Die vier Souveräne

Raumschnitte durch einen geometrischen Körper Zur Pinakothek der Moderne in München

Mit der Eröffnung der Pinakothek der Moderne reiht sich München in die Tradition großer europäischer Museumsstädte ein. Bayerns Metropole fühlt sich mit dem neuen Museumsquartier als gleichrangiger Partner neben Berlin, London und Paris. Doch die drei Pinakotheken im aufblühenden Museumsviertel der Maxvorstadt verraten nichts von dem langjährigen Streit über die ungeliebte Moderne.

Der Ruhm der Münchner Pinakothek der Moderne gebührt dem Münchner Architekten Stephan Braunfels. Sein kluger, ganz auf stereometrischen Körpern basierender Entwurf - Rechteck, Quadrat, Kreis und Dreieck - gleich einem virtuosen Endspiel mit den Bausteinen der frühen Moderne. Die lange Front der nur an wenigen Stellen aufgeschnittenen Kubatur entspricht in der Höhe Leo von Klenzes elegantem Museumsbau: zwei Souveräne, die sich gleichrangig begegnen und als Partner in Münchens Kulturmeile eingebunden sind. Der lange, diagonale Gebäudeschnitt durch die Pinakothek der Moderne eröffnet eine Passage, welche die alte Pinakothek mit dem neuen Museum verbindet und die solitären Museumsbauten in der Nachbarschaft zu einem Ensemble zusammenfügt. Ein Raumprogramm von 22.000 Quadratmeter Nutzfläche ist hier in einem kompakten Baukörper bis zu einem Drittel unter der Erdoberfläche versteckt.

Stephan Braunfels gelang es, die großen Sichtbetonflächen durch Fensterschlitze und Raumdiagonalen aufzubrechen, den Kubus leicht und an einigen Stellen durch Fensteröffnungen transparent zu machen. So wird der Blick durch die vertikalen Fensterbänder auf den Innenraum gelenkt und der Besucher auf Stephan Braunfels´ raffinierte Raumbrechungen vorbereitet.

Der amerikanische Architekt Frank Gehry, der mit seinem berühmten Museum in Bilbao ein expressives Raumgewitter inszenierte, hat in dem deutschen Architekten einen kühlen, mit mathematischer Präzision operierenden Gegenspieler gefunden, der die Grundelemente der Geometrie für spektakuläre Raumfluchten nutzt. Lichtfülle und Raumführung: Das uralte Thema der Architektur wird von Stephan Braunfels in der Sprache der Moderne neu interpretiert. Spitze Dreiecke an den beiden Längsseiten des Gebäudes deuten mit ihren dünnen Säulen nur verhalten die dramatische Raumentwicklung des Zentrums an: ein Überraschungseffekt, der von der großen Rotunde ausgeht und das gesamte Museum erfasst. Ein zentraler Punkt, von dem aus der Architekt das Bewegungsspiel zwischen Raum und Licht als ein strenges Kompositionsthema entfaltet, ein Ort, in dem sich Raumfluchten und Raumüberschneidungen mehrfach brechen.

Das Licht, das von der Glaskugel der Rotunde auf die »piazza« fällt, verteilt den Bewegungsfluss auf Treppen und Galerien, schafft einen städtischen Raum, der sowohl von der Cafeteria als auch vom Haupteingang zugänglich ist und eine vertikale Fortsetzung in den ringförmig angelegten Emporen findet, die ähnlich Logen einen Kreis um den Eingangsbereich bilden. Dieser eigenartige Verdoppelungseffekt, Raumfluchten sowohl in vertikaler Richtung als auch als Diagonale auf Treppenräume zu richten, die Baumasse zu zerschneiden, um Raumtiefen offen zu legen, das ist der vibrierende Sound des Museums. Großzügigkeit als noble Empfangsgeste, was der Besucher wohlwollend honoriert. Mit chirurgischer Präzision sind die nach oben sich weitenden Treppen angelegt. Ein feierlicher Auftakt ähnlich den Treppenläufen großer Opernhäuser, die sowohl der Kunst als auch der Selbstdarstellung eines kunstinteressierten Publikums dienen.

Doch Stephan Braunfels´ Raumfluchten basieren auf einer funktionalen Ordnung. Die vier autonomen Sektionen, die Gemäldegalerie, die Graphische Sammlung, das Architekturmuseum und Designmuseum, werden über Emporen, Treppen und Sichtachsen in das räumliche Verteilersystem eingebunden. Die Rotunde ist Ausgangspunkt und Zentrum von Raumerkundungen, sie reguliert Ankunft und Rückkehr, ist Schaltstelle interner und externer Kommunikation. Dabei wirkt dieser zentrale öffentliche Raum keineswegs kontrollierend museal, eher vergleichbar einem Fixpoint in einem gut sortierten Warenhaus, das Kunst und Design, Skulptur und Malerei, Skizzen, Zeichnungen und Architekturmodelle auf verschiedenen Ausstellungsniveaus präsentiert.

Dass Licht und Raumführung für die Präsentation von Kunstwerken entscheidend sind, das haben so manche Architekten von berühmten Museen häufig vergessen. Auch in der Münchener Pinakothek der Moderne bemerkt man, dass es zwischen Baukunst und Bildender Kunst bisweilen Reibungspunkte gibt, ja dass die großartigen Raumfluchten und Blickachsen der Intimität von Kunstwerken schaden.

