Das Wesen einer schwarzen Liste besteht in ihrer anfänglichen Unsichtbarkeit. Sie muss nicht auf dem Papier existieren, sondern darf ein Gerücht bleiben. Ungewissheit und Vorläufigkeit sind ihre überzeugendsten Drohgebärden; sind erst einmal Namen genannt, verliert sie ihre Unberechenbarkeit. Zugleich ist jedoch die Prominenz der Beschuldigten das Unterpfand ihrer Wirksamkeit. Nicht von ungefähr suchte sich der berüchtigte Senatsausschuss zur Untersuchung unamerikanischer Umtriebe im Herbst 1947 Hollywood als vorrangiges Ziel aus.
Als Medienereignis waren die ersten Anhörungen gut vorbereitet. Zwei Tage zuvor hatte es Kameraproben gegeben. Für die erste Woche hatte der "Ausschuss für unamerikanische Umtriebe" eine hochkarätige Besetzung in den Zeugenstand gebeten: Hollywoodstars wie Gary Cooper und Robert Taylor waren ihrem patriotischen Gewissen gefolgt und antworteten - entschieden in ihrer Gesinnung, im historischen Detail nicht immer kapitelfest - auf die Fragen des Vorsitzenden J. Parnell Thomas über die kommunistische Unterwanderung der Filmmetropole. Und Walt Disney konnte Amerika beruhigen: In seinem Imperium gebe es keinen einzigen Roten.
Die zweite Anhörungswoche verlief nicht so plangemäß. Es waren die "unfreundlichen" Zeugen einbestellt, deren Filmarbeit und Parteibuch sie verdächtig machte: Drehbuchautoren wie Dalton Trumbo und Ring Lardner jr., Regisseure wie Edward Dmytryk, Produzenten wie Adrian Scott. Sie beriefen sich auf den ersten Zusatzartikel der Verfassung, welcher die Meinungsfreiheit zusichert, und verweigerten wortreich die Aussage über ihre Parteizugehörigkeit und die von Kollegen. Einer solchen Sturheit konnte auch das unablässige Hämmern des Vorsitzenden nicht Herr werden; Trumbo und andere mussten gewaltsam aus dem Zeugenstand entfernt werden. Am 30. Oktober, nachdem der letzte Zeuge Bertolt Brecht sich mit listig gebrochenem Englisch aus der Affäre gezogen hatte, warnte Thomas die Filmmetropole eindringlich, sich schleunigst von schädlichen Elementen zu befreien.
Hollywood war nur die glamouröse, publicityträchtige Zielscheibe einer Kampagne, in deren Verlauf das Nachkriegsamerika mit den progressiven Ideen der Roosevelt-Ära aufräumte. Bald gerieten auch Wissenschaftler, Ärzte, Kirchenvertreter ins Visier des FBI. Die Hollywoodstudios, die sich durch die drohende Konkurrenz des Fernsehens in einer tiefen Krise befanden, waren leicht einzuschüchtern und zum Schulterschluss mit Washington bereit. Im berüchtigten "Waldorf Statement" verpflichteten sich am 25.ÊNovember die Geschäftsführer der Major Companies, fortan keine Kommunisten mehr zu beschäftigen; Vertragsbrüche mit Verdächtigen wurden zur moralischen Notwendigkeit erklärt.
Die Aussageverweigerung der "Hollywood Ten" hatte diese zwar zu Märtyrern gemacht: Sie wurden wegen Missachtung des Kongresses zu Haftstrafen verurteilt (pikanterweise sollte Lardner jr. im Gefängnis später J. Parnell Thomas wiederbegegnen, der wegen Veruntreuung von Steuergeldern einsaß). Die anfängliche Empörung unter Hollywoods Liberalen war jedoch rasch verklungen, als nicht nur Gerüchte um schwarze, sondern auch graue Listen die Runde machten. Als das Komitee Anfang der fünfziger Jahre erneut die Infiltration Hollywoods untersuchte, hatte es ein leichteres Spiel. Dmytryk revidierte seine Haltung und kooperierte mit dem Ausschuss. Dass der Regisseur Elia Kazan abschwor, mag die Wasserscheide, die endgültige Niederlage der Linken gewesen sein: Er inszenierte seinen Auftritt als furiose Selbstreinigung und gab seiner Karriere durch das Nennen von elf Namen einen unziemlichen Auftrieb.
Sämtliche Beteiligten wussten, dass es nicht darum ging, Hintergrundinformationen zu liefern, sondern um einen symbolischen Akt der Abbitte. Das Komitee spaltete Hollywood und die Nation, indem es zwei widersprüchliche amerikanische Wesenszüge gegeneinander ausspielte: jene Bigotterie, die sich schon in den Hexenprozessen von Salem offenbarte, und den Abscheu davor, Freunde und Kollegen zu bespitzeln oder zu verraten. Namen nannten die Helden von Hollywoods Kriegsfilmen nicht einmal unter Folter; ein halbes Jahrzehnt später war dies zur Patriotenpflicht geworden.
