Aufstieg aus der Tiefe

Ground Zero Die Gärten des Daniel Libeskind ermöglichen ein patriotisches Finale

New York wird sich noch an den neuen Höhenrekord dieses markanten Stiletts gewöhnen müssen. 1776 Fuß misst der schlanke Wolkenkratzer, dessen spitze Nadel wie ein Pfeil in den Himmel ragt. Der preisgekrönte Entwurf des polnisch-amerikanischen Architekten Daniel Libeskind für Ground Zero hat die Rekordmarke von 540 Metern mit Bedacht gewählt. Der Höhenrekord wird irgendwann fallen, doch die zwischen Himmel und Erde schwebenden Gärten sind ein Glücksversprechen, eine faszinierende poetische Metapher, die nahe legt, dass es nach jeder Zerstörung ein Recht auf Optimismus gibt. Die jüngste Hoffnung ist schmal, kantig und radikal. Erdabgewandt, erschließt sie ein kosmisches Panorama, das die Welt zur Scheibe erklärt. Das verblassende Bild des World Trade Center hat hier eine aggressive Replik gefunden, die die Jury begeisterte. Zudem ist die Zahl 1776, das Jahr der Unabhängigkeit, symbolträchtig.

Die zu einem Halbkreis sich schließenden scharfkantigen Quader signalisieren Aufbruch und Besinnung. Sie sind als patriotische Zeichen verständlich und deshalb populär. Der dekonstruktivistische Ausbruch dieser wuchtigen Monumentalplastiken ist eine Huldigung an die Vertikale. Der Vorsitzende der Jury, John Whitehead, rühmt den spiralförmigen, in den Himmel emporstrebenden Vertikalismus als »atemberaubend, genial und praktisch«, eine zutreffende Charakterisierung, die der Intention des Architekten durchaus entspricht. Libeskind schafft eine neue Raumfigur dadurch, dass er den bisher praktizierten solitären Vertikalismus der Wolkenkratzer in einem Halbkreis fasst und so dem Pathos des Gedenkens eine monumentale Fassung gibt. Der Einwand, dass durch die spiralförmige Aufwärtsbewegung eine religiöse Metapher sich zu einer Apotheose des Gedenkens ausweiten könnte, mag angesichts der 3.000 Toten vertretbar sein. Doch die pathetisch-patriotische Erhöhung zur Monumentalfigur offenbart, wie tiefgreifend der Anschlag eine Nation verletzte. Sie beweist, dass eine solche Überreaktion durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Dass Liebeskind seinen Entwurf nicht nur mit Raumgittern überhöht, sondern auch mit Symbolen wie einem »Lichtkeil« zusätzlich mit Bedeutung überfrachtet, mag aus dem hohen Erwartungsdruck resultieren, der diesen medialisierten Wettbewerb überschattete. Der emotionalen Bilderflut der Medien konnte nach Ansicht von Libeskind nur ein radikaler, mit Bedeutungsbezügen angereicherter Entwurf entsprechen.

Die besondere Fähigkeit, Emotionen aufzunehmen, sie gleichsam in einen Energietransfer umzuwandeln, verleiht seiner brillanten Raumidee eine zusätzliche Schubkraft. Sie ist aber auch das Resultat eines intensiven Nachdenkens über die angemessene Funktion von Gebäuden. Dieses Ausspielen von Gegensätzen unterscheidet Libeskinds Arbeiten von konventionellen Museumsbauten.

Freilich, im Hochgefühl um die Form hatten die Auslober übersehen, dass es bei städtebaulichen Projekten auch um den Ausbau der Infrastruktur geht. Diesen Beweis wird Daniel Libeskind demnächst liefern müssen. Noch wirkt die Einbindung des Monuments in Down Town Manhattan als große Inszenierung, die ihre Bewährungsprobe in der konkreten Ausführung vor sich hat. Schon die Wettbewerbsausschreibung enthielt sich klarer Zielvorgaben. So könnten wirtschaftliche Interessen der Stadt, aber auch die Einflussnahme ungleicher Eigentümer zu Unstimmigkeiten und zu Rivalitäten führen, somit den Entwurf nachhaltig verändern. Eine brisante Ausgangslage, die Einigkeit zwischen den konkurrierenden Bundesstaaten New York und New Jersey verlangt, aber auch die Interessen New Yorks berücksichtigen muss.

In dieser Phase schwebender Ungewissheit, wie die Kulturflächen von Ground Zero genutzt oder wie das geplante Memorial finanziert werden könnte, erregt die Radikalität des Entwurfs in seiner Kühnheit und Maßlosigkeit ein gewisses Erstaunen. Noch mehr überraschen muss das Lob, das Libeskind von Lokalpolitikern erhielt. New Yorks Bürgermeister Bloomberg rühmte die »ikonische Kraft« des Entwurfs, während John Whitehead als Juryvorsitzender den »emporstrebenden Optimismus der Stadt« hervorhob. Ein Chor von Patrioten, der trotz sachlicher Einwände eine heroische Aufbruchstimmung im Entwurf zu erkennen glaubte und sich auch von der aufgesetzten Metaphorik keineswegs irritieren ließ. Harsche Kritik kam dagegen von dem Architekturkritiker der New York Times, Herbert Muschamp, der Libeskinds Entwurf als geschmacklos und emotional manipulierend charakterisierte.

