Oskar Lafontaine als Buhmann der Republik

Diffamierung statt Argumente Wie das ARD-Magazin "Panorama" auf ein Phantom einprügelt

Über mangelnde Publizität kann sich der Parteivorsitzende der Linken nicht beklagen. Allein die Neugründung, die nichts anderes war als eine Angleichung an die europäische Normalität, hat in der Parteienlandschaft der Bundesrepublik Turbulenzen ausgelöst, die bis heute anhalten. Wen man nicht totschweigen kann, muss man auf andere Art zu schlagen suchen. Statt es mit Sachargumenten zu probieren, verlegt sich da mancher auf die persönliche Diffamierung.

Das bisher krasseste Beispiel lieferte ausgerechnet Panorama, als politische Magazinsendung der ARD eine Institution von Tradition und bis heute hohem Ruf. In Abwesenheit der Moderatorin Anja Reschke wurde da ein Versuch mit untauglichen, genauer: journalistisch fragwürdigen Mitteln unternommen, Oskar Lafontaine zu demontieren, zu entlarven, zu überführen.

Hier waren Leute am Werk, die bereit und entschlossen schienen, jeden Satz von Lafontaine vorsätzlich misszuverstehen, ganz egal was er gerade sagt. Und als trauten sie ihren eigenen Beweisen nicht, lieferten sie, unterstützt von dafür sorgfältig ausgesuchten Kapazitäten, zu jedem Zitat eine Interpretation, die durch das Original nicht abgedeckt war, um dem Zuschauer beizubringen, wie der das Ganze (miss)zuverstehen habe. Dieser Panorama-Beitrag, der wie eine Auftragsarbeit wirkte, weil er in der Sendung ein Fremdkörper blieb, war ein Tiefpunkt des Fernsehjournalismus, Lichtjahre entfernt vom Geist eines Gert von Paczensky, eher in der Tradition von Gerhard Löwenthal unseligen Angedenkens.

Schon die Anmoderation ließ keinen Zweifel an der beabsichtigten Einstimmung. Vorgestellt wurde Lafontaine da als ein Mann, der "in schlimmstem NPD-Jargon gegen Fremdarbeiter (hetzt)". Angekündigt wurde ein Bericht "über einen begnadeten Demagogen, der seine Zuhörer besoffen redet, damit sie nicht merken, wie er trickst, täuscht und verdreht". Es lohnt sich, die Beweisführung von Panorama einmal unter die Lupe zu nehmen.

Beispiel (1): Man wirft Lafontaine vor, er habe den früheren Papst fälschlich zum Kronzeugen seiner Politik gemacht, für die Abschaffung des Kapitalismus und seine Forderung "Freiheit durch Sozialismus". Dabei habe Johannes Paul II. den Sozialismus doch bekämpft wie kein anderes Kirchenoberhaupt. Als Kronzeuge tritt ein Berater des Vatikans auf, der erklärt: "Dass er (Lafontaine) gerade diesem Papst Sozialismus freundliche Töne andichtet, halte ich für einen grotesken Missbrauch". Was war geschehen? Hatte Lafontaine dem Papst zu Unrecht sozialistische Neigungen unterstellt, ihn womöglich falsch zitiert? Nichts von alledem. In einem Aufsatz (FAZ vom 9. Juli 2007) hatte er lediglich dessen Satz wiedergegeben: "Die menschlichen Defizite dieses Wirtschaftssystems, das die Herrschaft der Dinge über die Menschen festigt, heißen Ausgrenzung, Ausbeutung und Entfremdung." Dazu Panorama: "Es passte halt so schön. Eine Detailkritik wird bedenkenlos aus dem Zusammenhang gerissen."

Beispiel (2): Rentensystem. Panorama wirft Oskar Lafontaine vor, in der FAZ geschrieben zu haben: "Die OECD-Statistik ist für uns erschütternd. Die deutschen Rentner haben die niedrigste Rente aller Industriestaaten zu erwarten."

