Zum (Nicht-) Verhalten des Berliner Senats anlässlich einer rassistischen Kampagne

Dokumentation "In die Wüste" schicken wollte eine vorgebliche anti-antisemitische Kampagne BDS und Amnesty International, der Berliner Senat windet sich heraus und geht repressiv gegen palästinensische Stimmen vor, meint eine Antisemitismusexpertin.

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Karin Wetterau, Autorin des Buches "Neuer Antisemitismus? Spurensuche in den Abgründen einer politischen Kampagne" schreibt angesichts des Verhaltens des Berliner Senats zu der rassistischen und pseudo-anti-antisemitischen Kampagne "Solidarisch gegen Hass" folgenden Brief an die Berliner Senatsverwaltung:

Sehr geehrter Herr Marquard,

nach massiven Protesten wurde die Veranstaltung "Solidarisch gegen Hass" mit der Begründung abgesagt, Kritiker:innen hätten die Ironie des geplanten Events nicht verstanden und damit eine Eskalation herbeigeführt, die die Durchführung der Veranstaltung unmöglich gemacht hätte. Eine bemerkenswerte Verkehrung von Ursache und Wirkung, die signalisiert, dass die Veranstalter:innen und ihre Unterstützerr:innen in der "Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung" zu keinerlei Korrektur ihres äußerst problematischen Antisemitismus- und Demokratieverständnisses bereit oder in der Lage sind.

Die notwendige Absage der befremdlichen und auch rechtlichen bedenklichen Persiflage "Deutschland sucht den - antisemitischen - Superstar", verknüpft mit der aggressiv-empathielosen Provokation, diese "Show" ausgerechnet am Tag des Nakba-Gedenkens zu starten, wird konterkariert durch das Verbot aller Gedenkdemonstrationen zur Geschichte und Gegenwart der Nakba an eben diesem Tag durch die Berliner Exekutive und Justiz. Nicht erst in diesem Fall wird die Suspension elementarer Grundrechte als Ausdruck unserer besonderen historischen Verantwortung gerechtfertigt. Faktisch stellt das geplante Hass-Event eine Perversion unserer deutschen Erinnerungskultur dar:

Als angebliche Antisemiten sollen Amnesty und BDS "in die Wüste geschickt" werden. Der erste Genozid des 20. Jahrhundert, verübt von deutschen Kolonialherren, schickte das Volk der Herero und Nama samt Frauen und Kindern 1904 in die Wüste, wo sie dem sicheren Tod durch Verdursten ausgesetzt wurden. Einen solchen Assoziationsraum zu eröffnen, lässt jede historische Sensibilität vermissen.

Veranstaltungsort sollte der Berliner Bebelplatz, vormals Opernplatz sein. Bekanntlich wurden hier am 10. Mai 1933 unliebsame Dichter und Denker, Autoren und Wissenschaftler wegen "undeutschen Geistes" von den Nazis "in die Wüste geschickt" und mehr als 20 000 ihrer Bücher verbrannt. Daran erinnert heute ein Denkmal am Bebelplatz: "Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen". Die "große Show" an diesem historischem Ort , eine "ironische" Reinszenierung der Nazi-Barbarei?
Was haben sich die Veranstalter:innen dabei gedacht, diesen Ort des mahnenden Gedenkens für ihr frivoles Hass-Event auszuwählen? Und was sagt es über die staatlichen Stellen aus, die diese Entwürdigung des Gedenkens unterstützen?

In Erwartung einer Antwort, was Ihre Stelle in Zukunft zu tun gedenkt, um solchen geschichtsvergessenen Diskriminierungen, wie sie Demonstrationsverbot und Hass-Plakat darstellen, Einhalt zu gebieten, verbleibe ich

mit freundlichen Grüßen

Karin Wetterau

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Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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