Die Perfektion des Schönen

Imponierender Dynamo I.M.Peis Erweiterungsbau für das Deutsche Historische Museum in Berlin ist ein weiteres Indiz für den Funktionswandel von Museumsneubauten

Seit gut zwei Jahrzehnten erregen Museumsbauten das öffentliche Interesse. Diese Kulturbauten, die immer wieder durch ihre herausragende Stellung die Architektur in die höheren Sphären der Baukunst erheben, drängen dabei meist den Notstand im Städtebau, im Wohnungsbau oder die Krise der Hochschulen in den Hintergrund. Berühmte Namen garantieren für eine mediale Breitenwirkung selbst dann, wenn die Architektur den Museumsdirektoren zunehmend Schwierigkeiten bereitet. Wer den klassischen Bildungsauftrag des Museums strikt befolgt, kann den Wünschen einer Entertainergesellschaft kaum entgegenkommen. Spektakuläre Museumsbauten sind Großinszenierungen, welche die Baukunst in ein schillerndes Licht tauchen. Ob Frank O. Gehrys berühmtes Museum in Bilbao oder Daniel Libeskinds Jüdisches Museum in Berlin: Beide Gebäude präsentieren sich als kapriziöse Kunstwerke, die den Anspruch der Form über die Funktion eines Museums betonen. Auch in I.M. Peis Deutschem Historischem Museum in Berlin ist dieser Konflikt virulent.

Der amerikanische Architekt I.M. Pei musste sich in Berlin einer doppelten Prüfung unterziehen: Formanalogien zu seinen früheren Museumsbauten drängen sich auf, andererseits sind die Besonderheiten des Ortes und sein kultureller Kontext wichtige Parameter, die seinen Entwurf beeinflussten. Peis Hang zur Perfektion verdeckt dabei eher den langen Weg der Entwurfsfindung. Die merkwürdige Zeitentrücktheit seiner Bauten, die den Habitus der Moderne wie ein berühmtes Label von Topdesignern tragen, verrät Selbstbewusstsein und architektonische Bildung, aber auch Gespür für die große Form. Manieristische Abschweifungen sind dabei nicht zu übersehen. Peis Virtuosität schafft Räume von kühler Schönheit.

I.M. Pei, der am Massachusetts Institute of Technology sein Architekturstudium absolvierte und seinen architektonischen Feinschliff bei Marcel Breuer und Walter Gropius erhielt, war im Gegensatz zur herrschenden Bauhausideologie überzeugt, die Gestalt eines Gebäudes aus den historischen und kulturellen Eigenarten des Ortes abzuleiten, eine Positionsbestimmung, an der sich seine Abschlussarbeit, ein Museum für chinesische Kunst in Shanghai, orientierte. In seinem umfangreichen Oeuvre kommt den über ein Dutzend errichteten Museumsbauten eine besondere Bedeutung zu. Ihre massige, skulptural wirkende Kubatur nimmt keineswegs eine kunstvermittelnde, dienende Rolle gegenüber den Kunstwerken ein, sondern betont die Priorität der Baukunst. Bisweilen ist Pei auch Opfer seiner eigenen Dramaturgie. Eine durchgehende Perfektion bis ins Detail führt zu einer gewissen Gleichförmigkeit der Räume. Perfektion führt zur Auszehrung des Schönen. Ihre Makellosigkeit schafft Distanz. Man kann sie bewundern, doch eine emotionale Bindung fällt schwer. Vielleicht sind es die Verletzungen, die kleinen Unvollkommenheiten eines Bauwerkes, die es menschlicher und damit zugänglicher machen. Es ist jene kleine Differenz des Suchens, die der Perfektion fehlt. Auch das Deutsche Historische Museum in Berlin ist davon betroffen: ein imponierender Bau, dem leider die Aura eines Kunstwerkes abhanden gekommen ist.

Von Anfang an wirkte die dem Historischen Museum vorgesetzte spindelförmige Treppe wie ein Dynamo, der die Energieströme von außen nach innen über flache Stufen, Rampen und Stege über das großräumige Foyer verteilt: Die Treppe als markante Skulptur, die über den kleinen Vorplatz wie ein routinierter Kreisel den Bewegungsstrom der Besucher auf ein Raumerlebnis vorbereitet. Ein furioser Auftakt, der jedoch für die geschlossenen, in einem Dreieck eingelagerten Ausstellungsräume folgenlos bleibt. Ein Demonstrationsraum als reines Sehvergnügen, der aus unterschiedlichen Höhennniveaus diagonal Raumfluchten erschließt, Höhen und Tiefen dieses lichtdurchfluteten Raumes als Spiel von Bewegungen begreift.

