Krieg mit Moral

Irakkrieg 1991 Vor dreißig Jahren befeuerten die weltpolitische Krise und der Golfkrieg einen Pro-Imperialismus der westdeutschen Linken

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Der Golfkrieg 1991 führte zu einer Zerfalls- und Neuzusammensetzung der traditionellen Linken. Damals befand sich die an der Sowjetunion orientierte Linke in einem Paralysezustand. Ihre "Große SU" befand sich bereits in Auflösung, der Warschauer Pakt wurde gerade abgewickelt, Gorbatschow trug den Boykott und die Ultimaten der UNO gegen den Irak, der sich Kuwait eingeheimst hatte, mit. Schließlich billigte die Sowjetunion den US-geführten Krieg am Golf. Die Mehrheit der außerparlamentarischen Linke stellte sich antiimperialistisch gestimmt gegen den Krieg. Einige intellektuelle Publizisten scherten aus diesem Grundkonsens aus, wie der Frankfurter 68er-Linke Detlev Claussen, der sich dann auch später aus der traditionsreichen Zeitschrift "links" verabschiedete. Er sah den "Bellizismus" - also eine Position, die dem Krieg emanzipatorische Potentiale bescheinigte - als richtige Position an, um den völkerrechtsbrüchigen Saddam Hussein, der zur Gefahr der Golfregion geworden ist, zu stoppen. Gleichzeitig schalt er den alten Internationalismus der Linken, der als "Antiimperialismus" zu einem "Ressentiment" verkomme, weil er den Despoten Saddam Hussein fälschlicherweise zu einem Statthalter der Anliegen der "Dritten Welt" verzeichnen würde. Als dieser den Palästina-Konflikt instrumentell befeuern wollte und Raketen auf Israel abschoss, fand auch die Redaktion der Hamburger Konkret Anschluss an den Bellizismus, den sie vornehmlich anti-antisemitisch begründete. Dabei musste sie die Friedenbewegung, der die traditionsreiche linke Zeitschrift lange Zeit verpflichtet war, als "antisemitisch" und "antiamerikanisch" hinstellen. Dies geschah gegen jede Empirie und Wahrhaftigkeit, wie sowohl Markus Mohr als auch der Graswurzelredakteur Lou Marin jüngst herausgestellt haben.

Tatsächlich waren jene Stimmen, die sich im Sinne eines von Claussen befürchteten "Antiimperialismus der dummen Kerle" einen Sieg Saddam Husseins verbeiwünschten, nahezu nicht existent. Auf großen Friedensdemonstrationen betonten die damaligen Aktivist*innen ihre Solidarität mit dem vom Irak im Kriegsgeschehen angegriffenen Israel, erinnerten an die Massaker an den Kurd*innen, die Saddam Hussein Ende der 80er Jahre mit deutschen Giftgas durchführt, und riefen zum Boykott deutscher Waffenschmieden auf.

Bis heute werden allerdings die kriegslüsternen Auslassungen von linken Publizisten wie Wolfgang Pohrt oder Eike Geisel von ihrem Verleger oder ihrer alten wie neuen Anhängerschaft einfach beschwiegen. Auch das ist eine interessante Diskursanordnung: Während der damalige Grünen-Sprecher Christian Ströbele nach massiver Kritik an seiner Anti-Kriegs-Argumentation den Hut nehmen und sich gar mit dem Antisemitismus-Vorwurf herumschlagen musste, gelten die antihumanistischen Pro-Kriegs-Argumente als zu vernachlässigende Größe. Was sagte Ströbele? Er nannte die Tatsache, dass Israel von Saddam Hussein mit Raketen beschossen wurde, „die logische, fast zwingende Konsequenz der Politik Israels“. Außerdem sprach er sich gegen die Lieferung von Patriot-Luftabwehrraketen an Israel aus. Musste Ströbele wirklich für die halbe Wahrheit, die er aussprach, als "Antisemit" gescholten werden? Tatsächlich entsprachen die Raketen Saddam Hussein der Logik eines die Palästinafrage demagogisch bedienenden Diktators, der sich als Vorkämpfer der arabischen oder gar "islamischen Welt" gegen Israel und den Westen in Stellung bringen wollte. Dies nicht deutlich benannt zu haben, mag der politische Fehler Ströbeles gewesen zu sein. Dass Hussein aber mit einem solchen Manöver pokern konnte, hatte auch seinen Grund in der anhaltenden Okkupationspraxis Israels in den palästinensischen Gebiete, in denen seit 1987/88 eine Intifada, ein Aufstand, und eine repressive Politik der Aufstandsbekämpfung vorherrschte. Insofern war an Ströbeles Satz auch nichts verkehrt, geschweige denn "antisemitisch".

