Die Abkunft dieses Films muss man nicht als Menetekel lesen, mit Melancholie darf sie einen schon erfüllen: Er basiert nicht auf einer literarischen Vorlage, nicht einmal auf einem Videospiel, sondern auf einem Themenpark. Disneys Pirates of the Caribbean (zu deutsch: Der Fluch der Karibik) verdankt seine Existenz der gleichnamigen, ebenfalls zum Konzern gehörenden Touristenattraktion im Süden Kaliforniens. Während man noch darüber rätselt, weshalb sich bei der Entstehungsgeschichte des Films die Reihenfolge verkehrt hat, dämmert einem bereits, dass dies in der Entwicklung des Genres durchaus seine eigene Logik hat.
Stärker noch als der Western schien der Piratenfilm dazu verdammt, die letzten Jahrzehnte als Kulisse familienfreundlicher Achterbahnfahrten zu überdauern, als Objekt einer tendenziell herablassenden Nostalgie, die seine Ikonografie vergröbert auf den bloßen Wiedererkennungseffekt. Jahrmarktsattraktion zu sein, ist für sich genommen nicht weiter ehrenrührig, führt es das Kino doch an seine Anfänge zurück. Die Exklusivität dieser Kulissenexistenz besiegelt freilich das Entrücktsein dieses Genres vom zeitgenössischen Kinopublikum, welches das Vertrauen in die Gültigkeit seiner Konventionen und seines romantischen Versprechens längst verloren hat.
Der überraschende Kassenerfolg, den Fluch der Karibik mittlerweile auch weltweit erzielt hat, ist ein nicht nur für Disney erfreulicher Synergieeffekt. Es bleibt zwar fraglich, ob er die Wiedergeburt des kostenintensiven Genres einleiten wird. Das Drehbuch von Ted Elliott und Terry Rossio, die sich vor fünf Jahren mit Die Maske des Zorro bereits um die wenn auch flüchtige Renaissance des Mantel-und-Degenfilms verdient gemacht haben, wirft jedoch über weite Strecken einen liebevoll zeitgenössischen, mithin verjüngenden Blick auf deren Konventionen. Die Kennerschaft des Zuschauers ist hier kein Hindernis, sondern vielmehr der Schlüssel zu einem gesteigerten Vergnügen. Das Inventar des Genres haben die Autoren nahezu vollständig assembliert (und sich allenfalls davon einschüchtern lassen, dass Roman Polanski in seinen Piraten bereits die Einsatzmöglichkeiten von Holzbeinen enzyklopädisch ausgeschöpft hat) - die Schatzsuche, die Meuterei der "bösen" gegen die "guten" Piraten, die Entführung der Gouverneurstochter etc. - und finden auf die bislang stets vernachlässigte Frage, wie es nach all den Seeschlachten eigentlich auf dem Meeresgrund der Karibik aussieht, eine pfiffige Antwort. Das Gemeinschaftsgefühl, der Zusammenhalt der Verfemten, von dem der Piratenfilm seit jeher erzählt, will sich indes nicht recht einstellen.
Der Prolog des Films knüpft an ein spätes Meisterwerk der Gattung an, Sturm über Jamaika, der Adaption des Romans von Richard Hughes, in dem er sich die Perspektive einer kindlichen Erlebniswelt - die der abenteuerlustigen Gouverneurstochter - zueigen macht. Diesen Blickwinkel wird er fortan zwar nicht durchhalten, dem Grundton romantischer Verklärung jedoch treu bleiben: Die Piraten verkörpern das faszinierend Fremde, die exotische Abweichung. Dafür steht vor allem Captain Jack Sparrow (Johnny Depp), dessen Erscheinung die traditionell extravagante Kostümierung des Korsaren, die mitunter furchtlos ins Feminine spielende Parodie des Stutzers, noch um etliche Schraubendrehungen anzieht. Ein Freibeuter, der seinen Beruf ebenso fintenreich betreibt, wie sich sein Darsteller der Rolle nähert: wie in seinen letzten Kostümfilmrollen, als Detektiv in Sleepy Hollow und From Hell, treibt Depp ein reizvolles Spiel mit dem Anachronismus, bereichert die Figur um eine Nuance moderner Ruhmsucht. Stones-Gitarrist Keith Richards ist das erklärte Vorbild seiner listigen Manierismen, von ihm leitet er den täuschend somnambulen Gestus ab, und auch die Vorliebe für das exzentrische Solospiel. Dabei bleibt Sparrow grundiert in Depps eigener Kinolegende des unverhofften Gelingens, der getarnten Fertigkeiten, die es ihm ermöglichen, der Aussichtslosigkeit regelmäßig ein Schnippchen zu schlagen.
Seine Exzentrik fügt sich in das Drehbuchkonzept der auslegbaren Regeln, der gewitzt hinterfragten Mythen. Dass sich Sparrows abtrünnige Mannschaft durch einen Fluch in eine Rotte Untoter verwandelt hat, beschert dem Plot jedoch bald manche Unwucht. Dass das Geisterschiff trotz zerfetzter Segel in Windeseile über das Meer gleitet, mag man noch hinnehmen. Den Kampfszenen entzieht der Abstecher ins Phantastische freilich gänzlich den Boden: Widerstand wäre eigentlich vergeblich, da man Untote schließlich nicht mehr umbringen kann. So schlingert Fluch der Karibik in seinen Martial-Arts-Szenen im Kielwasser jener ermüdenden Virtuosität, die letzthin im Hollywoodkino deren Rhythmus vorgibt und sich fahrlässigerweise einzig in der Dauer und Ergebnislosigkeit der Gefechte erfüllt. Natürlich darf man das Weiterwesen der Untoten auch als Metapher für das Genre selbst lesen, für seine zu überwindende Krise. Wenn Sparrow am Ende ungeduldig ausruft, "Now, bring me that horizon!", ist das eine mehrfache Befreiungsgeste. Das Piraten-Genre hat zu neuem Elan gefunden. Und wir sind vielleicht wieder offen für sein romantisches Versprechen.
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