Der Schatten des Bauhauses

Die Utopie einer besseren Gesellschaft Eine Institution wird museal

Der lang anhaltende Ruhm, der das Bauhaus seit seiner Gründung begleitet, hat seinen Preis. Zwar sind einige der wichtigsten Gebäude wie das Bauhaus Dessau in die Nobelliste als Weltkulturerbe eingetragen, doch was unbeantwortet bleibt, ist die Integrationskraft einer Idee, die sich, wie Moholy-Nagy formulierte, "in einer sich selbst aufhebenden Synthese aller Lebensmomente einem alles umfassenden Gesamtkunstwerk verschrieb".
Aller Funktionalismuskritik zum Trotz: Das Bauhaus verstand es auch in kritischen Phasen, an der Utopie einer besseren Gesellschaft festzuhalten. Diese rhetorische Überlebensstrategie ist nicht zuletzt seinem Gründer Walter Gropius zuzuschreiben. Ein Intellektueller mit Charisma, dessen programmatische Ziele weit über die Architektur hinaus Geschichte machten. Der Stammhalter des Bauhauses war nicht nur ein auf Integration bedachter Lehrer, er war auch ein brillanter Überzeugungstäter, der zielsicher sein Anliegen in die Öffentlichkeit lancierte. Der "Silberprinz", wie ihn Paul Klee ironisch nannte, verstand es trotz mancher Randale, zielstrebig Werbung in eigener Sache zu betreiben.
Sein emphatisches Bekenntnis als Vorsitzender des "Arbeitsrates für Kunst der Novembergruppe", seine Auftritte, Manifeste und Proklamationen: Sie waren bei aller Sympathie für sozialistische Ideen vor allem von moralischen Überzeugungen geprägt. Die häufigen Repliken auf das Bürgertum, dessen geistigen Führungsanspruch man bezweifelte, entsprachen zudem einer antibürgerlichen Attitüde, welche die Kontroverse über die Richtung des Bauhauses nur noch verstärkten.
Nicht nur das Bauhaus, sondern auch der Werkbund hatten sich gegen den Historismus des 19. Jahrhunderts gewandt. Ging es um stilistische Präferenzen, so zog man geschickt andere Faktoren heran. Materialeigenschaft, Produktionstechnik und Wirtschaftlichkeit waren die bevorzugten Parameter, die eine Änderung im Bauen herbeiführen sollten. Dieses Ziel, so glaubte man, sei nur in Kooperation mit der Industrie zu erreichen. Der ökonomische Einsatz der Mittel sollte sich in der Gestaltung der Produkte wiederfinden.
Mit dem Namen "Bauhaus" verband man in den zwanziger Jahren Aufbruch, Reform und eine gesellschaftliche Vision. Heute ist das Reformprogramm der Nachlassverwalter weitmaschiger, aber auch diffuser. Virtuelle Erlebniswelten und Globalisierung heißen die neuen Schwerpunkte. Das Bauhaus Dessau unterzieht sich damit einem riskanten Experiment, das die Theorie von praxisbezogenen Projekten stärker trennt. Die Motive sind zeitbedingt. Die Amateure des Bauhauses brauchen medienwirksame Themen, um öffentliche Aufmerksamkeit und finanzielle Zuwendung zu bekommen. Seit der Aufnahme des Bauhauses Dessau 1996 in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes hat es eine international herausragende Stellung als Bauwerk und Museum.
Mag auch das Bauhaus in Dessau an seinen technischen Mängeln leiden und es an einer programmatischen Zielsetzung fehlen: Noch immer ist das Renommee dieser Kulturleistung ein Kapital, das auch in Zukunft zählt. Doch schon die Standortfrage zwingt die Nachfolgeinstitute ihre kulturpolitischen Akzente unterschiedlich zu gewichten. Die Institutionen des Bauhauses sind dezentralisiert. Über die Wirkungsgeschichte des Bauhauses kann man sich im Berliner Bauhausarchiv an Hand vieler Exponate informieren, Gropius Meisterwerk in Dessau als einen hochrangigen Sanierungsfall registrieren und in Weimar, dem Sitz der Bauhaus-Universität, die neue Ökonomie im Städtebau studieren: ein Wohnquartier auf einem Militärgelände, das nun den Bürgern zur Verfügung steht.