Der durchgehend puristische Charakter der weißen, glattgeputzten Ausstellungsräume, deren quadratische Oberlichter ein neutrales, gleichmäßiges Licht auf die Wände werfen, schafft eine Distanz zu den Kunstwerken, die ein intimes Zwiegespräch erschwert. Vielleicht ist es der mächtige Sog der Raumfluchten: Eine sanfte Müdigkeit beschleicht den Besucher inmitten der quadratischen und rechteckigen Räume, so dass die weißen Wände allmählich die Bilder zurückdrängen. Das leichte Missbehagen wird noch verstärkt durch ein allzu friedliches Nebeneinander unterschiedlicher Bildthematik. Die vielen Kontroversen und Manifeste der Moderne? Sie werden zu Epochenräumen kubistischer und futuristischer Maler. Die Moderne hat ihre Chance gehabt: So klingt das Fazit. In München setzte man andere Prioritäten. Die Kunstwerke sind zu Objekten ästhetischer Betrachtungen geworden.

Die Zurückhaltung gegenüber jedweder Ideologie verwischt aber auch geschichtliche und gesellschaftliche Positionen der Künstler. Der zelebrierte Pluralismus unterschiedlicher Handschriften und Stile nimmt möglichen Zweifeln die Schärfe. Die Konversation über die Kunst ist den Verwertungsinteressen des Kunsthandels nahe gerückt. Gleichwohl: Die vier im Museum untergebrachten Themenbereiche pochen auf ihre Souveränität. Der Architekt hat ihnen - entsprechend der Anzahl der Objekte - den angemessenen Platz zugewiesen, so dass trotz unterschiedlicher Räume nur selten eine Rivalität zwischen Ausstellungsdesign und Museumsarchitektur entsteht.

Lichtfülle und Raumführung, großzügig nach oben sich weitende Treppen: Stephan Braunfels spielt auf verschiedenen Niveaus, er inszeniert, um den Besucher auf die einzelnen Abteilungen des Museums vorzubereiten. Dieser fast verschwenderische Umgang mit dem Raum schenkt dem Besucher viel Bewegungsfreiheit, die zweckfrei und nicht unbedingt auf Erkenntnisgewinn ausgerichtet ist. So ist die Pinakothek der Moderne weniger ein Ort der Aufklärung, eher ein urbaner Ort der Kommunikation. Ein Ort, an dem die Objekte ihren Eigenanspruch auch jenseits der Zivilisationskritik beanspruchen.

Der Architekt vermied es weitgehend, in der Kontroverse zwischen Baukunst und Kunstobjekten zugunsten der Architektur zu entscheiden. Die auffallende Neutralität der von der Gemäldegalerie belegten Räume ist ein hoher Preis, den Stephan Braunfels´ Kunstpurismus dem Besucher abverlangt.

Dass es auch anders geht, belegen die 44 Basaltstelen von Joseph Beuys. Das Ende des 20. Jahrhunderts ist ein großartiger und stiller Raum, ein Gleichnis auf eine Epoche, an der vieles fragwürdig ist. Freilich wird von einem modernen Dienstleistungsunternehmen, wie es ein Museum ist, mehr erwartet als nur den Reichtum des Bestandes vorzustellen. Florian Hufnagl, der Direktor der Neuen Sammlung, setzt andere Akzente. Waren unter der Nachkriegsägide von Wend Fischer und Hans Wichmann Werkbundprodukte und Bauhausmöbel begehrte Ausstellungsobjekte, so schiebt sich unter der Regentschaft des neuen Direktors Alltagsdesign in den Vordergrund. Das weit geöffnete Designmuseum im Souterrain wirbt mit einem hell erleuchteten riesigen Regal für triviale Dinge: Büromöbel und Stühle, Fahrrad und das Korsett eines Autogerippes. Der Kurswechsel vom Baumhaus zum Alltagsdesign wird unsentimental durch eine Fülle von Ausstellungsgegenständen vollzogen. Und so ist es gewiss nicht zufällig, dass Luigi Colanis über die Treppe schwebendes pfeilförmiges Flugobjekt wie ein Vektor in die nahe Zukunft deutet.

Nicht ganz so spektakulär inszeniert, doch gewiss von gleicher Bedeutung, präsentiert das Architekturmuseum im Erdgeschoss auf 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche seine Kostbarkeiten. Sein Bestand umfasst 350.000 Architekturzeichnungen von 700 Architekten sowie 100.000 Fotografien, aber auch 500 Modelle von berühmten Baumeistern. Das Architekturmuseum vermittelt eine Botschaft. Es gibt einen Rückblick auf die revolutionäre Aufbruchstimmung des vergangenen Jahrhunderts, zeigt exemplarisch an Beispielen die Raumvisionen der Avantgarde des 20. Jahrhunderts. Es waren Ingenieure und Konstrukteure, die das architektonische Weltbild veränderten. Tatlins Turm und Le Corbusiers »Palast des Sowjets«, Sydneys Oper von Jörn Utzon oder die Jahrhunderthalle in Breslau. Ein kluges Statement auf die vielfältige Sprache der Architektur, die mit revolutionärem Pathos eine Gesellschaft verändern wollte.

Wie es scheint, befindet sich die Pinakothek in einer Konsolidierungsphase. Mit dem Wechsel der Staatsgalerie aus dem Haus der Kunst in die Pinakothek der Moderne sind die Reibungspunkte mit der NS-Architektur verloren gegangen.

Nimmt man die hohe Besucherzahl als Maßstab, so ist die Architektur der Pinakothek der Moderne ein erstrangiges Kunstwerk. Noch bestimmt die Architektur das Bild; noch haben die Kuratoren nicht überall den inneren Klang zu den Exponaten gefunden. Ein Museum im Aufbau, das auch mit seinen Schwächen die Vorlieben des Zeitgeistes keineswegs verleugnet.

www.pinakothek-der-moderne.de

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