Ein großes Rätsel, ungelöst

Medientagebuch Ließ Castro Kennedy killen? Wilfried Huismans Fernsehdokumentation "Rendezvous mit dem Tod"

Im Jahr 2004 konnte man in dem brillanten Dokumentarfilm The Fog of War, in dem Regisseur Eroll Morris die Lebenserinnerungen des ehemaligen US-Verteidigungsministers Robert McNamara verarbeitete, die Archivaufnahme eines jugendlich-ungestümen Fidel Castro sehen. In der Szene fordert er, man schreibt Oktober 1962, Höhepunkt der Kuba-Krise, Chruschtschow möge doch bitte den atomaren Erstschlag gegen die USA ausführen. Spätestens seit diesem Dokument scheint es auch auf der - ehemaligen - linken Seite Leute zu geben, die Fidel Castro jede Schandtat zutrauen. Der 1951 geborene Wilfried Huismann ist einer von ihnen.

Der aus Bremen stammende Journalist, Sachbuchautor und Dokumentarfilmer ist in der Tat einen weiten Weg gegangen. Als profunder Kuba-Kenner hatte er etwa 1985 Cuba - Ein politisches Reisebuch herausgegeben, in dem er als Autor von Beiträgen wie Die Volksmacht ist ein Schützengraben deutschsprachigen Revolutionstouristen die Vorzüge des kubanischen Systems und seines weisen Führers näherbrachte. Die total überarbeitete Neuauflage des bald zum Standardwerk avancierten Reisebuches tönte dann vier Jahre später, am Vorabend des Mauerfalls, schon wesentlich ernüchterter: Das Wörtchen "politisch" war jetzt aus dem Untertitel gestrichen, aus dem szenegerechten "Willi" war ein - seriöserer - "Wilfried" Huismann geworden, und es gab nun auch Kapitelüberschriften wie: "Aids auf Kuba: Gauweiler geht um". Es dauerte dann nicht mehr lange, und Wilfried Huisman galt in Kreisen der Kuba-Solidarität als "Verräter", da seine journalistischen Beiträge zu der sozialistischen Karibikinsel von einer weitgehenden Enttäuschung über die zunehmende Erstarrung der Verhältnisse in diesem einst als Modell gepriesenen Land geprägt waren.

Aber das Thema Kuba ließ Huismann nicht los. So etwa die unglaubliche Geschichte der 1939 geborenen Deutschen Marita Lorenz, die 1959 während einiger Monate Fidel Castros Geliebte war. Huismann hatte von ihr 1994 zum ersten Mal gehört, dann aber bis 1998 gebraucht, bis er sie in den USA aufgestöbert und überzeugt hatte, ihre bewegte Lebensgeschichte aufzuschreiben. Unter dem Titel Lieber Fidel drehte er mit ihr im Jahr 2000 einen Dokumentarfilm, zu dem 2001 auch ein gleichnamiges Buch erschien. Einen wichtigen Teil nimmt darin auch die Geschichte Lee Harvey Oswalds ein. Marita Lorenz, die nach ihrer Trennung von Fidel Castro in die USA übersiedelte und dort vom CIA angeworben wurde, hatte in den Jahren 1962 und 1963 in exilkubanischen Kreisen Kontakt zu Oswald.

Die Rolle dieses Mannes ist bis heute der Inbegriff des Geheimnisvollen, denn Oswald wurde noch am Mordtag verhaftet und zwei Tage danach seinerseits vom Nachtclubbesitzer Jack Ruby erschossen - welcher wenig später auch umkam. In Lieber Fidel bezeichnete Huismann den Kennedy-Mord denn auch als eines der großen Rätsel des 20. Jahrhunderts, und er listet die verschiedenen Hypothesen auf, die zeigen, wer alles ein Interesse am Tod des charismatischen jungen Präsidenten haben konnte, und in wessen Händen der als fanatischer Kommunist bekannte Oswald ein Werkzeug hätte gewesen sein können: CIA, extreme Rechte, Mafia, radikale Exilkubaner oder aber die kubanische Regierung. Während bis dahin liberale und linke Kreise in- und außerhalb der USA eher zur Ansicht tendierten, die Hintermänner seien im Dunstkreis der vier erst genannten zu suchen - am bekanntesten wohl Oliver Stone mit seinem JFK - galt letztere Hypothese als in Rechtskreisen angesiedelt. Auch deshalb, weil gerade in den letzten Jahren etwa seitens der kubanischen Regierung mittels internationaler Historikerkongresse versucht wurde, Licht ins Dunkel der diversen Verschwörungstheorien zu bringen.

Ausgehend davon, dass bislang kaum Genaues bekannt war über einen Aufenthalt Oswalds in der kubanischen Botschaft in Mexico wenige Wochen vor dem Kennedy-Mord am 22.11.1963, will Wilfried Huismann nun seine neue These beweisen: Oswald wurde von der Castro-Regierung angeheuert. Als Haupt-Motiv führt Huismann auf, Castro habe - ganz westernmäßig - einen von John F. Kennedys Bruder Robert in Auftrag gegebenen Attentatsplan gegen ihn selber vorzeitig durchkreuzen wollen. Das ist so abenteuerlich wie es klingt, auch wenn Wilfried Huismann in dreijähriger Recherchearbeit in Rendezvous mit dem Tod eine ganze Reihe Zeugen aufbot - die größtenteils bereits in Lieber Fidel erwähnt werden.

Wer bestätigt denn, dass Huismanns Kronzeuge Oscar Marino, ein ehemaliger Offizier des kubanischen Geheimdienstes G2, die Wahrheit sagt? Und womit ist auf der anderen Seite bewiesen, dass Ex-General Fabian Escalante, langjähriger Chef der kubanischen Spionageabwehr - der die von Wilfried Huismann vorgebrachten Beweise für seine These in jovialer und selbstbewusster Weise kontert - nur Nebel wirft? Und dann wird der Umstand, dass Huismann zwar als erster Forscher Einblick in das Archiv des mexikanischen Geheimdienstes über Oswalds Aufenthalt in Mexiko vom September 1963 erhielt, dadurch, dass er aber nur gerade 30 von insgesamt 4.000 Seiten einsehen durfte, doch stark relativiert. Ganz zu schweigen von der als unumstößlich angenommenen Prämisse von der Alleintäterschaft Lee Harvey Oswalds, einer Annahme, die Huismann noch 2001 überzeugend als eine von mehreren Hypothesen dargestellt hatte. Und die durch die physikalisch kaum mögliche Bahn der tödlichen Kugeln stets mit einer gewichtigen Schwachstelle behaftet war. In Rendezvous mit dem Tod wurde dieser Punkt ganz einfach ausgeblendet - was die Dokumentation letztendlich so überzeugend und abschließend macht wie Oliver Stone u. Co. Der Kennedy-Mord wird weiterhin eines der großen Rätsel des 20. Jahrhunderts bleiben.


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