Zu den frommen Wünschen, die Bauen in einem demokratischen Gemeinwesen begleiten, gehört die Vorstellung, dass die »Demokratie als Bauherr« in ihren öffentlichen Bauten sich in Inhalt und Form von Diktaturen zu unterscheiden habe. Ein respektabler Vorsatz, der in der Praxis nicht immer einzulösen ist. Doch Sicherheitsbedürfnis und Öffentlichkeitsarbeit, Repräsentation und Funktionsdiagramme lassen sich nicht als geschlossenes Konzept nahtlos in die Sprache der Architektur übersetzen. Zudem existiert neben dem unverhüllten Machtanspruch jene Sphäre repressiver Toleranz, die das Binnenklima von Botschaften prägt. In solch unübersichtlichem Terrain von ideologischen Vorbehalten und postmodernen Formenspielen summieren sich soziale Einzelaspekte zu einem widersprüchlichen Ganzen. Und vielleicht gehört es zur Dialektik des Bauens, diese Differenzen - verglichen mit den hochgesteckten Idealen von demokratischen Bauherren - offen auszutragen.
»Das Gebaute soll Vertrauen und Selbstvertrauen sichtbar machen«, fordert Peter Conradi. Ein schöner politischer Leersatz. Bleibt also die Frage nach der Verbindlichkeit der Form, nach der Bedeutung des Anschaulichen als ästhetische Kategorie, etwas, was unsere denkfaule Spaßgesellschaft vielleicht aufmuntern könnte. Doch bei allen Vorbedingungen: Botschaftsgebäude sind Unikate. In den Stadtstrukturen treffen wir auf die Matrix der Stadt. Ihre raumbildenden Elemente, ihre historischen Bauten sind feste Bezugspunkte, die Generationen verbinden. Und selbst in den Niederungen der Baupolitik scheinen solche Orte eine eigenartige Stabilität zu besitzen, die weit über die Rasterordnung neuer Quartiere hinausreichen. Das alte Diplomatenviertel am Tiergarten, jene Flaniermeile, die Walter Benjamin und Franz Hessel so ergiebig zu erkunden wussten, besaß mit seinen kriegsgeschädigten Villen und Botschaftsgebäuden noch einen Rest an großbürgerlicher Kultur, eine von Geschichte und politischen Schicksalen geformte Legende, eine merkwürdige Brechung aus Realem und Fiktivem, ein Widerschein, der innerhalb der Perfektion der neuen Hauptstadtkultur seltsam irrleuchtete. Werden nun, nach einer längeren Phase der Ernüchterung, die Neubauten und Umbauten der Botschaftsgebäude zu Kulturzentren Berlin einen Wärmestrom in der Kulturpolitik bringen? Wohl kaum.
Mit der Entscheidung, Berlin als Hauptstadt eines vereinigten Deutschlands auszubauen, ist die Stunde der Flaneure im alten Tiergartenviertel abgelaufen. Dem Rückblick auf ein bedeutendes Jahrzehnt Berliner Geschichte folgt nun eine Offerte an die Gegenwart: »Berlin als Festplatz der Völkerfamilie« - ein kleines, doch exklusives Architekturfestival im DAZ, das 25 Botschaftsgebäude und zehn Landesvertretungen in der Ausstellungshalle präsentiert. Die Baukunst als Botschafter von Botschaftsgebäuden - für die so häufig gescholtene Architektenzunft eine einmalige Gelegenheit, ihr Staats- und Kunstverständnis der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Dies geschieht in der Ausstellung eher selektiv. Liegt die amerikanische Botschaft noch im Clinch mit dem Berliner Senat, um den notwendigen Sicherheitsabstand auszuhandeln, so wehrt sich die Bauverwaltung, den Pariser Platz mit einer Sperrzone zu umgeben. Zwar fügt sich der Entwurf des kalifornischen Büros Moore, Ruble und Yudell mit seinen postmodernen Zitaten in die Gestaltungssatzung des Pariser Platzes ein, so bleibt doch die inhaltliche Bestimmung vage: Mal streng, mal heiter zeigt die mit Pergolen und Arkaden dreigegliederte Fassade, wie leicht es ist, aus einer mit historischen Reminiszenzen befrachteten Architektur eine Multi-Media-Show zu machen. Die eigentliche Sicherheitszone befindet sich mit den Büros und Konferenzräumen im geschlossenen Hofteil. Ein fremder, ein sehr disparater Bau, der Pathos und Populismus mühelos auf sich vereinigt. Ein weiteres, aus dem Zeitgeschehen gedrängtes Ensemble bilden die versprengten Liegenschaften, Konsulate und Botschaftsgebäude am Rande des Tiergartens. Bis in die 60er Jahre übten die durch den Krieg beschädigten Monumentalbauten eine eigentümliche Anziehung auf Literaten und Fotografen aus. Deutsche Geschichte hatte sich hier über Jahrzehnte konserviert und in das Mauerwerk eingefressen. Selbst im Interieur der italienischen Botschaft schien sich der Zusammenbruch der Achsenmächte in den pathetischen Treppenschwüngen und den hohen Türportalen zeitlupenartig zu wiederholen. Provozierende Erinnerungen, überschattet von Trümmerresten und geborstenen Säulen. Die dahindämmernde, in Travertin und rotbraunem Putz von Friedrich Hetzelt 1939 entstandene Villa verkörpert und beansprucht Macht. Und wenngleich sie ihrem großen Vorbild, dem Palazzo Ducale in Gubbio in allen architektonischen Vergleichen unterlegen ist, bleibt sie ein Parvenu, der auf sich aufmerksam macht. Der römische Architekt De Feo, der 1995 den Auftrag zur Sanierung erhielt, möchte die Teilruine »respektvoll« restaurieren.
