Porträts, die während der ersten Jahrzehnte nach der Erfindung der Fotografie entstanden sind, besitzen eine bisweilen trügerische Wahrhaftigkeit. Das Auftreten der Porträtierten beglaubigte oft einen sozialen Status, den sie sich ersehnten, aber noch nicht erreicht hatten. Stolz ließen sie sich in ihrem Sonntagsstaat ablichten, wobei ihre Gesichter die Mühsal ihres Alltags nicht verbergen konnten. So verleihen ihnen die Fotografien eine zweifache Würde, als Ausdruck ihrer Lebensrealität ebenso wie ihrer Hoffnungen.
"Wenn wir ankommen, müssen wir aussehen wie Prinzen", schärft der Bauer Salvatore Mancuso (Vincenzo Amato) zu Beginn von Golden Door seinen Söhnen Angelo (Francesco Casisa) und Pietro (Filippo Pucillo) ein. Der Witwer hat seinen Hof verkauft, um die neuen Kleider und die Schiffspassagen für sich, seine Söhne und seine skeptische Mutter Donna Fortunata (Aurora Quatrocchi) bezahlen zu können. Die Mancusos wollen ihre sizilianische Heimat hinter sich lassen, deren steiniger Erde sie nurmehr eine karge Ernte abtrotzen können, die nicht zum Leben reicht. Sie brechen auf in ein freies, ein fruchtbareres Land. Zum ersten Mal in ihrem Leben tragen sie festes Schuhwerk.
Die Postkarten, die sie aus der Neuen Welt erhalten haben, verheißen ein Land des Überflusses. Auf ihnen ist ein Amerika zu sehen, in dem das Geld auf den Bäumen wächst und wo Obst, Gemüse und Nutztiere gigantische Dimensionen erreichen. Die sizilianischen Bauern haben keinen Grund, an der Glaubwürdigkeit dieser Bilder zu zweifeln. Ihr Leben war seit jeher von einer magischen Sicht der Welt bestimmt, von Ritualen und Aberglauben. Die neue Garderobe ist für sie nicht einfach nur ein Kalkül mit dem vorteilhaft falschen Schein, sondern das Unterpfand einer erhofften biografischen Verwandlung: Sie wollen Amerikaner werden.
Verantwortungsvoll übernimmt Salvatore die Führung der Reisegesellschaft, zu der auch zwei junge Frauen aus ihrem Dorf gehören, denen reiche Amerikaner die Ehe versprochen haben. Zumindest in Liebesdingen scheint in der Neuen Welt ein ebensolcher Pragmatismus zu herrschen wie in der alten: Vor dem Ablegen des Schiffes schließt sich ihnen die geheimnisvolle Engländerin Lucy (Charlotte Gainsbourg) an, die bis zum Ende der Reise einen Ehemann finden muss, um in die USA einwandern zu können. Die Reise ins Gelobte Land führt zunächst von einer Insel zu einer anderen, zu dem Manhattan vorgelagerten Ellis Island, wo die US-Einwanderungsbehörde 1892 eine Schleuse einrichtete, die fast alle Einwanderer passieren mussten.
Die vierwöchige Schiffsreise stellt einen enormen zivilisatorischen Schritt dar, der die Mancusos von einer archaischen Welt in die Industriegesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts führt. Brüsk werden sie mit deren Sitten gleich bei ihrer Ankunft konfrontiert. Die Insel gleicht einer Fabrik, in der ihre medizinische und bürgerliche Tauglichkeit als Amerikaner geprüft wird. Ihre erste Erfahrung auf amerikanischem Boden ist nicht die der Integration, sondern der Auslese. Sie wird mit der gleichen Effizienz betrieben wie in den Schlachthöfen von Chicago; das demütigende Prozedere gemahnt daran, dass es noch gar nicht so lang her ist, als in den USA die Sklaverei abgeschafft wurde. Die eugenistischen Kriterien, nach denen die Selektion vorgenommen wird, muten barbarisch an; der vermeintlich taubstumme Pietro und die willensstarke Mutter laufen Gefahr, abgewiesen zu werden.
Emanuele Crialeses Blick auf die Figuren ist der eines wohlwollenden, poetisch gestimmten Ethnologen. Ihre Leichtgläubigkeit und ihr Analphabetismus sind ihm kein Anlass, sie gönnerhaft zu betrachten. Die Zuversicht und Unverwüstlichkeit der Migranten speist sich nicht allein aus ihrem Mut und ihrer Neugierde, sie beruhen nicht zuletzt auch auf den Werten und Gaben, die sie sich in ihrer Heimat erworben haben. Die Mancusos bilden eine unverbrüchliche Gemeinschaft, die die Beschwernisse der Atlantik-Überquerung als Bewährungsprobe hinnehmen. Crialese führt sie zu einem dichten Ensemblespiel zusammen (Vincenzo Amato und die Darsteller der Söhne haben auch in seinem vorangegangenen Film, Lampedusa, eine Familie verkörpert). In manchen Großaufnahmen erreicht Golden Door das redliche Pathos der Filme von John Ford, für den eine Galerie individueller, vielfältiger Gesichter für das Funktionieren des Schmelztiegels USA bürgt. In der Kamerafrau Agnès Godard, die für Claire Denis den Körpern die Erhabenheit von Landschaften verlieh, hat er eine leidenschaftliche Komplizin gefunden.
So gelingt ihm, was im Kino sonst mit großem, epischem Atem inszeniert wird, aus einer rigoros intimistischen Perspektive zu schildern. Er erzählt das Drama der Emigration aus einer zärtlichen Nähe zu den Figuren heraus, in der die Träume einer ganzen Generation aufgehoben sind. Er hat seinem Drehbuch eine strenge Dreiaktstruktur gegeben, als wolle er sich auf diese Weise umso intensiver in die Stationen der Reise versenken, sie als konkreten Ort umso erfahrbarer werden zu lassen. Die Reise der Mancusos vollzieht sich als ein Prozess der zunehmenden Verengung ihres Lebensraums. Die Weite der sizilianischen Landschaftstableaus weicht in der drangvollen Enge des Zwischendecks und bei der Massenabfertigung auf Ellis Island zusehends einer entwürdigenden Klaustrophobie. Die "goldene Pforte", die der internationale Verleihtitel evoziert (der Originaltitel horcht ein wenig emphatischer auf die Sehnsüchte der Figuren: Nouvomondo) erscheint vor allem als eine Barriere. Die Ideale, die Amerika für die Einwanderer repräsentiert, stehen noch unter Vorbehalt. Crialese geleitet seine Figuren nur bis zu diesem Punkt. Das ist ein kühnes, keineswegs mutloses Innehalten: Was sie dahinter erwartet, stellt er der Phantasie seiner Zuschauer anheim. Der Regisseur ist mit den Einwanderersagen von Coppola, Kazan und Scorsese aufgewachsen, die zwischen Mythos und bitterer Erfahrung schillern. Crialese entzaubert Amerika nicht als große Illusion. Aber er verteidigt die Reinheit der Träume gegen die trügerische Macht der Bilder.
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