Leisten wir uns ein wenig "Whataboutism": Was sagten die Koryphäen der intellektuellen radikalen Linken, Eike Geisel und Wolfgang Pohrt, damals? Pohrt wünschte sich einen Atombombenabwurf auf Bagdad herbei und wollte in Friedensaktivist*innen bestenfalls "piepstimmige Erzieherinnen", schlimmstenfalls eine neue SA erblicken. Geisel steigerte seinen Bellizismus zu genozidalen Phantasien. Die durch die USA getöteten 100.000 irakischen Soldaten seien ja keine "edlen Wilden", so erklärte Geisel in konkret vom Juli 1991, sondern dazu ausgebildet gewesen, Menschen auszurotten oder Israel in ein Krematorium zu verwandeln. Man muss gar nicht die gleichen üblen Unterstellungen an diese Sätze herantragen, mit denen Ströbele seiner Zeit zu kämpfen hatte, um schlicht zu konstatieren: Hier wird das Abschlachten von teils desertierenden, teils bereits geschlagenen Soldaten des Irak legitimiert. Vor der Erregungsbühne des vorgeblichen "Antiimperialismus der dummen Kerle" spielte sich ein recht harscher Proimperialismus der feinen Herren ab. Versuchte der alte Antiimperialismus mit der anklagenden Moral eines imperialistischen Lebensstandards („Kein Blut für Öl“) zu argumentieren, so wucherte der neue Proimperialismus mit so moraltriefenden wie verlogenen Auschwitz- und Israelbekenntnissen. Insofern war eine prinzipienfeste Antimilitaristin auch immer weiter von Joschka Fischers Kosovokriegslegitimation entfernt als ein bellizistischer konkret-Publizist.

Auch wenn ein Großteil der sogenannten "Radikalen Linken" - um KBler*innen und Ex-Fundis der Grünen wie Jutta Dithfurt, Thomas Ebermann und andere -, antiimperialistische und Anti-Kriegs-Positionen vertraten, wie in einer Kampagnenzeitung "Gegen den Krieg" ablesbar und durchaus einer antiimperialistischen Israel-Kritik verpflichtet waren, an die sie heutzutage wohl nicht mehr so gerne erinnert werden, so war der Golfkrieg innerhalb der radikalen Linke doch die Geburtsstunde der "Antideutschen", die später für militaristische Israel-Solidarität standen ("Waffen für Israel"), die Golfkriege 1999/2003 befürworteten und gegen linken Antimilitarismus agitierten. Die Entwicklung dieser Strömung habe ich in "Die andere Querfront" nachgezeichnet. Die militaristische und pro-bellizistische Linke hat sich in interessanter Weise diskursiv auf pro-atlantizistischen Regierungskurs geschrieben. Die Vorhaltung an eine antiimperialistische oder antimilitaristische Linke, sie sei "anti-amerikanisch" oder "antisemitisch", folgte einer konservativen und rechter Erzählung über die Linke, die stets wenig Skrupel hatte, dem Gegner Ungeheuerlichkeiten zu unterstellen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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