Diesmal wird eine Sprecherin der OECD vor die Kamera geholt, die erwartungsgemäß erklärt: "Das ist in dieser Studie nie gesagt worden." Richtig sei: "Nur Geringverdiener haben die niedrigste Rente zu erwarten." Was die von Panorama falsch informierte Dame nicht wissen konnte: Exakt das hatte auch Lafontaine in der FAZ geschrieben. Wörtlich: "Der letzte OECD-Bericht kommt zu einem erschütternden Ergebnis. Diejenigen, die bei uns unterdurchschnittliche Löhne erhalten, haben die niedrigste Rentenerwartung aller Industriestaaten." Der Fall entbehrt nicht der Komik. So arbeiten Journalisten, die einem anderen falsches Zitieren vorwerfen wollen. Noch einmal Panorama: "Doch Lafontaine lässt vor allem das entscheidende Ergebnis der Studie einfach weg. Die guten Noten für die deutsche Rentenpolitik." Dass diese Bewertung im Kontext seiner auf Fakten basierenden Argumentation ohne Bedeutung war, spielt für Panorama keine Rolle.

Beispiel (3), O-Ton Panorama: "Eine weitere Lafontaine-Spezialität: Verharmlosung durch Vergleiche. Vor allem, wenn es um die Schuld der SED geht." Zum Beweis dient der Mitschnitt aus einer Rede vom 16. Juni: "Die Linke fühlt sich dem Erbe derer verpflichtet, die als Sozialdemokraten in der DDR eingesperrt waren, wie den Kommunistinnen und Kommunisten, die in der Bundesrepublik Deutschland eingesperrt und verfolgt wurden. Beides gehört zusammen, und beides muss gesagt werden."

"In einem Atemzug, als gäbe es keinen Unterschied ...", kommentiert Panorama und bemüht als Autorität einen Parteienforscher mit dem Statement: "Die politische Verfolgung von Staatsfeinden mit rechtsstaatlichen Mitteln gleichzusetzen mit Mauertoten, mit Zuchthauseingesperrten, mit Sibirien-Verfrachteten ist geradezu eine Verhöhnung der Geschichte."

Einmal abgesehen davon, dass Lafontaines Erinnerung an zwei Gruppen von politisch Verfolgten, denen sich seine Partei besonders verbunden fühlt, mit einem Systemvergleich nichts zu tun hat, der von ihm auch offensichtlich nicht beabsichtigt war, kann man dem Herrn Professor nur dringend die Lektüre von Heinrich Hannovers Die Republik vor Gericht empfehlen, falls er sich über die Realität des Rechtsstaates Bundesrepublik in Zeiten des Kalten Krieges informieren will.

Der Magazinbeitrag endet mit einem Streit zwischen Lafontaine und Trittin zum Thema Kosovo, in dem Aussage gegen Aussage steht. Aber schon die bisherigen Beispiele zeigen deutlich die journalistische Methode, die hier beleuchtet werden sollte.

Wohlverstanden: Man muss auch Oskar Lafontaine kritisieren und ihm gegebenenfalls widersprechen können. Aber man soll sich mit ihm und seinen Thesen auseinandersetzen, nicht aber auf ein Phantom einprügeln, dem man seinen Namen gibt.


OECD: Rote Laterne für Deutschland beim Rentenniveau

Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat jüngst in einem Gutachten vor einer steigenden Altersarmut gewarnt. Bei den gesetzlichen Rentenleistungen für Geringverdiener liege Deutschland unter den 30 OECD-Staaten an letzter Stelle, heißt es in einem Bericht. Grund sei, dass die Leistungen im Gegensatz zu den meisten anderen Mitgliedsländern linear an das Einkommen gekoppelt seien. Das Rentenniveau für eine Standarderwerbsbiografie mit 45 Beitragsjahren sank in Deutschland laut OECD im Zuge der Rentenreformen aus den vergangenen Jahren von 48,7 auf 39,9 Prozent des Bruttoeinkommens. Im OECD-Durchschnitt würde derzeit ein 20-jähriger Durchschnittsverdiener, der heute in das Erwerbsleben eintritt, als Rentner 58,7 Prozent seines Bruttoverdienstes erhalten.

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