Wenn die Anzahl von Sonderparteitagen deutlich zunimmt, Personalquerelen kleinkarierte Züge annehmen und politisches Handeln blockieren, kann von einer Krise gesprochen werden. So sieht es in der PDS vor ihrem Außerordentlichen Parteitag aus. Dem Außenstehenden wie auch vielen Basismitgliedern fällt es indes schwer, die Konfliktlinien zu erkennen. Zu undeutlich bleiben die Hintergründe der Auseinandersetzung, zu unklar sind die Gruppierungen und ihre jeweiligen Ziele. Es scheint, als würde der seit langem die PDS-Debatten prägende Fehler, Konflikten und Entscheidungen möglichst aus dem Weg zu gehen, nur wiederholt.
Bis zum heutigen Tag gibt es keine mehrheitlich getragene Analyse der Gründe für die Wahlniederlage, die den Rauswurf aus dem Bundestag zur Folge hatte. Auf dem Geraer Parteitag wurden die Reformer, ihre Regierungsbeteiligungen und das zu geringe Oppositionsprofil dafür verantwortlich gemacht. Schärfere oppositionelle Politik und eine Orientierung auf Widerstand und außerparlamentarische Bewegungen sollten helfen. Nicht erwähnt wurde, dass die PDS gerade mit ihrer Strategie, sich neben den beiden Lagern als einzige Kraft jenseits eines neoliberalen Mainstreams zu präsentieren, selbstverschuldet aus den wählbaren politischen Bündnisoptionen herausfiel. Dem Parteitag, auf dem die alten Reformkräfte nicht mehr und die jüngeren noch nicht antraten, folgte der Durchmarsch linkspopulistischer Kräfte, die sich Reformdebatten verschließen und die schnell an ihre Grenzen stoßen.
Was plant die PDS für ihren neuen Aufbruch? Sie wählt einen neuen Vorsitzenden, genauer gesagt wieder den alten. Dabei ist daran zu erinnern, dass Lothar Bisky seine Nachfolgerin selbst vorgeschlagen hatte, um einer Entscheidung zwischen den beiden Reformern Petra Pau und Dietmar Bartsch aus dem Wege zu gehen. Auch trägt er Mitverantwortung dafür, dass notwendige Entscheidungen in strategischen Fragen und zu politikfähigen Reformkonzepten nicht getroffen wurden. Zudem scheint es, dass mit der lautstarken Ankündigung von Alternativen zur "Agenda 2010" möglichst verdeckt werden soll, dass der Sonderparteitag vor allem ein Krisenparteitag der PDS ist. Wenn aber eine Krise überwunden werden soll, müssen ihre Ursachen benannt und beseitigt werden.
In diesem Falle müssten die Strategen um Lothar Bisky, Gregor Gysi und André Brie die eigenen Fehler und die realen Herausforderungen benennen. Sie müssten sagen, dass die PDS endlich ankommen muss in diesem System, dass sie nicht ständig dessen Geschäftsgrundlage in Frage stellen kann, dass sie die Regierungsbeteiligungen nicht als problembeladene Ausnahmen ansehen darf, sondern als normale demokratische Einflussmöglichkeit. Sie müssten einräumen, dass die Konsolidierung der Staatsfinanzen nicht alle sozialpolitischen Blütenträume sofort zur Realität werden lässt, dass die Lohnnebenkosten nicht ins Unendliche steigen können, dass die demografische Entwicklung ein ernstzunehmendes Problem für die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme mit sich bringt, dass der Umbruch der Produktivkräfte auch notwendige Veränderungen für die Arbeitswelt mit sich bringt und abstrakte Prinzipien allein das Gesundheitssystem nicht retten. Kurzum, sie müssten endlich zugeben, was die meisten Wähler schon wissen, dass nicht alles so bleiben kann, wie es ist. Und dass sich eine sozialistische Reformpartei in aller Konsequenz diesen Probleme stellen muss, und die PDS genau das nicht verantwortungsbewusst geleistet hat. Reformpolitik contra Strukturkonservatismus - genau das müssten sie sagen. Doch das traut sich niemand aus Furcht vor Abstimmungsniederlagen.
Der Leitantrag zum Parteitag suggeriert, dass die Probleme vor allem Resultat personeller Auseinandersetzungen sind. Die politischen Konfliktlinien werden bewusst nicht gezeichnet, und die Alternativen zur "Agenda 2010" bleiben zu sehr im Allgemeinen. Für den neuen Parteivorstand wünscht Lothar Bisky keine Flügelvertreter. Dass dabei auch keine neue Kraft mit eindeutiger reformpolitischer Orientierung und mit der Fähigkeit zu strategischen Klärungen entsteht, ist klar. Dennoch tragen die Reformkräfte um die Brüder Brie diese Linie mit. Sie waren es auch, die schon Gabi Zimmer den Kurs auf Mitte-Unten-Bündnisse verordnet haben. Nach einer Studie von Michael Brie zur Strategie der PDS geht es darum, zunächst die Grundlagen für neue Mehrheitsverhältnisse zu legen. Das hört sich so an, als müsse man für eine längere Zeit angesichts der derzeitigen Kräfteverhältnisse Widerstand organisieren. Obwohl nicht erwähnt, stören dabei die derzeitigen Regierungen mit PDS-Beteiligung und eine Reformpolitik, die nicht radikal und profilbildend ist.
Die Reformer der jüngeren Generation orientieren auch auf die Kompromisslinie ohne Streit. So fordern sie keine Korrektur der Linie von Gera und bieten als gemeinsamen Grundkonsens eine Mischung aus Antikapitalismus und Friedenspartei an. Der Begriff Antikapitalismus ist jedoch gerade in der Programmdebatte problematisch, weil er nicht den notwendigen politischen Handlungsspielraum lässt, der mit dem Begriff "kapitalismuskritisch" realistischer zu verbinden wäre. Und die Friedensfrage birgt ebenfalls erheblichen Sprengstoff für die PDS, was spätestens dann deutlich werden wird, wenn konkrete Entscheidungen zu dem einen oder anderen UN-Einsatz der Bundeswehr zu treffen sind. Noch aber sind die jüngeren Reformkräfte auf Landesebenen eingebunden und stehen für den Bund nicht zur Verfügung. Ob der jetzt erhoffte Übergangszeitraum von einem Jahr die Bedingungen für eine von ihnen angestrebte zweite Erneuerung verbessert, ist fraglich. Denn die von jüngeren Landesfunktionären organisierte Stabilisierung läuft darauf hinaus, dass die Arbeit der Parlamentarier zwar gesichert werden soll, aber eine Debatte zu strategischen Defiziten nicht stattfindet. Damit wird unausgesprochen auch ein sanfter Rückbau der PDS auf Ostdeutschland verbunden sein.
Angesichts der tiefen Krise der PDS, der Unklarheit in der strategischen Orientierung wie auch im Politikverständnis wiederholt die gewählte Kompromisslinie alte Fehler. Was in jedem Falle ausbleibt, ist der nach innen motivierende und nach außen glaubwürdige Aufbruch. Der Parteitag wird die PDS wieder auf den Zustand von 2000 bringen. Nur sind die Rahmenbedingungen noch schlechter geworden. Die Zeit läuft gegen die PDS. Und so bleibt die Frage, wohin der vorgesehene Übergang, den sich die Reformer verschiedenster Provenienz ausgedacht haben, die Partei eigentlich bringen wird.
Gerry Woop studiert am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik der Universität Hamburg
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