Fachbüffel

linksbündig Die Universitäten verabschieden sich vom Ideal der Bildung für alle

Die Leistungen des schon jetzt unterfinanzierten deutschen Universitätssystems sollen nun - zumal in Berlin - durch Sparreformen weiter gesteigert werden. Zwei Opfer sind zu beklagen: der in Unehren egrauende wissenschaftliche Nachwuchs der heute rund Vierzigjährigen und die Einheit von Forschung und Lehre - die Bildung. Zur Zeit der sozialdemokratischen Bildungsexpansion der siebziger Jahre konnten sich junge promovierte Wissenschaftler dem Ruf auf eine Professur kaum, wenn überhaupt nur durch Selbstmord entziehen. So sehr begehrt war das wissenschaftliche Personal, und die rationale Lösung war, einen Lehrstuhl zu besetzen, ohne sich der zweiten großen Qualifikationsprozedur, der Habilitation, zu unterziehen. Die Früchte der damaligen Reform, die Lehrstühle, werden jetzt freigegeben, aber es stellen wieder Sozialdemokraten die Regierung und reformieren - aus Nostalgie? - orientiert am Jugendwahn die Hochschulen. Konsequenterweise sollen nicht diejenigen gefördert werden, die sich in den neunziger Jahren habilitiert haben, sondern die jetzt frisch Promovierten - die wahre akademische Jugend. Für sie wurde die Juniorprofessur eingeführt. Die Altpromovierten und habilitierten Privatdozentinnen werden "verschrottet" und dank Agenda 2010 in die Sozialhilfe entsorgt. Von da aus können sie sich dann um die noch verbleibenden Stellen bewerben. Für diese Gruppe hält die deutsche Gesellschaft eine wohl weltweit einmalige soziale Spannbreite bereit: Die Alternative heißt, entweder in der Sozialhilfe oder, eher unwahrscheinlich, auf einer Lebensstellung als Professor zu landen. Dazwischen gibt es nichts, denn mit 40 ist man außer vielleicht fürs Putzen zu alt für alles. Die Betroffenen haben 2002 zu großen Teilen Grün oder SPD gewählt - schön blöd.

Das zweite Opfer ist die Idee, Bildung sei für alle da. Früher, als das Universitätsstudium noch wenigen Bessergestellten vorbehalten war, diente es der Bildung für das bürgerliche Leben und war nicht wie heute ein Massengut. Jetzt heißt es auch nicht mehr Bildung, sondern Ausbildung. Die Vorstellung, man könne nicht nur Schornsteinfeger und Mediziner für einen exakt zugeschnittenen Beruf ausbilden, sondern auch Physiker und Soziologen setzt sich durch. Wenn "Studenten büffeln" ist das den Hausblättern der Studienräte (Zeit) und Ingenieure (Spiegel) ein Ausweis für ein Elitestudium. Das ist der real geplante Unsinn des international vergleichbaren Bachelor-Abschlusses. Das Büffelstudium wird es an Fachhochschulen für die Vielen geben. Daneben gibt es Elite-Unis, an denen vermittelt wird, was Chefsache ist - nachdenken über das große ganze Deutschland zum Beispiel. Die wahre Bildung muss bei Massenandrang separiert werden. Das setzen auch Sozialdemokraten durch. Thilo Sarrazin, der Berliner Finanzsenator, gibt die Linie vor. Nach der Plünderung der Kassen durch den stadteigenen Filz hat Thilo wegen knapper Kassen festgestellt, dass bei den Unis gekürzt und die Fachhochschulen ausgebaut werden müssten. Die Reaktion ist adäquat: Als zukünftige Elite-Institution kürzt die Humboldt Universität die Zahl der Studierenden, indem sie keine neuen Erstsemester im Winter annehmen wird und die FU, Freie Massenuniversität, kürzt am Lehrpersonal.

Die bessere Lösung wäre, einen Finanztopf zu bilden, in den die Bundesländer (und wenn der SPD-Buhlwahn nicht wäre auch die reichen Familien) gemäß der Zahl ihrer Abiturienten einzahlen. Aus diesem Topf würden die Universitäten Geld bekommen - pro Student. Dies würde automatisch zu einem Wettbewerb unter den Hochschulen führen, denn die finanzielle Ausstattung hinge von der Zahl der Studierenden ab. Berlin könnte wegen seiner vielen Studentinnen traumhaft viele akademische Arbeitsplätze schaffen.

In diesem Modell könnten die StudentInnen selbst entscheiden, ob sie ein verschultes und durchkontrolliertes Studium wollen. Wer auf den Berufsausbildungstrick reinfällt, muss zur Strafe büffeln gehen und den anderen die Muße lassen, die es braucht, um einen vernünftigen Gedanken zu fassen. Nicht Bildungspolitiker, sondern Studenten entschieden darüber, ob sie elitär oder anders studieren wollen. Am Arbeitsmarkt würde sich dann klären, wie viele Fachbüffel gebraucht werden.

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