Der rohe, von Asbest gereinigte Block an der Spree provoziert einen düsteren Ausblick auf das Zentrum Berlins. Am Abriss des Palastes der Republik scheiden sich die Geister. Ein Stück DDR-Geschichte verschwindet. Republikaner wie Konservative haben in endlosen Debatten das Für und Wider abgewogen. Nun wurde der schleichende Abbruch des mächtigen Quaders durch die Abstimmung im Bundestag endgültig besiegelt. Mit dem Ergebnis von 380 zu 133 Stimmen kann die Schlossfraktion von Wilhelm von Boddien zufrieden sein. Die Frage nach der Notwendigkeit eines Schlossnachbaues wird jedoch weitergehen.
Zweifel bei einigen Fachleuten, Gewissheiten bei den meisten Abgeordneten. Die prächtigen Raumfluchten der Hohenzollern-Residenz könnten als eine späte Referenz an die Hauptstadt gedeutet werden, der es nach wie vor an republikanischem Selbstbewusstsein fehlt. Denn die kühle Monumentalität des Kanzleramtes verströmt die wohlige Atmosphäre von Macht und kultureller Noblesse gewiss nicht. Als Imagegewinn wären Kulturveranstaltungen in einem Schloss mehr als nützlich. Eine Werbung für Berlin, das mit herausragenden Bauten ohnehin nicht gesegnet ist. Trotzdem bleibt nach der Entscheidung des Bundestages ein Unbehagen. Ist der Retroschein gelifteter Fassaden salonfähig geworden?
Die Einwände der Schlossgegner waren sachbezogen, doch gegen die kraftvollen Skulpturen Schlüters, seine gigantische, hochherrschaftliche Treppenanlage blieben solche Bedenken wirkungslos. Im Nachhinein war die Wirkung der 1993 errichteten Schlossattrappe mehr als eine Fiktion. Sie machte das Fehlen eines wichtigen Ensembles überdeutlich.
Rituale der Macht besitzen auch für demokratisch gewählte Volksvertreter eine geheime Anziehungskraft. Vor dieser Faszination musste auch Berlins Kultursenator Thomas Flierl kapitulieren. Die Illusion eines rekonstruierten Schlosses erwies sich als stärker als die Bindung der Ost-Berliner an Honeckers Lampenladen. Das von der Kommission vorgeschlagene Humboldt-Forum als Museum, Bibliothek und Kongresszentrum zu nutzen wird mit Sicherheit die Kontroverse zwischen barocker Fassade und Innenraumgestaltung verschärfen. Weitere Dissonanzen sind damit programmiert.
Fassadenbilder bestimmen das Erscheinungsbild Berlins. Die Frage nach der urbanen Qualität scheint jedoch eine untergeordnete Rolle zu spielen. Schönheit als werbewirksames Motiv auf Broschüren und Plakaten dagegen mehr. Taugt das Schloss als Kronzeuge für eine neue Baukultur? Je mehr man sich jedoch auf die Gesetze der Ästhetik beruft, desto mehr entzieht man der Architektur ihre soziale und historische Basis. Die Schönheit wird der Zeitgebundenheit enthoben und zu kulturellem Fixpunkt erklärt. Liegt Berlins Zukunft in einer Retrospektive des Schönen, um so seine Vergangenheit aufzupolieren?
Wilhelm von Boddiens Anliegen, das Schloss als geistiges Zentrum der Hauptstadt anzudienen, ist zugleich auch ein Deutungsversuch einer wichtigen Epoche deutscher Baugeschichte. Mit dem wiederholten Verweis auf Andreas Schlüters baukünstlerischen Rang wird die Schönheit zum alles beherrschenden Anliegen. Die politischen Implikationen der Geschichte, aber auch die Fragen einer späteren Nutzung werden hinter einem barocken Fassadenkorsett versteckt. Eine staatstragende Inszenierung als kulturpolitische Mission? Die jahrelange Kontroverse um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses orientierte sich mehr an dem Ideal denn an der Realität, so dass der Rückgriff auf die Schlütersche Schlossfassade mehr einer Verhüllung denn einer Offenlegung des Innenraumes gleicht.
So wünschenswert es wäre, die architektonische Mitte Berlins in einem breiten gesellschaftlichen Konsens vorzubereiten, um dieses Anliegen ist es doch eher schlecht bestellt. Denn nicht nur ein berühmtes Bauwerk steht im Mittelpunkt, es geht auch um die Präsenz von Macht. Wolf Jobst Siedlers Diktum, "das Schloss lag nicht in Berlin - Berlin war das Schloss", beweist, welche Wertschätzung Dynastien und ihre Baumeister heute genießen. Zugleich birgt diese Aussage ein Misstrauen gegenüber der Moderne, die mit ihren Siedlungsbauten der Zwanziger Jahre das Stadtbild Berlins als aufstrebende Metropole prägte. Dreiundfünfzig Jahre nach der Sprengung des Schlosses ist eine merkwürdige Leere auf dem Areal der ehemaligen Hohenzollern-Residenz zurückgeblieben. Als enthäuteter Torso blockiert der Palast der Republik eine strategisch wichtige Stelle im Zentrum der Hauptstadt. Mit dem geplanten Abriss im Jahre 2005 wird auch ein wichtiges, populäres Zeitdokument der DDR verschwinden.
