Die Antwort weiß allein der Wind

AUFSCHREI EINES GEQUÄLTEN FANS Eine Bob-Dylan-Biographie von Willi Winkler

Das ist ein grässliches Buch. Ich habe es zweimal gelesen. Einmal von vorn nach hinten, einmal von hinten nach vorn, mit dem Rotstift in der Hand. "Da können die Seriositätskasper noch so groß und verächtlich tun, die Popmusik, das Windigste, Vergänglichste, Plastikhafteste, was es in der Kunst gibt, führt ein zähes Leben. Die Songs mögen kompreß und gehetzt sein, nur in bedeutenden Ausnahmen die Dreiminutengrenze überschreiten, sie fassen doch die ganze Welt von Herz bis Schmerz und wieder zurück. Ein Riff wie der Anfang von ›Satisfaction‹, unzweifelhaft erfunden zwischen einer mittelmäßigen Orgie und einem gewaltigen Kater, ein Fehlgriff wahrscheinlich auf Keith Richard´s Gitarre und nichts weiter als brummdumme Art brut, reißt womöglich genau die eine Saite an, mit der, wie es beim Dichter Eichendorff heißt, die ganze Welt zu singen anhebt." Das ist der Stil: lässig, seines Gegenstandes überdrüssig, Bildungsballast wie Müll auskippend, die große müde Geste des weitgereisten Insiders. So zeichnet Willi Winkler das Bild seines Helden Bob Dylan. Was er von ihm sagt, trifft auch auf ihn selbst zu: "Er foppt seine Zuhörer erbarmungslos, irritiert mit fehlgefingerten Intros, wechselt die Tonart, stümpert sich durch den Song und kommt ganz woanders an. Ist er´s, oder ist er´s nicht? ER ist´s, wer denn sonst?" Der Feuilletonist im Spiegel-Stil; der Autor kommt aus dem tiefen Blätter-Wald. Er war, verrät der Cover-Text, Redakteur der Zeit und des Spiegel. Er erzählt in der abgelegten Geste des Welterfahrenen, für den das alles nicht neu ist, und er erzählt es einer Gemeinde, die keine Ideale mehr hat, sondern nur noch Details. Goethes Faust ist blutiger Ernst, weil er sich in den Finger geschnitten hatte, keine Frage.

Und die das Symbolische heranzieht als Erklärung. So beginnt dieses Ein Leben: "Bob Dylan kam als Robert Allan Zimmerman am 24. Mai 1941 in der nordamerikanischen Stadt Duluth zur Welt." Nein, so beginnt es nicht. Ein deutscher Autor hat das Ganze im Auge. Er muss 3.000 Jahre überblicken können, sagt Goethe. Winkler nimmt wenigstens zweitausend: "Als Erzählung leidet das Leben Jesu unter dem Mangel, dass praktisch nichts über seine Kindheit und Jugend bekannt ist. Er wurde unter nicht ganz eindeutigen Umständen geboren, zur vorgeschriebenen Zeit beschnitten und im Tempel dargestellt. Dort, er war wohl zwölf, verlor ihn die Mutter aus den Augen und fand ihn wieder, wie er im Kreis der Schriftgelehrten hermeneutische Probleme der Bibellektüre diskutierte. Da kündigte sich Großes an ..." Zimmerman, der Sohn des Zimmermanns. Freilich tat der Vater Abraham mehr als der Vater Josef. Einmal zerriss er sogar ein Bild von James Dean, des Jugendidols des Zwölfjährigen. "Die bekannten Leiden eines Knaben", heißt es da. Aber es muss weiter heißen: "Längst vorgeschrieben im Buch der Bücher, in der ersten Künstlerlegende. Auch Jesus verließ Vater und Mutter und seine Heimatstadt, weil er nicht so ganz von dieser Welt war."

Bob Dylan Superstar. So kommt in dieses Leben Fahrt. Auf dass die Schrift erfüllet werde. Die Folie ist immer parat, und am Ende werden die Wundertaten des Menschensohns verzeichnet, 43 Schallplatten und CDs mit allen seinen Song-Titeln, die er bis auf den heutigen Tag verrichtet hat. Auch mangelt es nicht an Bildern, denn in diesem Land ersetzt das Bild die Welt. Bob Dylan mit Mikrophon, Bob Dylan mit Sonnenbrille, Bob Dylan mit Joan Baez. Bob Dylan mit Gitarre und Mundharmonika. Bob Dylan mit Ehefrau Sara. Bob Dylan mit einem Pappkarton. Bob Dylan mit John Lennon. Bob Dylan mit dem Papst. Bob Dylan mit Martin Luther King. Dieses Bild fehlt. Ich blättere noch einmal durch das Buch. Martin Luther King, die Bürgerrechtsbewegung, die Anti-Vietnam-Demonstrationen. Keine Fotos davon mit Bob Dylan. Mit seinen Konzerten war er aber dabei. Im August 1963 trat er im Abschluss-Konzert von Martin Luther Kings Marsch auf Washington auf. Aber davon gibt es kein Foto. Der Sänger begegnet immer nur sich selbst.