Der vorherrschende Blick auf Weimar und Dessau hat aber auch zu Missverständnissen und zu Fehleinschätzungen über die neue Rolle des Bauhauses geführt. Denn mit der historischen Leistung verband man die Erwartung, dass mit dem geistigen Potential eine Trendwende in der Stadtplanung eintreten würde. Dieser Erwartungsdruck bereitete offensichtlich nicht nur den beiden deutschen Staaten, sondern auch Weimar und Dessau einige Schwierigkeiten, das Ideenpotential nachhaltiger umzusetzen.
Ideologische Vorbehalte waren nicht nur im Osten, sondern auch im Westen abzubauen. Zwar fiel es der Bundesrepublik nicht schwer, sich auf ein besseres, demokratisches Deutschland zu berufen.
Der abrupte Bruch durch die Nationalsozialisten 1933 wirkte jedoch lähmend auf die Moderne. Zudem fiel es einigen Kritikern leicht, Hannes Meyer als den letzten Direktor in Dessau für einen rigiden Rationalismus in der Bautechnik verantwortlich zu machen, ein Vorwand, hinter dem sich das Unbehagen an Hannes Meyers radikalem Engagement für soziale Probleme verbarg.
Das deutsche Bildungsbürgertum verhielt sich profaner: Breuer-Möbel und Wagenfeld-Lampe, Bauhaustapete und Teegeschirr galten ebenso als Visitenkarte modernen Wohnens wie die vorbildlich gestalteten seriellen Industrieprodukte der Bauhausmeister. Gewiss, dieser Hang zur raffinierten Einfachheit betraf nur eine kleine Minderheit. Populär dagegen blieb die Bauhaustapete. Ihr Siegeszug hielt Einzug in das deutsche Wohnzimmer. Das Bauhaus war beim Volk angekommen.
Die Berührungsängste der DDR waren ideologisch bedingt. Für die Kulturpolitik des zweiten deutschen Staates war die Rezeptionsgeschichte des Bauhauses mit Abgrenzung und Einschränkung verbunden. Jeder politische Klimawechsel veränderte Distanz und Interpretationsspielraum. 1945 lobte der Präsident des Kulturbundes, Johannes R. Becher, das "reiche humane Erbe", und noch zwei Jahre später erkannte man im Bauhaus eine "wirkliche sozialistische Arbeitsgemeinschaft".Die Ablehnung des Bauhauses erreichte 1951 mit der von der SED angezettelten Formalismusdebatte ihren Höhepunkt. "Dekadenter Kosmopolitismus", so der Vorwurf, den Walter Ulbricht an das Bauhaus richtete. Der Tiefpunkt in der Beziehung zum Bauhaus wurde kurze Zeit später erreicht, als Walter Ulbricht den Bauhausstil als "volksfeindlich" erklärte. Die Institution wurde zu einer kulturpolitischen Enklave, ihr Wirkungskreis weiter eingeengt.
Die vorsichtige Revision begann Ende der sechziger Jahre. Hannes Meyer wurde nun als Propagandist einer "sozialistischen Architektur" rehabilitiert, und mit der 1976 eingeleiteten Restaurierung des Dessauer Bauhauses schien sich eine Trendwende in der Kulturpolitik des Bauhauses abzuzeichnen. Heute versprechen verhüllte Fassaden Aufbruch. Doch das internationale Ansehen, mit dem das Bauhaus unter der Leitung von Walter Gropius agierte, muss durch überzeugende Leistungen erst zurückgewonnen werden.
Über ein Jahrzehnt war das Bauhaus ein Schmelztiegel an Ideen, aber noch mehr ein glänzender Propagandist in eigener Sache. Und obwohl seine Mitarbeiter auf eine beachtliche Erfolgsbilanz verweisen konnten, blieb die pädagogische Ausbildung das eigentlich innovative Element, das die Idee des Bauhauses lebendig hielt. Der systematische Aufbau von Grundkursen, die Erforschung von Material und Form zählen auch heute zu den Grundlagen einer umfassenden Architekturausbildung. Wachsende Akzeptanz und architektonische Grundlagenforschung: Dies bedeutet jedoch keineswegs den Königsweg zur Baukunst gefunden zu haben. Verblüfften die dialektisch geschulten Meister durch brillante Entwürfe, so vereinfachten ihre Nachfolger die einst so kontrovers geführte Funktionalismusdebatte auf harte wirtschaftliche Faktoren. Das Herausfiltern der Form aus einer Summe von Bedingungen war somit zu einer billigen Erfolgsformel geworden.
