Das Ende der Besatzung

Gefühl und Härte Zum Neubau der Berlinischen Galerie in der Alten Jakobstraße

In Krisenzeiten baut man bescheidener: Spät hat Berlin diese Tugend erkannt und mit dem Umbau eines Industriebaus in der Alten Jakobstraße in Kreuzberg ein respektables Ergebnis vorgelegt. Nach zwei Jahren Planung und Bauzeit kann sich die Berlinische Galerie ruhig feiern lassen. Ihr neues Domizil ist ein nüchterner und zugleich großzügiger Bau, der den Kunstwerken viel Raum lässt. Ein aus 125 Namen von Künstlern zusammengesetzter Teppich vor dem Eingang des neuen Museums liest sich wie eine Visitenkarte internationaler Kunst. Die gelben Quadrate werben am Rande Kreuzbergs für die Moderne, wohl aber mehr noch für Berlin.

Kunst als Ort des Aufbruchs, wohl aber mehr noch als Ort der Erinnerung. 29 Jahre nach Gründung der Berlinischen Galerie kann nun auf 4.600 Quadratmetern Ausstellungsfläche eine bedeutende Sammlung gezeigt werden.

Das neue Quartier entstand aus einer ehemaligen Glaslagerhalle, deren nun weiß-graue Kuben von der Sachlichkeit eines neuen Bauens künden. Der zweigeschossige, quadratische Baukörper ist von einfacher Kubatur, welche die räumlichen Vorzüge des Innenraumes nur ansatzweise zeigt. Der neue Standort ist der renommierten Sammlung angemessen: hohe Hallen, fließende Räume und intime Kabinette erlauben eine differenzierte Präsentation. Der aus einem Altbau hervorgegangene Museumsbau bietet Platz für Wechselausstellungen, für Installationen und Raum für bildende Kunst. Aber auch Fotografie und Architektur sowie eine umfangreiche Grafische Sammlung haben hier ein neues Zuhause.

Der erste Eindruck der Innenräume: eine karge Konstruktion und eine klare Anordnung. Jörg Fricke als verantwortlichem Architekten gelang es, die Grundstruktur des Gebäudes zu erhalten und mit sparsamen architektonischen Mitteln die Raumbezüge durch Sichtachsen und Galerien zu weiten. Ein Umbau ohne raffinierte Details, der sich primär auf die Raumqualität konzentriert.

Vielleicht war es die quadratische Grundfläche des Altbaues, die den Architekten bewog, ein strenges rechtwinkliges Raster von unterschiedlichen Raumgrößen zu entwickeln. Das Foyer bietet einen Einblick in die hohe Halle. Der suggestive Blick fällt auf die großformatigen Farbfotos von alliierten Soldaten, legt eine dominierende Raumachse frei, zeigt den historischen Schnittpunkt, an dem sich Vergangenheit und Gegenwart berühren. Frank Thiels Soldatenporträts markieren das Ende der Besatzungszeit.

Zwei hohe Hallen, an der Ost- und Westseite des Gebäudes positioniert, erlauben großräumige Installationen: Svetlana Kopystianskys hoher Buchzylinder steht hier als eine Bildungssäule, die man bewundern, aber nicht berühren darf. So großzügig die Raumfolgen auch sind, ausgerechnet im Zentrum der Ausstellung spürt man eine merkwürdige Steifheit: drei schlanke Säulen teilen den hohen Raum und verstärken die durch die diagonale Freitreppe hervorgerufene Unruhe. Vergleichbar einer Schere, welche die Halle zerschneidet, wird hier die Freitreppe als schlichter Funktionsträger in die Mitte des Raumes platziert. Die Folge: Die Halle verliert ihre Geschlossenheit.

Die Rasterwände im Erdgeschoss erschließen unterschiedliche Räume, die der Malerei, der Skulptur und der Fotografie vorbehalten sind. Es ist die historische Substanz, die immer wieder die Grundqualität von Raumfolgen garantiert, einen Wechsel aus Höhe und Weite, aus Durchbrüchen und Durchblicken. Die Tektonik des Altbaues wurde somit transformiert und in das neue Museum überführt. Diese unspektakuläre Überleitung kommt den Kunstwerken zugute. Ob als Wispern deformierter Figuren oder als Interieurs kleiner schmuddeliger Zimmer: Die lebensgroßen Figuren von Edward und Nancy Kienholz, die den Swing der bewegten siebziger Jahre gespeichert haben, sind Anlaufstationen. Die im Dialog zueinander stehenden Figuren vertiefen den Eindruck von Banalität und Einsamkeit. Sie werden zu Zeitzeugen einer Epoche.

Weiße Wände, weiße Zwischenwände, weiße Konstruktionsteile: Die Einheitsfarbe Weiß macht die Räume fließender und abwechslungsreicher. Ein Schienensystem an der Decke setzt jeden Ausstellungsgegenstand ins rechte Licht; Epochenvergleiche sind durch die offenen Raumabfolgen jederzeit möglich. Flexible Räume schaffen Bewegungsfreiheit, erlauben Abschweifung und Zeitreisen, die den individuellen Bedürfnissen der Besucher entgegenkommen.

Herausragend ist Emilio Vedovas Installation, ein überdimensionales, absurdes Berliner Tagebuch, das als räumliches Tableau wild und aggressiv auf die Turbulenzen der späten sechziger Jahre in Berlin antwortet. Das Obergeschoss ist durch kleinteilige Stellwände aufgefächert. Die klassische Moderne, ein Studiensaal und der Eberhard-Roters-Saal liegen an der Außenseite des Gebäudes. Die als großes Rechteck angelegte Galerie ist Zentrum und Schnittstelle. Die Deckenhöhe ist stark reduziert, so dass die kleinen intimen Kabinette ein Zwiegespräch mit den Arbeiten ermöglichen. Die gleich bleibende Struktur tektonisch gegliederter Räume gestattet es dem Besucher durchaus, aus dem chronologischen Aufbau auszubrechen, Querverbindungen zu suchen, um so neue Einblicke in andere Epochen zu gewinnen.

Es mag am intelligenten Aufbau und an der Qualität der Exponate liegen: Die Berlinische Galerie betreibt in ihrem neuen Museum epochenübergreifend europäische Kunstgeschichte. Gefühl und Härte: zwei Eigentümlichkeiten Berlins, die in dem neuen Museum voll zur Geltung kommen.


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