Beliebte Vergleiche zwischen Rom und Berlin sind fragwürdig. Rom war auch in der Phase seines Niederganges ein begehrter Steinbruch für Architekten. Die eher dürftige Berliner Bausubstanz hat dagegen Ruinenfelder und Stadtbrachen anzubieten, die als Restfundamente den Schlossplatz markieren. Eine müde Republik, die Vergangenheit beschwört, ohne sie jedoch zu vergegenwärtigen.
Roms Architektur hat viele Transformationen durchlebt und seine Geschichte an viele Generationen weitergegeben. Sowohl in der sinnlichen Kraft seiner Bauwerke wie in einer intelligenten Kollage lebte der kulturelle Reichtum in Spolien und Fragmenten weiter. Das Übergehen politischer Bruchstellen in der Geschichte Berlins hat zu einer einseitigen, auf ästhetische Fragen reduzierten Betrachtung geführt, die dem Gedanken der Staatsräson eine neue Bedeutung unterlegt: Preußens Baukunst für die Gegenwart zu nutzen.
Schönheit als Wissen um die Vergänglichkeit oder Schönheit als ein unverrückbares Ideal? Die eigentümliche Zeitlosigkeit, in die der Besucher beim Betrachten historischer Fassaden immer wieder verfällt, geht einher mit der Auszehrung von historischem Bewusstsein. Schönheit bedarf der Aufmerksamkeit und der Pflege, benötigt die Spuren der Zeit, die ein Bauwerk der Anonymität perfekter Restaurierung entheben. Die zeitlose Schönheit historisch restaurierter Gebäude nivelliert den Raum, zerstört den Zeitbogen und die Spuren, die zwischen Gegenwart und Vergangenheit bestehen. Die Allgegenwärtigkeit des Schönen verschleiert eine urbane Leere, überdehnt die Zeit bis in die Gegenwart, homogenisiert, ohne das Verhältnis zur Vergangenheit zu klären.
Walter Benjamin bemerkte: die angemessene Weise sich in der Stadt zu bewegen, sei nicht die des angespannten Aufmerkens, sondern des beiläufigen Bemerkens. Ein Bauwerk ist das Produkt seiner Epoche, es zeigt die Handschrift seiner Handwerker ebenso wie die seiner Baumeister, dokumentiert die Spuren seiner Nutzung, speichert Abweichungen und Änderungen über Generationen hinweg, es wird zum Zeitdokument und ist als solches authentisch. Der Versuch über ein genaues Studieren der Schlosspläne sich dem historischen Bauvorgang anzunähern, kann man nur als verwegen bezeichnen. Ist schon der Geist der Epoche den meisten Architekten und Handwerkern abhanden gekommen, so liegt die Hoffnung in der technischen Reproduzierbarkeit der Produkte. Ein Irrtum, wie Wolfgang Pehnt bemerkt, denn ein Werk von historischer Bedeutung sei nicht wiederholbar. Ein Rest bleibt am Duplikat haften. Die Glaubwürdigkeit eines geschichtlichen Ablaufes wird in Frage gestellt.
Mit dem Abriss des Palastes der Republik tritt noch ein anderes Dilemma zutage: Der bauliche Kontext ist in einem von Parkanlagen und Ruinen gezeichneten Niemandsland zerstört, die räumliche Einbindung zerschnitten. Ein geschichtsloser Ort, dessen zersplitterte Details die Agonie einer Leere beschreiben.
Die seltsame Illusion, die Berlin seit der Wiederernennung als Hauptstadt begleitet, seine Identität durch die Rekonstruktion historischer Bauwerke wieder zu finden, hat zu einer Reglementierung des Stadtbildes geführt. Hans Stimmanns verordnete "kritische Rekonstruktion" erwies sich als ein Korsett aus Traufhöhe und Rasterfassaden, ließ die Stadt statt der erhofften lebendigen Vielfalt in einem Regelwerk verharren. Das Liebermannsche Haus von J. P. Kleihues am Pariser Platz präsentiert sich als schwächstes Glied in einer Kette konventioneller Bauten. Die glatt polierten Fassaden beweisen, dass die Schönheit der Gleichförmigkeit oder die gleichförmige Schönheit zum verbindlichen Maßstab der Investoren wird.
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