Wer alles weiß über Bob Dylan, findet sein Fan-Wissen bestätigt. Es war genau so. Wer nichts weiß über Bob Dylan, der findet sein Nicht-Wissen auch bestätigt. Er versteht ihn hinterher so wenig wie vorher. Bei Brecht, oder Walt Whitman, oder Arthur Rimbaud soll er die Poesie gelernt haben, aber was er gelernt hat, das bleibt dunkel. Blowin´ in the Wind, seinen hernach berühmtesten Schlager, schrieb er, erfahren wir, im April 1962 zusammen mit seinem Freund David Cohen im Café-Haus an der MacDougal Street. So geht es fort, das Detail erklärt alles, und irgendwann hat man diese Details, diese Symbole, diese Bilder satt. Ein grässliches Buch.

Wenn Du, lieber Leser, diesen Punkt erreicht hast, auf Seite 68 oder Seite 93, dann rate ich Dir, das Buch zuzuschlagen, eine gute Tasse Kaffee zu trinken, die es vielleicht auch anderswo als nur in der MacDougal Street in Manhattan gibt, und Dich im Bewusstsein zurückzulehnen, dass Du selbst, hätte man Dich nur gefragt, ein viel besseres Buch über Bob Dylan, den Sänger der Erniedrigten und Beleidigten, Entrechteten und Verfolgten, geschrieben hättest. Und dann, rate ich Dir, schlage das Buch wieder auf, diesmal auf Seite 195. "Es macht keinen Spaß, habe ich vorher gesagt, auch nur von fern Zeuge eines derart epischen Niedergangs zu werden, wie ihn Bob Dylan mit marternder Konsequenz über Jahrzehnte hingelegt hat. Selbst der frömmste Dylanologe wird den Abstieg von dem leicht verschlagenen Liebeslied To Ramona (1964) zu Baby, Stop Crying (1978) zugeben müssen ... Ein Schande. Es ist vielleicht auch das Vorrecht des Herrn Künstlers, sich mit diesem Schmarrn von dem amphetaminen Druck von früher zu befreien, aber herrgottnochmal! Schön war es nicht." Das ist der wirkliche Ton des Buches: der Aufschrei eines gequälten Fans, der enttäuscht ist von dem Idol seiner Jugend. Den der Massenzirkus, der Musikkommerz und das politische Geschäft anwidern, und dem doch die wehmütigsten Tränen kommen bei der Erinnerung an die schönen Stunden und die schönen Lieder, die dann so zerdroschen, zerfetzt und zertrampelt wurden von seinem eigenen Schöpfer. Und dann lies das Buch rückwärts, und diesmal ohne Rotstift: Von seinem "schönsten Konzert", im Juli 1994 "in Dresden an der Elbe", von dem arrangierten Benefiz-Konzert 1992 im Madison Square Garden in New York, von seinem spektakulären Auftritt 1997 auf dem 39. Eucharistiekongress in Bologna vor dem "aus Film, Funk und Fernsehen bekannten Heiligen Vater". Die Beschreibung dieses Konzerts ist das Beste dieses Buches. Wie Bob Dylans Erscheinen das propagandistische Brimborium wegfegt, er aber doch nicht als neuer Jesus gefeiert wird, sondern ihm "Judas"-Rufe entgegenschallen, wie er in Depression wegfährt, das ist meisterhaft dargestellt. Ein journalistisches Klagelied von tiefer Betroffenheit. Dylan-Zimmerman ist Dylan-Judas, der Verräter, aber was er verraten hat, ist er selbst. Aus Dylan, dem Schöpfer, ist geworden Dylan, das Geschöpf, das Produkt der modernen Massenmedien, manipuliert und manipulierbar, und doch bleibt die Hoffnung auf eine Wiederkehr. Winkler liefert keine Analyse der amerikanischen Musik-Industrie, aber er zeigt, wie eine große Weltveränderungshoffnung marktgängig und in ihr Gegenteil verkehrt wird. Als Buch der verlorenen Illusionen beschreibt es mehr als seinen Gegenstand. Massenbetrug und Selbstbetrug, Täuschungen und Enttäuschungen sind das literarische Grundthema des 20. Jahrhunderts. Und es ist geradezu rührend, dass Willi Winkler am Ende immer noch eine Kerze für sein Idol ins Doppelfenster stellt und "auf ein gigantisches Spätwerk" hofft. Die letzte Geste ist hilflos: "Ich frag ja bloß." Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind. Aus den gedruckten Zeilen spricht eher Skepsis. So ist das Buch auch lesenswert.

Willi Winkler: Bob Dylan. Ein Leben. Alexander Fest Verlag Berlin 2001, 206 S. 49, 80 DM

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