstützt die Restaurierung der historischen Katakomben, in denen er als Kind spielte. Auch seine Arabischkenntnisse sind von Nutzen.Jetzt ist er gerüstet für die Wiederbegegnung mit Oreste (Tommaso Ragno). Er trifft auf einen Mann, der ihm nicht in die Augen blicken kann: Oreste hat die Kränkung nie verwunden, dass der Freund ihn damals zurückließ. Aus jeder seiner Gebärden spricht eine Drohung, die sich aus Verbitterung und Lebensverachtung speist. Vergangenheit und Gegenwart, die sich in der Montage bisher flink begegneten, müssen nicht mehr versöhnt werden. Denn Felice ist ein anderer Mensch geworden. Nach allem, was während seiner Rückkehr geschah, ist in ihm eine Zuversicht gereift, die in der Erkenntnis von Heimat ruht. Diese erworbene, verdiente Naivität macht sich der Film zu eigen. Er wird leichtfüßiger, aber nicht argloser. Im Finale stellt Martone unter Beweis, dass in ihm auch ein versierter Opernregisseur steckt.