Der totale Journalismus

Ökonomisierung Der Journalismus ist verflacht und nach rechts gerückt. Der Grund liegt in der totalen Ausrichtung auf Marktmechanismen.

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Nie war der Bedarf an Aufklärung größer als heute. Und nie war man einsamer in seinem Unternehmen, sich aufklären zu müssen, als in diesen Tagen. Allein gelassen vor allem von denjenigen, denen die Aufgabe eigentlich zufällt, den Medien nämlich. Jeder von uns hat diese Aufgabe inzwischen selbst zu leisten, denn wir leben unter einer Glocke der Propaganda.

Es geht im Folgenden darum, darüber nachzudenken, wie es dazu kommen konnte. Wir leben in keiner politischen Diktatur, es gibt kein Propagandaministerium und keine Gesetze zur Gleichschaltung. Dennoch: Der Journalismus in Deutschland funktioniert nicht mehr.

Er kann seine Kernfunktion nicht mehr erfüllen, ist kein Mittel der Aufklärung mehr. Sicherlich, der Journalismus unterliegt keinem politischen Diktat, einem ökonomischen allerdings schon, denn er wurde in den vergangen Jahren in ungekannter Weise marktkonform zugerichtet und ist daher nun von ganz konkreten immanenten Interessen geleitet.

Die Protagonisten sind verdammt dazu, zunächst ihr eigenes wirtschaftliches Fortkommen im Blick zu haben. Das gilt sowohl für den Einzelnen Redakteur und Journalisten, als auch für die Medienkonzerne als Ganzes. Doch dadurch kann der deutsche Journalismus seinen Anspruch ein aufklärerisches Regulativ in einer demokratischen Gesellschaft zu sein, nicht mehr erfüllen. Er verliert notwendig jede Vielfalt und die Fähigkeit zu substantieller Kritik.

Erstaunlicherweise fand die Zurichtung auf Marktmechanismen selbst dort statt, wo die Mechanismen des Marktes in der Idee zugunsten der Unabhängigkeit aufgehoben werden sollten. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk wird Marktdruck und Anpassungszwang, das Gift unabhängigen Journalismus’ via Zeitverträge und Scheinselbstständigkeit eingeführt, obwohl der öffentlich-rechtliche-Rundfunk durch die Zwangsabgabe aller Haushalte sich den Luxus von finanziell und vertraglich gut abgesicherten Mitarbeitern nicht nur leisten könnte, sondern auch müsste. Doch gerade hier wird darauf verzichtet. Alle Formate werden von freien Mitarbeitern geschaffen. Festanstellungen gibt es erst ab Ressortleiter. Ein bisher völlig unerkannter Skandal.

Mit den GEZ-Milliarden sollten wenigstens sichere Arbeitsstellen verbunden sein, die unabhängigen Journalismus und zumindest auch den ein oder anderen Streit in den Redaktionen ermöglichen, ohne dass eine Meinungsdifferenz mit dem Vorgesetzten gleich den Verlust der Arbeitsplatzes mit sich zu bringen droht.

Das Ergebnis dieser Entwicklung ist ein marktkonform zugerichteter Journalismus, der nicht die Information der Leser und Zuschauer zum Ziel hat, der sich nicht einem ethischen Wertekanon verpflichtet sieht, sondern der über Seilschaften, Netzwerke, Andienern und Stillhalten funktioniert und ausschließlich das Befördern der eigenen Karriere zum Mittelpunkt hat, beziehungsweise die Sorge um ein Absinken und ein Ausgeschlossen werden.

Das Ergebnis lässt sich täglich in Print und Fernsehen bewundern und treibt einen immer tieferen Keil zwischen Journalisten einerseits und deren Lesern und Rezipienten andererseits. Diese können sich mit ein paar Mausklicks von der Einseitigkeit, der schlechten Qualität, der Unterkomplexität der Berichterstattung überzeugen. Die Inhalte sind dank Internet überprüfbar geworden, in den Leserkommentaren verbirgt sich dann oft der bessere Journalismus, weshalb sie vielerorts auch abgeschaltet wurden.

Zugespitzt lässt sich sagen, das, was abgeliefert wird, sind keine sorgfältig recherchierten Berichte, es sind keine informierenden Nachrichten, das Ergebnis ist keine Qualität, denn die Artikel dienen ausschließlich der Selbstvermarktung, sind Rahmungen für Werbung jeglicher Couleur, wobei die Anzeigen in den Zeitungen noch die harmloseste, weil offensichtlichste Variante sind. Die Artikel selbst sind Werbung, Werbung für die Konformität und Angepasstheit des Autors und die Systemkonformität des gesamten Blattes oder Mediums. So ist die aktuelle Krise des Journalismus schlüssig zu verstehen.

Hier liegt auch der Schlüssel für die absolut einseitige Berichterstattung. Wenn Journalismus im Kern zur Umschmeichelung der Eliten verkommt, weil dies die Karriere am besten befördert oder auch einfach nur den Status Quo sichert, dann ist Einseitigkeit vorprogrammiert. Marktkonformer Journalismus schließt Qualität und Vielfalt schlicht aus.

Die aktuelle Berichterstattung über Griechenland liefert hierzu das beste Beispiel. Hier sieht man deutlich wie eine Gleichschaltung über die Mechanismen des Marktes funktioniert, auf ein Propagandaministerium wie im dritten Reich kann dann getrost verzichtet werden. Die Gleichschaltung erledigt die Struktur des Markttotalitarismus.

Jeder, der sich außerhalb der deutschen journalistischen Käseglocke informiert, bemerkt zügig eins: Es ist unstrittig, dass die Austeritätspolitik gescheitert ist. Das den Griechen diktierte Rezept des radikalen Sparens in der Krise wird niemals funktionieren. Darin sind sich selbst die Vertreter widerstreitender ökonomischer Schulen einig.

Daraus lässt sich weiterhin ableiten, dass es unstrittig ist, dass Merkel und Schäuble in die Geschichte als diejenigen eingehen werden, die mit ihrem Beharren auf eine gescheiterte Politik Europa nachhaltig beschädigt haben werden.

Allerdings finden sich diese Positionen in der deutschen Berichterstattung nicht einmal ansatzweise wieder. Dieser Mangel an Vielfalt, dieses Aufspringen auf eine Meinung und der Versuch sich wechselseitig im Gleichklang zu überbieten, sind die Folgen eines Totalitarismus der gesellschaftlichen Durchökonomisierung, die hier im Journalismus sichtbar wird.

Wenn sich jeder Journalist zunächst nur selbst der nächste ist, dann geht es eben nicht mehr um Information, dann geht es nur noch um Karriere und Konformität.
Die Widerständigen müssen in diesem System notwendig scheitern, den Angepassten und ideologisch Konformen winkt auch bei völliger Ahnungslosigkeit ein lukrativer Posten. Das ist es, was den Unterschied zwischen Journalisten wie Ken Jebsen einerseits, und Figuren wie dem Leiter des ARD-Studios in Brüssel Rolf-Dieter Krause oder der Hofberichterstatter Ulrich Deppendorf ausmacht. Weitsichtige Nachwuchsjournalisten wie Tilo Jung versuchen es gar nicht erst innerhalb des etablierten Systems und verlassen sich auf die immer größere Reichweite des Internets und setzen von Anfang an auf Crowdfunding.

Mit dieser Erklärung der Zuspitzung des Journalismus auf angepasstes Verhalten via Implementierung von Marktmechanismen ist das Komplettversagen des deutschen Mainstreams hinsichtlich der Berichterstattung zur Austeritätspoltik zu erklären, das an einem prägnanten Beispiel ausgeführt werden soll.

Eine zentrale theoretische Säule der Austeritätspolitik war das 2010 publizierte Theorem von Rogoff und Reinhart, nachdem ab einer Staatsverschuldung von über 80 Prozent gemessen am Bruttoinlandsprodukt das Wirtschaftswachstum plötzlich einbricht. Diese wichtige Säule in der Argumentation der Befürworter der Austeritätspolitik brach 2013 zusammen, als die Datenreihe von Rogoff und Reinhart unter die Lupe genommen worden war.

Es gab eklatante Fehler, zum Beipiel fehlten zahlreiche Länder in der Datensammlung. Ob es sich dabei einfach um schlechte wissenschaftliches Arbeiten oder um eine absichtliche Manipulation gehandelt hat, ist hier unwichtig. Wichtig ist, dass sich eins der wichtigsten Argumente für Austerität in Luft aufgelöst hatte.

Doch während der Mainstream zuvor die von EU-Kommission und Bundesregierung ausgegebene Hymne auf die Obergrenze einer Staatsverschuldung von 80 Prozent des BIP völlig unkritisch mitgesungen hatte, verschwand das Thema dann plötzlich vom Bildschirm. In Deutschland löste das Zusammenbrechen der theoretischen Grundlage keinerlei mediale Diskussion über die Richtigkeit der Austeritätspoltik aus, die damals schon Griechenland in die Armut geführt hatte. Die Politik und insbesondere Finanzminister Schäuble ficht das in keiner Weise an.
Der ‘Qualtitätsjournalismus’ lässt das Zusammenbrechen eines wichtigen Axioms der Begründung für den Austeritätskurs überwiegend unkommentiert. Und dies ist der eigentliche Skandal.

Es geht gar nicht um Information, sondern um Affirmation der herrschenden Systeme in der Hoffnung, darüber abgesichert zu werden. Das ist hochgefährlich, denn es befördert eine Art medialer Blasenbildung, die sich jetzt sicherlich noch einmal beschleunigt, bevor sie in absehbarer Zeit in sich zusammenbrechen wird.

Heute trat der bisherige Finanzminister Griechenlands Varoufakis zurück. Sein Nachfolger heißt Tsakalos und das Online-Angebot der Tagesschau skizziert ihn mit den Worten:

In früheren Berichten wird Tsakalotos als überzeugter Keynesianer beschrieben. Das bedeutet: Er glaubt daran, in einer wirtschaftlichen Notsituation Schulden zu machen, um einen Aufschwung zu initiieren.

Man sieht den verantwortlichen Ressortleiter förmlich seiner Praktikantin für diese schlichte Beschreibung des Keynesianismus übers Haar streichen und ihr eine großartige Zukunft zu prophezeien, wenn sie denn so weiter mache. Deren Wangen beginnen zu glühen, denn sie sieht sich schon ihren ersten, sich immer um einen Monat verlängernden Honorarvertrag unterzeichnen, falls dem nicht widersprochen wird.

Die nächste Runde in der Propagandaschlacht ist damit jedenfalls eingeläutet. Auf die absolut fehlende Fachkenntnis von Schäuble, der 1971 mit ‘Die berufsrechtliche Stellung der Wirtschaftsprüfer in Wirtschaftsprüfungsgesellschaften’ zum Dr. jur. promovierte und seine Defizite auf Seiten der Makroökonomie auch nie ausgeglichen hatte, geht die Tagesschau freilich nicht ein.

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