Die Annäherung an die Wirklichkeit verlief in Dessau ähnlich einer Achterbahn. Nach einigen vielversprechenden Projekten wie das "Industrielle Gartenreich" und das EXPO-Projekt "Ferropolis" scheint sich der Schwerpunkt des Bauhaus-Collegs stärker auf zivilgesellschaftliche Entwicklungstendenzen zu beschränken. Die Schere zwischen Ökologie und kultureller Leistung, die Differenzen zwischen Individualitätsanspruch und Informationszugang sind jedoch allgemeiner gesellschaftliche Probleme, die nicht nur das Bauhaus betreffen. Seit 1999 werden im Bauhaus-Colleg die Auswirkungen der Globalisierung diskutiert, zukunftsweisende Projekte wie "Ferropolis" jedoch nicht weiterentwickelt.
Der programmatische Hinweis, transdiziplinär und interkulturell lernfähig zu sein, mag vielleicht den Gedanken des Fortschritts Wirtschaftskreise nahe bringen, die Effizienz eines Bauhaus-Collegs muss sich jedoch auch an konkreten Veränderungen des städtischen Wohnumfeldes messen lassen.
So hoffnungsvoll die sorgfältige Sanierung des Dessauer Bauhauses zunächst auch stimmt, eine nachhaltige Reputation wird kaum auf dem Parcours eines Kulturpfades zu erreichen sein, wenn die Denkmalspflege überwiegend den kulturellen Stellenwert einer Stadt bestimmt. Denn mit der Aufnahme des Bauhauses in das Weltkulturerbe ist Dessau eine Verpflichtung eingegangen, die mehr verlangt als Meisterhäuser zu restaurieren. Schon der Kulturpfad ist nicht ohne Tücken. Die Desillusionierung des Bauhauserbes beginnt bereits in der 1926 bis 1928 errichteten Siedlung Dessau-Törten. Das Stigma einer sturen, der Rationalität unterworfenen Form stand schon während der Bauhausphase in der Kritik. Technische Mängel, aber auch die monotone Gestaltung dieser Reihenhauskästen ließen früh Zweifel an der Wohnqualität der 70 Quadratmeter großen Häuser aufkommen. Die unbeholfenen Verbesserungen der Bewohner an Fenstern und Hauseingängen, sie bilden ein ernstzunehmendes Veto gegenüber Gropius´ Minimalprogramm.
Wer die Nähe zum Bauhaus sucht, der sollte bei den restaurierten Meisterhäusern beginnen. Zwischen lichten Kiefern und Birken gelegen, demonstrieren die strenge Gliederung der Baumassen sowie die scharf herausgeschnittenen Fensterfronten einen modernen Villentypus des 20. Jahrhunderts. Fließende Innenräume, zarte Farben und eine exklusive Lage: Die abschätzige Bemerkung von Tom Wolfe über die weißen Götter des Bauhauses wird hier, angesichts der Noblesse der Gebäude, verständlich.
Walter Gropius hat hier die Essentials des Neuen Bauens "Klarheit und Leichtigkeit" mit Zurückhaltung und Eleganz formuliert, ein Weltbürger, der Wohnkultur für die Oberschicht zelebrierte. Im Gegensatz zu ihrem strahlenden Bauvolumen wirken die Innenräume seltsam blass. Das sparsame Interieur hat museale Züge angenommen. Das turbulente Leben der Bauhausmeister ist gleichsam ins Atmosphärische zarter Farben entrückt. Eine museale Geisterbeschwörung, die nachdenklich macht.
