Sydney Pollack (1934-2008)

Nachruf

Er hat es seinen Kritikern nicht schwer gemacht, ihn zu unterschätzen. Sein Dilemma und seine Größe bestanden darin, dass sich seine Filme meist in staunenswert glücklicher Eintracht befanden mit den Bedürfnissen der großen Studios, mithin des Mainstream-Publikums, und dabei dennoch die Ambition eines Autorenfilmers verrieten. Dass sein letzter Film dem Star-Architekten Frank Gehry gewidmet ist, besitzt eine schöne Folgerichtigkeit. Nicht nur, weil Sydney Pollack zeit seiner Karriere fasziniert war von den Problemen der Konstruktion, sondern auch, weil er der Frage nachgehen konnte, wie man seine Handschrift, seine Integrität bewahrt in einer Kunstform, die auch eine Industrie ist.

Der 1934 in Indiana geborene Pollack hat als Schauspieler und Regisseur beim Live-Fernsehen prägende Erfahrungen gesammelt. Wie Sidney Lumet, Martin Ritt und John Frankenheimer stand er in der Tradition eines zeitkritischen Kinos, das sich - geschult an den Dramen etwa von Clifford Odets oder Tennessee Williams - um humanistische Tiefenschärfe bemüht. Schon sein Kinodebüt Stimme am Telefon (1965) verrät den Impuls der Wahrheitssuche, der unbeirrten Neugierde auf die Geschichte hinter der Geschichte.

Der dramaturgische Kern all seiner Filme ist ein Erkenntnisprozess. Um immer neue Schichten freizulegen, verschliss er regelmäßig eine Vielzahl von Drehbuchautoren, vergewisserte sich einer Vielstimmigkeit der Perspektiven, bei der jede gewissenhaft errungene Klarheit sogleich Widerspruch und Zweifel nach sich zieht. Zugleich schwor er seine Autoren unerbittlich darauf ein, das emotionale Rückgrat der Geschichte zu finden, jenen thematischen und affektiven Strom, der alle Erzählimpulse bündelt. Sein engster Mitarbeiter war David Rayfiel, der an jedem seiner Filme mitschrieb; meist ohne Vorspann-Nennung. Er fungierte als das lyrische Gegengewicht zur Stringenz der Konstruktion, raute die anscheinende Glätte von Pollacks Inszenierung poetisch auf. Ein einziger Dialogsatz genügt oft schon, um Widerhaken in die Gereimtheiten zu schlagen und Figuren oder Situationen aus einer neuen Perspektive zu betrachten, die ihnen eine unverhoffte Tiefe verleiht. Bei einem Pollack-Film offenbart sich oft erst beim zweiten Sehen, wie zuverlässig sie auch Klischee-Situationen einen doppelten Boden einzogen.

Gleichviel, in welchem Genre er arbeitete, ob Western, Thriller, Komödie, immer steht im Zentrum eine Liebesgeschichte. Diese ist meist eine Wette mit der Tragfähigkeit und zugleich Durchlässigkeit der Konventionen. Sie entwickelt sich im wehmütig tastenden Widerspruch, seine Romanzen basieren auf der Gegensätzlichkeit zweier Lebensprinzipien, die sich beharrlich in Frage stellen. Die Liebe machte seine Charaktere befangen und verlegen; ohne die Wendungen des Plots wären sich seine Hauptfiguren gewiss nie begegnet. Diese Parallelführung von Genre und privater Geschichte nimmt man nie als einen Wechsel der Ebenen wahr, sondern als deren stete Verknüpfung. Den Filmen ist der Stolz ihres Regisseurs anzumerken, den privaten Dramen mehr Platz einzuräumen, als es die Genrekonventionen üblicherweise vorsehen.

Mit Ausnahme von Bobby Deerfield (1977) war jeder seiner Filme der siebziger und achtziger Jahre ein solider Kassenerfolg, mit Tootsie (1982) und Jenseits von Afrika (1985) geriet seine Karriere in die Sphäre des Blockbusterkinos. Dass sein langjähriges Wunsch-Projekt Havana (1990) bei Kritik und Publikum derart katastrophal durchfiel, war ein Schock, den er nie ganz verwunden hat. Sein nächster Film, die Grisham-Adaption Die Firma (1993) verriet eher die Handschrift eines Produzenten, als die eines risikofreudigen Regisseurs. Zunehmend verlegte er sich fortan auf die Produktion, führte nur noch sporadisch Regie. In den letzten Jahren brillierte er in Gastauftritten, zuletzt in Michael Clayton. Auch darin bewies er noch einmal eine eigene, persönliche Handschrift: Stets problematisierten seine Figuren die Korrumpierbarkeit durch die Macht. Am vergangenen Montag ist Sydney Pollack in Los Angeles einem Krebsleiden erlegen.

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