Ihr Land mag ihnen geraubt worden sein, aber es ist noch immer ihr Verbündeter. Sam (Hamilton Morris) und seine Frau Lizzie (Natassia Gorey Furber) sind ihren berittenen Verfolgern selbst zu Fuß immer noch einen Schritt voraus. Sie bewegen sich durch Stammesland, in einer rauen, unerbittlichen Natur, zu der kein Weißer je eine so tiefe Verbindung herstellen wird wie das Aborigine-Paar. Sogar gegen das gleißende Licht der Wüstensonne scheinen sie gefeit, das ihre Verfolger blendet und deren Haut verbrennt.
Sie sind auf der Flucht, weil der Farmarbeiter Sam einen benachbarten, weißen Rancher erschossen hat. Harry March, der Getötete (Ewen Leslie), war neu in die Gegend gezogen; er war einer jener britischen Soldaten, die verroht aus dem Ersten Weltkrieg zurückkehrten und keinen Weg zurück ins Leben als Zivilisten mehr fanden. Ein Rassist war dieser Harry March aber zweifellos schon davor: einer, der alles hasst, was anders ist. Eines Nachts nimmt er sich Lizzie, mit verächtlicher Lust. Lieber hätte er mit ihrer Nichte geschlafen, aber die hat Sam vorsorglich in die Stadt bringen lassen, weil er im Blick des Farmers dessen schäbige Absichten erkannt hat. Im Dunkeln gibt der sich auch mit der älteren Frau zufrieden. Sam tötet Harry nicht aus gekränkter Mannesehre, er übt auch keine Vergeltung dafür, dass der Farmer ihn nicht für seine harte Arbeit bezahlt hat. Er will sich und seine Familie einfach nur vor ihm beschützen, als er sie wie ein tollwütiges Tier angreift.
Der Polizeileutnant (Bryan Brown), der sie daraufhin jagt, überlebt in der Wüste nur, weil Sam ihm sein Wasser überlässt. Damit besiegelt er sein eigenes Schicksal. Das weiß der Zuschauer von Anfang an, denn Sweet Country beginnt damit, dass Sam in Ketten vor Gericht steht. Vor welchem weißen Tribunal könnte er sich auf sein Recht auf Notwehr berufen?
Warwick Thorntons australischer Western scheint mit seiner Rückblendenstruktur einem Szenario der Ausweglosigkeit zu folgen. Filme über Aborigines erzählen kaum je etwas anderes als Opfergeschichten. Sie handeln von Erniedrigung und existenzieller Enteignung, vom Ausradieren und Verschwinden einer Kultur. Sie beklagen die Willkür der Gesetze, die den Ureinwohnern die vollen Bürgerrechte unfassbar lang vorenthalten haben und ihnen zwei Jahrhunderte nach Beginn der Kolonisierungen erstmals Anspruch auf Teile des Landes gaben, das ihren Vorfahren gestohlen wurde. Aber Aborigine zu sein, bedeutet auch im Kino keine einheitliche Identität. Sam, seine Familie und die weiteren schwarzen Farmarbeiter sind in der ruralen Landschaft so entwurzelt, als würden sie in der Großstadt leben. Während der Flucht trifft Sam auf einen in der Wildnis lebenden Stamm, den er als Bedrohung begreifen muss. Zur Posse, die sich an seine Fersen heftet, gehört ein eingeborener Fährtensucher, ohne den die Verfolger verloren wären.
„Meine Heimat ist weit entfernt“, sagt der alte Vormann Archie (Gibson John), der vor langer Zeit verschleppt wurde. Philomac (Tremayne und Trevon Doolan) hingegen, unehelicher Sohn eines ebenfalls rassistischen Farmers, behauptet mit jugendlichem Trotz: „Dies ist mein Land!“ Das Verhältnis zum Terrain, auf dem Filme über Aborigines spielen, ist stets ein Lackmustest für die Haltung, die sie zu ihnen einnehmen. Die australische Landschaft ist unweigerlich majestätisch, aber nicht zwangsläufig erhaben. Ihr wohnt ein melancholischer Zweifel inne. Wenn das Kino ihre ungestüme Schönheit feiert, offenen Horizont in die leuchtenden Farben des Sonnenuntergangs taucht, stellt sich stets die Frage, in wessen Namen das geschieht.