Die japanische Botschaft wurde ein Jahr nach der italienischen Botschaft von Ludwig Moshamer 1940 erbaut, sie ist ein Spiel aus Täuschungen, Tarnungen und Tektonik. Im Zweiten Weltkrieg zur Ruine halbiert, erhielt das von Kisho Kurokawa und Tiji Yamaguchi 1988 rekonstruierte Gebäude seine jetzige Fassung als wissenschaftliche Tagungsstätte. Ein Ort für Eliten.
In der riesigen Baustelle um den Reichstag wirkt die Schweizer Botschaft wie ein Solitär, der eigensinnig und standhaft seinen Standort behauptet. Das von Friedrich Hitzig 1870 gebaute Stadtpalais mit seiner strengen dreigegliederten Fassade besitzt jene distinguierte Eleganz, die protokollarische Umgangsformen und Diskretion nahelegt. Von Kriegseinwirkungen verschont und von Speers Nord-Süd-Achse nicht tangiert, ist nun mit der langgestreckten Ost-West-Achse der Regierungsbauten ein neues nachbarschaftliches Verhältnis eingetreten. Das Botschaftsgebäude ist dem Bundeskanzleramt nähergerückt. Die neuen Aufgaben, die mit der Wiedervereinigung verbunden sind, fordern größere Räume. Das Büro Diener/Diener, das 1995 den Wettbewerb für den Anbau gewann, betont mit der glatten Fassade die Eigenständigkeit zum Altbau. Die fünf Geschosse, die sich im Neubau befinden, werden durch die schmalen Fensterschlitze geschickt überdeckt, die Diskretion auch in der reduzierten Formensprache gewahrt. Ihre Vorlieben für monumentale Großbauten unterstreichen die Berliner Architekten Leon Wohlhage und Wernik mit einem theatralischen Aufbau des indischen Botschaftsgebäudes. Ein Corbusier-Verschnitt ohne raumschaffende Bewegung, ein Spiel von positiv und negativ, von Zwischenräumen und Volumina, von imponierenden Treppenanlagen und leeren Austritten, ein Bühnenbild für kosmopolitische Auftritte.
Polen, das Unter den Linden residiert, entdeckt, dass es neben der festen protokollarischen Gestaltungssatzung über Berliner Fassaden noch einige Hintertüren gibt, die Offizielles vom Folkloristischen sorgsam trennen. Zur Straßenfront spürt man noch das Bemühen, der Nobelfassade vom Adlon durch einen strengen Fensterrhythmus zu entsprechen. Zur Hofseite wendet sich das Blatt: ein blühender Lustgarten, der Kitsch und postmoderne Dekoration gleichermaßen pflegt. Das in den Botschaften oftmals so sorgsam abgeschirmte Innenleben hat hier endgültig jede ästhetische Verbindlichkeit abgestreift, um der Phantasie eine Spielwiese zu geben. Die niederländische Botschaft am Rolandufer ist hierfür ein prägnantes Beispiel. Rem Koolhaas Entwurf ist eine einzige expressive Geste, die räumliche Bewegung statt konstruktive Gliederung sucht. Ein gläserner Würfel von 27 m Kantenlänge, zerklüftet, zerschnitten und doch durch einen Strom von Schnittlinien und Wegen verbunden. Ein Traum von Raum, der Ordnung und Sicherheitsgebote sprengt, dessen Einschnitte räumliche Tiefenschichten erschließen und doch - trotz aller Verbindungslinien - die Vorstellung eines nicht abgeschlossenen Innenraumes nahelegen. Eine rebellische Geste, die Verwalten gewiss nicht leichter, dafür das architektonische Erlebnis reicher macht.
»Berlins neue Botschaften«, Deutsches Architekturzentrum Berlin, Köpenicker Straße. Bis 1. April 2000.
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