Die Frage nach den inhaltlichen und ästhetischen Auswirkungen dieser Spaltung Hollywoods ist mit Tabus belegt, sowohl linken wie auch rechten. Gemeinhin werden sie bestritten, allenfalls Spurenelemente der Subversion seien erkennbar. Eine von den Wissenschaftlern Thom Anderson und Noel Burch (dessen akademische Karriere auch der Kommunistenhatz zum Opfer gefallen war) kuratierte Retrospektive der Viennale trat im Jahre 2000 einen überzeugenden Gegenbeweis an. Sie machte kenntlich, wie entschieden die verfemten Filmemacher in den dreißiger und vierziger Jahren bisweilen mit Hollywoodtraditionen brachen. Bis dahin waren sozialkritische Filme hauptsächlich von konservativen Regisseuren wie Mervyn LeRoy oder Frank Capra gedreht worden und mündeten in qualligen Botschaften von Güte und Verständnis. Die linken Autoren reagierten scharfsichtiger auf die drängenden Fragen der Zeit, auf Arbeitslosigkeit, Rassismus und Korruption. Es gelang ihnen, erstmals Streiks in einem positiven Licht zu zeigen, den Spanischen Bürgerkrieg und die Existenz von Konzentrationslagern zu thematisieren (weshalb sie später eines "voreiligen Antifaschismus" bezichtigt werden konnten). Sie werfen Schlaglichter auf die Kehrseite der Ideologie von Eigenverantwortung und Individualismus; Menschenjagd und Lynchjustiz waren ein kardinales Motiv der Retrospektive.
Historiker weisen gern auf das Paradoxon hin, dass das Klima von Angst und Verunsicherung in den USA nach dem Sieg der Alliierten ungleich größer war als nach dem Angriff auf Pearl Harbor. Es scheint, als hätten sich mit der Rückkehr ins Zivilleben dunkle Schatten über den amerikanischen Traum von Heimat und Selbstbestimmung gelegt. Mit ahnungsvollem Pessimismus spiegelt der Film noir dieses Klima der Beklemmung wider, als der Krieg die traditionellen Geschlechterrollen vorübergehend revidiert hatte. Diese düsteren Melodramen und Kriminalfilme waren ein Terrain der Abweichung. Ihre Helden sind nicht einfach Opfer eines umfassenden, gleichwohl diffusen Verhängnisses. Sie begehren vielmehr auf gegen die gesellschaftliche Logik. Einigen Autoren und Regisseuren gelang es, radikale Ideen als Schmuggelware ins Studiosystem einzuschleusen. Die Konsequenz, mit der Abraham Polonsky in Die Macht des Bösen (1948) das organisierte Verbrechen als Vollendung des Kapitalismus schildert, ist deckungsgleich mit der vertrauten Ikonografie des Gangsterfilms.
Der demokratische Impetus des New Deal wurde in den fünfziger Jahren jedoch von einer unverbindlichen Technicolor-Fröhlichkeit abgelöst. Es gab keinen einzigen kritischen Film über den Koreakrieg. Eine ganze Generation junger, aufbegehrender Filmemacher wurde durch die schwarzen Listen mundtot gemacht. Polonsky brachte die nächsten zwei Jahrzehnte damit zu, Filme nur noch im Kopf zu inszenieren. Joseph Losey und Jules Dassin wurden ins Exil getrieben. Schauspieler waren gezwungen, ihren Lebensunterhalt als Hilfslehrer oder Kellner zu verdienen. Die Drehbuchautoren, die fast die Hälfte aller Black-List-Opfer stellten, waren im Produktionssystem Hollywoods seit je her daran gewöhnt, künstlerisch enteignet zu werden. Der bald florierende Schwarzmarkt vergrößerte noch die Demütigungen: Den Autoren war mit ihrem Namen nicht nur die berufliche Identität genommen, sie waren auch gezwungen, für einen Bruchteil der üblichen Gagen zu arbeiten.
Nachdem 1958 jedoch zum dritten Mal in Folge der Oscar für das beste Drehbuch nicht vergeben werden konnte, weil sich hinter Decknamen verfemte Autoren verbargen, wurde klar, dass sich das System der Schwarzen Listen nicht mehr aufrechterhalten ließ. Ihre Macht schien endgültig gebrochen, als der Regisseur Otto Preminger ankündigte, Dalton Trumbo für Exodus zu verpflichten, und der frischgewählte Präsident Kennedy sich auch von den Warnungen der mächtigen Veteranenorganisation "American Legion" nicht abhalten ließ, die Verfilmung eines weiteren Trumbo-Drehbuchs, Spartacus, anzuschauen.
Auf ihre vollständige Rehabilitation warten etliche Opfer der Kommunistenjagd jedoch immer noch. Zwar wurden, kurz nach dem Amtsantritt Nixons (der sich als Ausschuss-Beisitzer seine ersten Sporen verdient hatte), Ring Lardner jr. (für M.A.S.H.) und Waldo Salt (für Asphalt Cowboy) mit dem Oscar ausgezeichnet. Aber erst Anfang der neunziger Jahre setzte es die Drehbuchautoren-Gilde durch, in den Vorspannen einiger Filme die Pseudonyme mit den Namen der tatsächlichen Autoren austauschen zu lassen. Auf den ersten Hollywoodfilm, der sich ernsthaft mit den Überzeugungen der Radikalen aus den eigenen Reihen auseinandersetzt und nicht nur "unschuldig" verfolgte Opfer der Kommunistenjagd ins Zentrum rückt, wartet man bis heute vergeblich. Er wäre wohl zu unamerikanisch.
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