In seinem Langfilmdebüt Samson & Delilah verlieh Thornton 2009 der Sehnsucht nach einer wiedergewonnenen Heimat eindringlich Ausdruck. Seine jugendlichen Titelhelden fristen, vergleichbar mit Indigenen in US-Reservaten, in einem Wüstendorf bei Alice Springs ein Dasein von erniedrigender Monotonie. Sie muss gewaltsam aufgebrochen werden, durch Diebstahl und Flucht. Samson ist abhängig von Schnüffelstoffen, aber seine Verliebtheit Delilah gegenüber gibt ihm Ansporn, auszubrechen. Sie hat das Talent einer farbenfreudigen Malerin, an deren Arbeiten die Weißen aber kein Interesse haben. Als sie am Ende eine verfallene Farm für sich herrichten, deren Windrad in Gang setzen und Delilah vorerst als Jägerin für sie sorgen wird, setzen sie ein Siegeszeichen gegen die lähmenden Verhältnisse.
In Sweet Country ist die Frage nach der Legitimität von Landnahme in unterschiedliche Perspektiven aufgelöst. Bei der Rückkehr in die Stadt erzählt der gerettete Polizeioffizier seiner Geliebten von der Wildnis, die er durchquert hat. Er nennt sie sweet country und könnte sich vorstellen, dort später einmal Vieh zu züchten. Im australischen Englisch, das ist einer der schönen Wissenserträge, die Thorntons Film bereithält, heißen Farmen übrigens station (was in vielen Kritiken und dem Wikipedia-Eintrag fälschlicherweise mit „Bahnhof“ übersetzt wird). Sie werden als Außenposten der Zivilisation betrachtet, was natürlich auch eine Frage des Blickwinkels ist.
Sachte Utopie
Die Süße, die der Polizist entdeckt hat, scheint nicht zu passen zu der unbarmherzigen Natur, der er beinahe unterlegen wäre. Aber der aufkeimende Wunsch verleiht der Figur eine ungeahnte Tiefe, fast eine bukolische Unschuld, der man ein Anrecht nicht augenblicklich absprechen will. Der strenggläubige Farmer Fred (Sam Neill), Sams eigentlicher Arbeitgeber, hat es sich wohl schon verdient. Er ist ein aufgeklärter, gerechter Mann, der keinen Zweifel hat, dass in Gottes Augen alle Menschen gleich sind. Die puritanische Idylle, in die er seine station verwandelt hat, beruht auf dem Einklang mit der Natur; ein Garten Eden in einer Welt, die aufgehört hat, an dessen Möglichkeit zu glauben.
Fred könnte ein Garant dafür sein, dass Sam doch noch Gerechtigkeit widerfährt. Und dass der Darsteller des Richters (Matt Day), der aus der Stadt in den keinen Flecken kommt, wie sein Sohn aussieht, befeuert diese Hoffnung noch. Gegen die Widerstände der Bewohner setzt er durch, dass der Prozess kein Scharfgericht wird, sondern nach rechtsstaatlichen Prinzipien verläuft. Er gibt sich alle Mühe, farbenblind zu sein. Unvoreingenommen wägt er die Rechtsgüter gegeneinander ab und sucht die Wahrheit. Sam ist jedoch ein verschlossener Angeklagter. Er kennt die Willkür der weißen Justiz und ist nur zögerlich bereit, sich vor einem Publikum zu erklären, das es nicht abwarten kann, ihn hängen zu sehen. Nur die wohlgesinnte Beharrlichkeit des Richters veranlasst ihn, Intimes preiszugeben. Hamilton Morris gibt seiner Aussage eine berückende Schamhaftigkeit. Sams Schweigen ist ein Unterpfand seiner Würde. Es besteht darauf, dass es eine Vertraulichkeit gibt, die man nicht mit den Weißen teilen muss.
Thornton begleitet ihn mit wehmütigem Einverständnis. Er hat eine der schönsten filmischen Annäherungen an die Vorstellung gedreht, die dem traditionellen Weltverständnis der Aborigines zugrunde liegt: die Traumzeit. Sie geht von zwei Zeitebenen aus, einer objektiven, in der die Weißen leben, und einer spirituellen, unendlichen, die realer ist. Sweet Country überträgt dieses Prinzip in seine Montage. Sie verschachtelt unaufdringlich die Zeitebenen, blendet in kurzen, stummen Zwischenschnitten zurück und voraus. Bald löst sie sich aus der zeitlichen Chronologie, öffnet sich einmal dem Traum und dann auch einer sachten Utopie. Der Garten Eden steht seinen Figuren nicht als Heimat frei, aber nicht alle von ihnen müssen am Ende so bleiben, wie sie zu Anfang waren.
Info
Sweet Country, Warwick Thornton, Australien 2017, 113 Min.
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