Auch Gropius´ schönster Bau, das Arbeitsamt in Dessau, ist eine Baustelle. Immer kleiner werdende Ringe fügen sich zu einem Halbkreis. Die ringförmig verlaufenden Sheddächer sorgen für eine gute Belichtung der kleinen, kammerartigen Arbeitsräume. Kein Warten, keine räumliche Irritation: ein Raumfluss, der sich logisch aus der Funktion des Gebäudes entwickelt und höchst anschaulich in der dynamischen Grundform des eingeschossigen Gebäudes seine Überhöhung findet. Ein moderner Dienstleistungsbau, wie man ihn sich wünscht. Doch alle diese Solitärbauten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Stadt Dessau selbst revisionsbedürftig ist: Achsenbrüche, Leerflächen und tote Räume - eine Stadt ohne Gesicht. Die isolierte, akademisch abgehobene Stellung des Bauhauses wird dadurch noch stärker herausgestellt, die geistige Trennungslinie zwischen Stadtplanung und Bauhausalltag überdeutlich.
Weimar und Dessau: Das waren und sind zwei ungleiche Städte, waren Hochsitz der Klassik und waren Produktionsstätte der Industrie. In beiden Städten war die Tradition der Moderne durch die Nationalsozialisten unterbrochen, beide Orte suchen Anschluss an die Gegenwart.
Berief sich Weimar in seinem Bauhaus-Manifest auf die "Arts- and Crafts-Bewegung", so blieb doch das Leitmotiv im Bauhüttendenken mittelalterlicher Zünfte gefangen. Demonstriert das Bauhaus Dessau in verhaltener Dynamik das bewegte Kräfteverhältnis der L-förmig angeordneten Gebäudeteile, so ist doch die Gesamtwirkung antimonumental. Die Fassade: ein makelloses Erscheinungsbild eines hoch gehandelten Erziehungsideals, das als spannungsreicher Baukörper seinen städtebaulichen Rang nachdrücklich unterstreicht.
Aber auch Henry van de Veldes Jugendstilbau in Weimar bildet einen Fixpunkt in der Stadtgeschichte, markiert, welche Entwicklungsstadien das Bauhaus während seiner 14-jährigen Existenz durchlief.
Doch der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Nachfolgeinstitutionen liegt in ihrer Zielsetzung: Weimar nimmt Einfluss auf die Stadtplanung, Dessau zieht es vor, in der äthiopischen Hauptstadt Pilotprojekte zu initiieren oder in den Suburbs von Rio de Janeiro mit neuen Wohnkonzepten zu experimentieren.
Vorausschauende Entwicklungspolitik oder kontrollierte Planung für die eigene Stadt? Beide Institutionen versuchen, darauf eine Antwort zu finden. Das Bauhaus der zwanziger Jahre strebte nach dem Gesamtkunstwerk. Diese Vision ist der Bauhaus-Universität in Weimar abhanden gekommen. Ein fruchtbares Resümee aus der Bauhausgeschichte?
Auch das gegenwärtige Bauhaus musste lernen, dass Entscheidungen nicht frei von Widersprüchen sind, dass die Bewältigung von Konflikten zum Alltag des Bauens gehört. Das Projekt an der Ilm, das auf einem ehemaligen Kasernengelände ein neues Stadtquartier errichtet, hat sich einer anderen Moderne verschrieben: Das Ziel heißt Dauerhaftigkeit, Sparsamkeit und schonender Umgang mit den Ressourcen. Aus dieser Ökonomie des Denkens ergibt sich die Konsequenz, auf Nachhaltigkeit zu achten. Auch hier heißt der übergeordnete Bezugspunkt Reduktion: weniger Energieverbrauch, Typologien für variable Häuser und bessere Ausnutzung von Grundstücksflächen, aber auch die Notwendigkeit, Geschichte zu transformieren, militärisches Gebiet in eine Kulturlandschaft umzuwandeln. Die Bauhaus-Universität ist hier um eine zeitgemäße Standortbestimmung bemüht. Als Anknüpfungspunkt dient G. Muches berühmtes Haus am Horn. Das Weltkulturerbe als Brückenschlag zur Gegenwart, zugleich aber auch ein Abschied vom Gesamtkunstwerk. In Weimar hat das Bauhaus einen Schritt in die Zukunft getan.

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