Kein Zweifel, der philosophierende Architekt versteht es, mit seinem missionarischen Vorstellungsvermögen die Aufmerksamkeit auf Symbole zu lenken und damit eine dramatische Spannung zu schaffen, die für Memorials ungewöhnlich ist. Vielleicht ist es das Übermaß an Pathos, die enge Verflechtung von Form und Bedeutung oder die aggressive Art der Selbstbehauptung, die eine kontroverse Architekturdebatte auslöste.

Der Mut, die Spuren der Zerstörung in den Entwurf aufzunehmen, die leere zerkratzte Betonwanne mit ihren Fußabdrücken der Twin Towers als historischen Beleg einzubeziehen, dokumentiert Verantwortung und historisches Bewusstsein. Libeskind, der Verkünder der Leere, hat hier dem Ort jene Ruhe zurückgegeben, die man Toten schuldet.

Aus dieser räumlichen Schichtung entwickelt sich seine Entwurfsidee: Unterwelt, reale Welt und Kosmos. Die Spirale als raumübergreifendes Zeichen, das sich in metaphysische Bereiche verliert. Fragen nach dem Stand urbaner Dienstleistung verschwinden vor diesem bedeutungsschweren Hintergrund. Die Architektur wird ihrer Pflicht entkleidet und vom spirituellen Glanz der Ideen überstrahlt. Die schroffe Form der Baukörper folgt bedingungslos dem »Keil des Lichtes«. Er wird zu einem neuen Parameter, an dem sich der Vertikalismus von gestern messen muss. Was leuchtet, ist die Vision von Hochhausgärten mit unterschiedlichen Klimazonen. Das morbide Gegenbild der konkurrierenden Architekten, mit zwei Stahlgerüsten die Silhouette des World Trade Center nachzubilden, hatte bei der Jury keine Chance.

Eine zehnjährige Realisierungsphase ist mit vielen Unwägbarkeiten verbunden. Sie muss sich als Stadtreparatur bewähren. Fast eine Million Quadratmeter Büroflächen fehlen, ein neuer Verkehrsknotenpunkt für Down Town Manhattan soll Wachstumsimpulse bringen, um so ein zerstörtes Kommunikationszentrum wieder funktionsfähig zu machen.

Offen bleibt die Frage, ob es den beteiligten Architekten gelingt, die Höhenvision des Masterplanes mit prägnanten Hochhäusern zu realisieren. Ein hohes Restrisiko bleibt: Es ist das Ausformulieren räumlicher Beziehungen, die letztendlich über die Qualität des städtebaulichen Projekts entscheiden.

Debatten über symbolhaltige Orte vermitteln selten ein homogenes Meinungsbild: Emotionsbehaftete Symbolik beeinflusst nachhaltig die öffentliche Meinung. Erst das fertig gestellte Bauwerk wird Gewissheit bringen, ob Idee und Rentabilitätsdenken in diesem ungewöhnlichen Entwurf zur Einheit gelangen. Schwelende Emotionen verleiten dazu, in patriotischen Zeiten die Schrecken der Katastrophe ins Heldenhafte zu überhöhen und damit auch die Rhetorik über die angemessene Form des Memorials zu verstärken.

Nach der Beseitigung der Trümmer blieb eine sechseinhalb Hektar große Fläche zurück. Ein leerer Raum, erfüllt von Trauer und Schmerz, ein imaginärer Ort, der Tiefen und Höhen, Angst und Hoffnung bündelt.

Zwei Aspekte konnte Libeskind als Erfolg verbuchen: eine angemessene Gedenkstätte für die Opfer zu entwerfen, ohne dabei die wirtschaftlichen Interessen der Geschäftsleute zu verletzen. Psychologisch geschickt verstand es der Architekt, den latenten Höhenrausch New Yorks in eine kollektive Form zu übersetzen und dem Schreckensszenario der Vergangenheit eine optimistische Variante entgegenzuhalten. Eine Architekt, der Symbole sucht und an die Symbolkraft der Architektur noch glaubt.

Der »Lichtkeil« als Symbol des Widerstandes und des Sieges, ein Zeichen der Erinnerung an das Attentat vom 11. September, das nicht nur den damaligen Sonnenstand markiert, sondern durch den fehlenden Schatten für kurze Zeit die Katastrophe beschwört. Die gleichsam in Gezeiten geronnene Rhetorik ist jedoch nicht nur eine Reverenz an die Helfer und Helden, sie ist auch Ausdruck eines emotional aufgeladenen Patriotismus, der Amerika seit dem 11. September beherrscht. Der Aufstieg aus der Tiefe hat jedoch noch ein anderes, zeitlich versetztes Motiv für die Architektur zutage gebracht: Es ist die Suggestion von Höhe, die bei Libeskind kosmische Dimensionen erreicht.

Bilder von Katastrophen provozieren Fragen, benötigen Erklärungen und brauchen Bilder, um über seelische und materielle Verluste hinweg zu kommen. Der Terroranschlag als Herausforderung: Daniel Libeskind hat den Erwartungen der Öffentlichkeit entsprochen. Ground Zero als patriotisches Finale, das auch die mentalen Unterschiede zwischen amerikanischer und europäischer Architektur deutlich macht.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden