Leo Kirch, Herrscher über den zweitgrößten deutschen Medienkonzern, verhandelt mit Rupert Murdoch, Silvio Berlusconi und dem Saudi-Prinzen Al Waleed. Es geht um eine Beteiligung an der finanziell angeschlagenen Kirch-Gruppe. Wenn die Verhandlungen zum Erfolg führen - und dafür spricht fast alles -, werden die aggressivsten internationalen Medienmultis Einfluß auf den deutschen Markt erhalten.
Kinoreißer, Sexfilme und Fußball nur noch im Abonnement - das wäre der Hebel gewesen, um das zögerliche deutsche Publikum zu seinem digitalen Fernsehglück zu zwingen und dann das große Geld zu machen. Der Münchner Konzernherr Leo Kirch hätte gleich doppelt verdient: am Verkauf von Übertragungsrechten und am Profit des Senders. Kirch besitzt den größten Filmvorrat in Europa (12.000 Spielfilme, 48.000 Programmstunden) und milliardenschwere Rechte an neuen Hollywood-Produktionen. Erfolgreiche Film- und Fernsehproduktionsgesellschaften (Constantin) sind in seinem Besitz. Er vertreibt den Decoder D-Box zur Entschlüsselung der Digitalprogramme. Und: Für 3,4 Milliarden DM kaufte Kirch die Rechte an den Fußballweltmeisterschaften 2002 und 2006 (mit Option für 2010).
Abo-Pleite und KG-Lösung
Schon 1988 hatte er mit »Teleclub« einen Versuch gestartet, der aber 1990 scheiterte (nur in der Schweiz besteht er noch). Deshalb beteiligte er sich 1992 an dem von Bertelsmann und dem französischen Konzern Havas (canal plus) betriebenen Abosender »Premiere«. Mitte der neunziger Jahre kam das digitale Fernsehen auf. Kirch war der Meinung, daß das die Technik für das Abofernsehen werden kann. Weil die anderen Premiere-Teilhaber zögerten, machte Kirch seinen eigenen Laden auf und gründete 1996 den Abosender DF 1, der voll auf die Digitaltechnik setzt. Seine Anteile an Premiere behielt er.
Doch das deutsche Publikum wollte nicht so wie Kirch. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern, in denen Abofernsehen zum Teil mit Erfolg läuft, gibt es in Deutschland wenig Nachfrage für teures Bezahl-TV: 1998 hatte Premiere 1,7 Millionen Abonnenten (davon 400.000 auf Digitalbasis), DF 1 nur 280.000 - viel zu wenig, um aus der Verlustzone herauszukommen und Grund genug, beide Sender zu vereinen.
Im Mai 1998 verbot allerdings die EU-Kommission die geplante Fusion. Selbst direkte politische Eingriffe von Exkanzler Kohl und NRW-Ministerpräsident Clement nützten nichts. Auch der Versuch, das Ziel auf anderen Wegen zu erreichen (Übernahme der Anteile von canal plus an Premiere durch Bertelsmann und Kirch zu je 50 Prozent) scheiterte im Oktober am Veto des Bundeskartellamts.
So blieb Kirch auf seinen weitreichenden Abnahme-Verpflichtungen sitzen, insbesondere gegenüber US-amerikanischen Filmfabriken (geschätztes Volumen: zehn Milliarden Mark). Hinzu kommt, daß nicht nur Premiere und DF 1, sondern im Moment auch die von Kirch beherrschten Sender Sat 1 und DSF Verluste aufweisen. Dabei hatte Kirch seine Beteiligung am DSF in den vergangenen Jahren von 17,6 auf 100 Prozent erhöht. Das dürfte knapp eine halbe Milliarde Mark gekostet haben. Und erst im Oktober 1998 kaufte Kirch für eine unbekannte Summe vom Holtzbrinck-Konzern dessen 15 Prozent am Sender Sat 1.
Die beiden einzigen, mit Gewinn betriebenen Sender des Kirch-Imperiums, Pro 7 und Kabel 1, sowie andere ertragreiche Unternehmungen reichen längst nicht mehr, um die Last der Verbindlichkeiten zu tragen. Kirch braucht viel Geld, und deshalb muß er Teile seines Imperiums zum Kauf anbieten. Diesem Zweck dient eine Neustrukturierung, die seit Anfang Januar 1999 gilt. Der Konzern besteht jetzt aus drei Holdinggesellschaften. In der ersten (Kirch PayTV KGaA) ist alles zusammengefaßt, was mit Digital- und Abofernsehen zu tun hat (auch technische Betriebe wie Beta Digital). Die zweite Holding (Taurus Beteiligungs GmbH Co.KG) faßt die Anteile an anderen Firmen zusammen. Interessant für fremde Investoren ist die dritte Holding: die Kirch Media KGaA. In ihr sind die Filmhandelsfirmen einschließlich der Filmvorräte und die restlichen Produktionsbetriebe vereint. Hier wird sehr viel Geld verdient.
Projekt Traviata
Als klar wurde, daß Kirch »Partner« suchen muß, brauchte man nicht lange zu rätseln. Seit Juli 1998 ist bekannt, daß Leo Kirch mit Silvio Berlusconi, Rupert Murdoch und Al Waleed verhandelt. Mit »Projekt Traviata« hatte sich die Runde sogar einen filmreifen Namen gegeben.
Rupert Murdoch hat sich durch riskante und skrupellose Manöver einen führenden Platz auf den Medienmärkten in Australien (seinem Herkunftsland), Großbritannien, Asien und den USA erobert. Laut Geschäftsbericht 1997 besaß er 789 Firmen in 52 Ländern oder war daran beteiligt. Murdoch orientiert sich ausschließlich an Macht und Profit. Seine Massenblätter, allen voran die englische Sun, zeichnen sich durch besondere Aggressivität aus und werden gezielt eingesetzt, um Murdochs politische Interessen zu unterstützen.
Murdoch versucht schon seit längerem, auf den Fernsehmärkten in Italien und Deutschland Fuß zu fassen. An Vox ist er mit 49,9 Prozent beteiligt. 1995 und 1998 wollte er die Mehrheit an Berlusconis Mediaset kaufen, 1996/97 versuchte er es bei Kirch. Beide Male scheiterte er. Erst vor kurzem hatte er wieder Erfolg. Im November 1998 kaufte er eine 66-Prozent-Beteiligung am Münchner Sender TM 3. Anfang Januar hieß es, er habe einen Vorvertrag zum Kauf des italienischen Abosenders »Stream« abgeschlossen. Mit dem Einstieg bei Kirch hätte er sich als dritte Kraft (neben Bertelsmann und Kirch) auf dem deutschen TV-Markt festgesetzt.
Silvio Berlusconi - 1994 kurzzeitig Ministerpräsident Italiens - beherrscht mit Fininvest den größten privaten Medienkonzern Italiens. Aus medienpolitischen Gründen hat er die TV-Aktivitäten in die Firma Mediaset ausgegliedert. Seine drei Fernseh- und mehrere Radiosender setzt er gezielt ein: als Propagandainstrument für seine politischen Bestrebungen und zu seinem Schutz gegen Staatsanwälte (wegen Korruption und Steuerhinterziehung).
Berlusconi pflegt enge geschäftliche und persönliche Kontakte zu Leo Kirch, der zeitweise in erheblichem Umfang an Berlusconis Konzern beteiligt war. Geblieben sind davon 1,3 Prozent Mediaset-Anteile sowie eine Zusammenarbeit in verschiedenen Bereichen (zum Beispiel eine gemeinsame »strategische Partnerschaft« mit dem US-Filmproduzenten Spyglass und eine gemeinsame Beteiligung zu je 25 Prozent am spanischen Fernsehsender Tele Cinco).
Berlusconi beabsichtigt wie Murdoch, seine Medienmacht auszubauen, indem er Verwertungsmöglichkeiten in anderen Ländern aufbaut. Der Präsident von Mediaset, Confalonieri, verkündete im September 1998 als vorrangiges Ziel seines Konzerns ein »European TV Network«. Der Einstieg bei Kirch wäre ein wichtiger Schritt dorthin.
Waleed ibn Talal ibn Abd-el-Aziz (»Al Waleed«) ist der dritte Kandidat. Der Prinz aus dem saudischen Herrscher-Clan gilt als einer der reichsten Männer der Erde. Sein Vermögen wird auf 13 bis 20 Milliarden Dollar geschätzt. Mit diesem Geld kauft er Anteile an diversen Firmen, vorzugsweise solche mit Liquiditätsproblemen. Er ist an der CitiBank, Euro Disney und Apple Computer beteiligt, aber auch an Murdochs News Corporation (5 Prozent) und Berlusconis Mediaset (2,3 Prozent).
Mit dem Medienimperium der saudischen Herrscherfamilie ist Al Waleed eng verbunden. Der Clan dominiert die Fernseh-, Film- und teilweise die Printmärkte im Nahen Osten. Mit seiner Beteiligung am Murdoch/Berlusconi/Kirch-Verbund würde sich Al Waleed eine Schlüsselrolle im internationalen Mediengeschäft erobern.
Boyz Channel und Gilz Channel
Bei vielen Betreibern privater Fernsehsender ist nach der ersten Euphorie Ernüchterung eingekehrt. Wegen der enormen Kosten und der hohen Risiken haben sich die meisten Medienkonzerne wieder zurückgezogen. In Deutschland etwa spielen die Herrscher der Printmärkte (WAZ, Springer, Holtzbrinck, Bauer, Burda) nur noch ein Schattendasein beim Fernsehen: Übriggeblieben sind Bertelsmann und Kirch, aber die sind mit dem Erfolg ihrer Sender auch nicht zufrieden. Profitabel sind nur RTL, Pro 7 und seit kurzem Kabel 1 (sowie die Musiksender Viva und MTV).
Der deutsche Fernsehmarkt gilt wegen der starken Position der öffentlich-rechtlichen Anstalten und der großen Zahl der Sender als schwierig. Derzeit kämpfen 14 öffentlich-rechtliche und 12 werbefinanzierte Sender um die Quoten. Dazu kommen österreichische und Schweizer Programme sowie regionale Sender: zusammen mindestens 30 deutschsprachige Angebote, die über Kabel oder Satellit frei zu empfangen sind.
Diese Situation ist für die Konsumenten vorteilhaft, für die Betreiber weniger, denn die Werbeeinnahmen sind unsicher und werden auf zu viele Anbieter verteilt. Der Ausweg liegt im Abonnentenfernsehen: Hier gäbe es einen festen, kalkulierbaren Einnahmeblock ähnlich wie bei den Gebühren der öffentlich-rechtlichen Sender. Die Perspektiven sind verlockend: Erstverwertung von Spielfilmen und interessanten Serien, Spitzenveranstaltungen (Sport, Musik und Entertainment) nur noch im Abofernsehen.
Anschließend geht's zu den werbefinanzierten Sendern, bei denen Senderfamilien vorteilhaft sind: nach RTL kommt RTL 2, nach Pro 7 Kabel 1, und zwar jeweils für die Zweit- und Drittverwertung. Hier kann auch der Serien- und Unterhaltungsschrott gesendet werden, der zusammen mit den Spitzenfilmen gekauft werden muß. Das Ganze klappt umso besser, je schwächer die öffentlich-rechtliche Konkurrenz ist.
Beim klassischen Abofernsehen gab es noch das Problem der Frequenzen. Ihre Zahl ist begrenzt. Digitalfernsehen schafft Abhilfe, denn damit läßt sich die Zahl der Kanäle vervielfachen. Murdoch führt die Möglichkeiten in den USA schon vor: Seine Fox Group eröffnet einen Kanal nach dem anderen mit immer spezifischeren Zielgruppen. Jüngster Knüller sind der Boyz Channel und der Gilz Channel - getrennte Programme für Jungen und Mädchen zwischen zwei und 14 Jahren, rund um die Uhr.
Total digital: Kohl, Stoiber, Clement
Die alte Bundesregierung hat im August 1998 beschlossen, daß bis 2010 nur noch digitales Fernsehen gesendet werden soll. Ob die Zuschauer das brauchen und wollen, hat sie nicht gefragt. Interesse an dieser Entwicklung haben in erster Linie jene Konzerne, die im europaweiten Fernsehgeschäft tätig sind: neben Bertelsmann und der Havas-Gruppe also vor allem Murdoch, Berlusconi und Kirch. Ein europäisches Fernseh-Oligopol mit weltweiten Verbindungen könnte entstehen. Fünf Konzerne, untereinander personell und finanziell verflochten, würden den entscheidenden Teil des europäischen TV-Netzes beherrschen und die Maßstäbe setzen. Sie könnten für Spitzenprogramme konkurrenzlos hohe Preise bieten und die Kosten über Abonnements und Werbung sowie internationale Vielfachnutzung wieder hereinholen. Für nationale Anbieter blieben regionale und Nischenprogramme, das Schicksal der öffentlich-rechtlichen beziehungeweise staatlichen Anstalten wäre offen.
Medienpolitik ist in Deutschland größtenteils Ländersache. Die Ministerpräsidenten sehen ihr Ziel hauptsächlich darin, »ihre« Standorte und die dort angesiedelten Konzerne zu unterstützen. Deshalb engagiert sich Bayerns Stoiber (CSU) für den Münchner Leo Kirch und NRW-Clement (SPD) für Bertelsmann in Gütersloh. Für Rupert Murdoch haben sie beide ein offenes Ohr, denn der Sender Vox sitzt in Köln und TM 3 in München.
Am 20. November 1998 trafen sich Murdoch und Clement in New York, um über das Engagement des Medienherrschers in Deutschland zu beraten. Mit am Tisch saß Helmut Thoma, früherer RTL-Chef, der als honorarfreier Medienberater in der Düsseldorfer Staatskanzlei wirkt. Es war nicht das erste Gespräch zwischen Murdoch und Clement. Auch bei dem spektakulären »Freundschaftsbesuch« Stoibers bei Clement in Düsseldorf am 26. November war die gemeinsame Medienpolitik ein zentrales Thema der vertraulichen Gespräche.
Medienpolitik orientiert sich in Deutschland vorrangig an wirtschaftlichen Interessen (Standort, Arbeitsplätze). Presse- und Informationsfreiheit werden für das Feuilleton und Festschriften reserviert. Von Politikern (egal ob CDU/CSU/FDP oder SPD/Grüne) darf man nicht erwarten, daß sie gegen die finsteren Pläne Front machen. Und in den deutschen Medien wird der wahrscheinliche Einstieg von Murdoch und Berlusconi bei Kirch mit einer Mischung aus Schadenfreude und Mitleid begleitet. Unkommentiert bleibt das eigentliche Problem: die verheerenden Folgen für die Medienkultur.
Murdoch, Berlusconi und Al Waleed stehen für eine Medienpolitik, die ausschließlich an Macht und Profit orientiert ist. Sie akzeptieren kein Hindernis - am wenigsten Belegschaften und Gewerkschaften - und sind bereit, ihre Medien offen für politische und persönliche Kampagnen einzuspannen. Letzteres gilt am stärksten für Berlusconi, der seine Medienmacht mit rechtsradikalen politischen Zielen verbindet. Gewiß besteht kein Anlaß, die deutschen Medienkonzerne in Schutz zu nehmen. Betriebsräte und Redakteure bei Springer- und WAZ-Zeitungen, bei Bauer- und Burda-Zeitschriften oder bei Bertelsmann- und Kirch-Sendern können manches Lied von Erpressung mit Arbeitsplatzvernichtung, Tarifbruch oder Eingriffen in die Redaktionsarbeit singen. Aber das, was Murdoch beim Londoner Druckerstreik 1986 an Brutalität gezeigt hat (er feuerte fast die gesamte Belegschaft und stellte Hilfskräfte ein), wie er seine Zeitungen zu hemmungslosen Kampagnen benutzt, oder auch Berlusconis Mißbrauch der Medien wären hierzulande eine neue Dimension.
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