Pei hat die Bedeutung dieses Ortes, aber auch die Problematik des abgelegenen, zwischen Schinkel und Schlüter versteckten Grundstückes früh erkannt. Man bemerkt es sofort: Hier hat ein Stadtplaner die Chance genutzt, den Weg von der Neuen Wache zur Rückfront des Schlüterbaues städtebaulich aufzuwerten. Die elegante, leicht gebogene Glasfassade weitet die schmale Straße auf der Rückseite des Zeughauses, schafft somit Raum für einen Vorplatz, der den Eingang mit der symbolbeladenen Treppe zu einem markanten Entree erhebt. Der wuchtigen geschlossenen Fassadenfront des Baumeisters Andreas Schlüter setzt Pei die offene, aus Stahl und Glas mehrgeschossige Fassade entgegen - ein wohltuender Kontrast und zugleich eine einladende Geste.

Die kompakte Form des Dreiecks als Grundriss war für das etwa 2.000 Quadratmeter große Grundstück von Vorteil. Die geometrische Grundform schließt die Straßenfront und markiert zugleich den Anschluss an das angrenzende Gebäude durch eine glasüberdachte Passage. Die 4.200 Quadratmeter Nutzfläche sind auf vier Ebenen verteilt. Im ersten Untergeschoss liegt der Hauptausstellungsraum, in den drei darüber liegenden Etagen befinden sich weitere Räume von unterschiedlicher Größe, so dass maximal vier Ausstellungen zeitgleich stattfinden können.

Die vom Foyer abgesetzte Wendeltreppe wirkt hier als weiträumige Spirale, ein Signal, das vom öffentlichen Raum zum Museum überleitet. Im Gegensatz zur Südseite setzt Pei nach Norden eine fest geschlossene Front massiver Außenwände. Den funktionalen Nachteil bemerkt man erst beim Betreten der Ausstellungsräume. Nur ein kleiner, tiefer Einschnitt in der Fassade deutet an, dass dahinter das Kerngehäuse des Museums liegt.

Der erste Eindruck ernüchtert. Konfrontiert mit einer Abfolge dunkler Räume wirkt die Enge dieser labyrinthischen Wege plötzlich bedrückend. Das Ungleichgewicht zwischen Pflichtprogramm und Kür wird hier eindeutig zugunsten der Baukunst entschieden, was der Architekt durch die Verwandlung vom Nutzraum zum Schauraum im Foyer erzielt. Der Bildungsauftrag des Museums? Hier ist es ein unbeschwertes Genießen. Fachleute wie Besucher werden gleichermaßen in die Großzügigkeit eines barocken Zeitalters zurückversetzt. Peis Architekturkosmos sind Raumschöpfungen, die an die Festlichkeit von Staatsempfängen, aber auch an die geheimen Sehnsüchte bürgerlicher Kultur appellieren.

Zu Peis Architekturauffassung gehört es, die Bedeutung einzelner Funktionen aus dem architektonischen Gesamtkonzept abzuleiten. Dass der Architekt die Altbausubstanz elegant mit einem Verwaltungsbau zu verbinden vermag, zeigt ihn als einsichtigen Pragmatiker. Der Anschluss an einen wilhelminischen Verwaltungsbau, der durch Betonstege im Erd- und Obergeschoss die lichte Glaskuppel über dem Foyer diagonal durchschneidet, ist radikal und raumschöpferisch. Der Blick von hier in die Tiefe des Raumes zeigt, wie Treppen und Rampen sich zu einem Gesamtkunstwerk fügen. Die Schönheit des Augenblicks - hier wird sie zum Ereignis.

Es sind eher die kleinen Dinge, die Unruhe stiften: Wo die Leichtigkeit eines intelligenten Designs wie in der Eingangshalle angebracht wäre, bevorzugt der Architekt die monumentale Großform. So wird die Museumskasse durch einen mächtigen Zylinderring als Drehpunkt stilisiert. Das Leichte wird schwer, die Bedeutung der Funktion zugunsten formaler Übertreibungen verschoben. So bleiben die wirklich tiefgreifende Raumerlebnisse aus, die Wertigkeit der Räume der Dekoration überlassen.

Bei aller Virtuosität: Peis aufreizender Rauminszenierung fehlt die Nachhaltigkeit: ein Ästhet, der auf perfekte Oberflächenbehandlung vertraut, Luxus verbreitet und doch den eigentlichen Ausstellungsräumen die Gelassenheit nimmt. Dass ein Museum mit intimen und individuellen Räumen ebenso reich an Raumerlebnissen sein kann, hat der Raummagier Pei bei seiner prächtigen Inszenierung offenbar vergessen.

Freilich hat auch die zunehmende Gleichförmigkeit öffentlicher Bauten den Hang nach Luxus und Extravaganz verstärkt. Der Hedonismus in unserer Gesellschaft findet im Museum jenen Ort, der Festlichkeit und Kunstvergnügen verbindet. Aufwendige Treppenhäuser, der Rückzug in die Vestibüle oder der Austritt auf die Terrassen: Sie sind heute unverzichtbarer Teil des Museumsinventars. Pei hat damit eine gesellschaftliche Bewegung aufgenommen, die tiefgreifend in das inhaltliche Programm des Museums greift. So sind die Wege zur Kunst vielfältiger, aber zugleich auch verwirrender geworden, seitdem die Priorität nicht mehr dem Kunstwerk, sondern der Inszenierung von Raumerlebnissen gilt.

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