Die gesinnungsethischen Bellizisten

Kriegspropaganda Alte kriegsbegeisterte Diskurskämpfer machen gegen Russland mobil. Für die Ukraine. Für „den Westen“. Gegen die Vernunft. Eine Polemik

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Ralf Fücks ist einer der Unterzeichner des zweiten offenen Briefes an Bundeskanzler Olaf Scholz
Ralf Fücks ist einer der Unterzeichner des zweiten offenen Briefes an Bundeskanzler Olaf Scholz

Foto: Imago/Camera 4

Die Sache der Ukraine sei auch unsere Sache, behauptet ein offener Brief an Kanzler Scholz und an die Öffentlichkeit, der von liberalen bis konservativen Protagonisten des öffentlichen Diskurses lanciert wurde. Die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine müsse gestärkt und die Kriegsfähigkeit Russlands maximal geschwächt werden, verkündet der Brief. Und wie so oft, sollen mit diesem Statement, das sich für weitere und schier grenzenlose Waffenlieferungen an die flott fordernde ukrainisch Regierung ausspricht, alle kritischen Fragen zum Verstummen gebracht werden.

Stellen wir sie trotzdem: Wer ist denn dieses „Wir“ und welche „Sache“ ist gemeint? Kann es wirklich um die territoriale Integrität der ganzen Ukraine inklusive der Krim und den abtrünnigen „Volksrepubliken“ der Ostukraine gehen, um die ja bereits seit 2014 ein veritabler und blutiger Bürgerkrieg geführt wird? Kann es wirklich ums Niederringen „der Russen“ gehen, wie es so manchem Deutschen, aber auch anderen Personen ohne Nazihintergrund nicht nur im privaten Gespräch entfährt? Ist „unsere Sache“ das Ausschlagen von jeglicher Verhandlungslösung und jeglichem Kompromiss? Ist es wirklich „vernünftig“ und logisch, wenn „wir“ unsere Sache, also die weitere Belieferung der Ukraine mit schweren Waffen, auf dem Widerspruch aufbauen, einerseits sei Putin verrückt und irre und man könne mit ihm nicht verhandeln, andererseits aber eine Atomkriegsgefahr kategorisch ausgeschlossen sei, weil Russland einer kühl kalkulierenden Theorie und Praxis in Hinsicht der Atomwaffeneinsätze folgen würde? Kann „unsere Sache“ die Sache der Rüstungsindustrie sein, die als Einzelkapital natürlich so lange liefern will, wie das Geld in der Kasse klingelt – theoretisch bis zu jenem Punkt, bis alles in Scherben fällt? Ist „unsere Sache“ der ukrainische Sieg über Russland wie US-Verteidigungsminister Austin auf dem amerikanischen Militärdrehkreuz Ramstein bekannt gab?

Haben wir das durch US-Geheimdienst-Hilfe erfolgte Liquidieren russischer Generäle so zu beklatschen wie die Ausbildung ukrainischer Soldaten in der Bundesrepublik? Sollen wir gleichzeitig diese internationale Dimension des Kriegs ausblenden und die ukrainische Kombattantenseite immer noch zum tapferen gallischen Dorf im Widerstand verzeichnen? Oder sollen wir uns am ukrainischen Helden-Mythos berauschen wie die Frankfurt Allgemeine Zeitung, die besonders gerne einen Sorelschen Nationalmythos, diesmal im Dienste des „Westens“ und nicht mehr in jenem der völkischen Erregung gegen den Westen, über die osteuropäische Bande wiederhergestellt sehen möchte?

Die gesinnungsethischen Bellizisten sind nicht nur die alten antisowjetischen Kämpfer wie der Ex-Grüne Influencer Ralf Fücks, die ihren Maoismus, der schon immer der Sowjetunion Imperialismus NS-deutschen Ausmaßes, wenn nicht schlimmer, andichtete, dem Geist des Neoliberalismus angepasst haben. Es sind die prowestliche-bellizistischen Kombattanten wie Deniz Yücel, die bereits als „Linke“ den Afghanistan- und Irakkrieg 2003 legitimierten, bevor sie aus dem poplinks-“antideutschen“ Dschungel in die Ordnung von DIE WELT eintreten durften. Nun trommeln sie in Phoenix-Runden für eine härtere militärische Gangart und finden Propaganda hierzulande ausgerechnet bei kleinen abseitigen und vom Verfassungsschutz drangsalierten Presseorganen wie der marxistischen jungen Welt. Als PEN-Präsident mochten einige von ihm erhofft haben, den Verein, den böse Zungen PENN nennen, aufzurütteln, schließlich schien sein „Promibashing“ in der taz und seine Knastzeit in der Türkei ausreichende „Qualifikation“ zu sein. Tatsächlich kommt dem Halbintellektuellen, der lose biographische Verbindungen zum Linksradikalismus aufweist, die Rolle des kriegsbegeisterten 1914ers zu. Opportunismus paart sich mit Exzentrik. Damals berauschten sich libertäre Schriftsteller wie Franz Jung und andere an ihrem Gefährlichdenken und witzelten über Pazifisten, die lediglich Freiheit und Brot fordern würden, während sie, die coolen Bellizisten Brötchen und Kaviar verlangten. Zu Golfkriegszeiten vertraten die neumodischen „Lumpenbellizisten“, wie man in etwas bräsiger Umkehrung des Goebbelschen Idiotenbegriffs von Sascha Lobo sagen möchte, einen hedonistischen Kriegskurs, den sie nach Nine Eleven im schnippischen Gestus auf die Parole „Fanta statt Fatwa“ brachten.

Psychologistischer Quatsch

Natürlich darf auch ein Henryk M. Broder flankierend nicht fehlen (die Unkultur der „Offenen Briefe“ dürfte ihm fremd sein), der es zielsicher wieder schafft, den hiesigen Verfechtern einer Anti-Kriegsposition nichts geringeres als Revanche für die Niederlage der deutschen Nazis im zweiten Weltkrieg zu unterstellen. Die „Ablehnung dieses Krieges“ durch Precht, Schwarzer und Käsmann hätte etwas zu tun mit dem Krieg, der 1945 gewonnen wurde. Diesen psychologistischen Quatsch, der nichts als eine Unterstellung darstellt, kennt man schon von Wolfgang Pohrt und Eike Geisel in ihren dümmsten Polemiken gegen die Antikriegsbewegung von 1991, und auch deren Biograph Klaus Bittermann will an der Ideologie, die Friedensbewegung hierzulande wäre nur „ewiger Ausdruck deutscher Ideologie“, wie natürlich die taz fragen muss, festhalten. Mehr noch. Bittermann hat neoliberale Kürzungsvorschläge: Deutschland könne sich eben eine Friedensbewegung noch leisten, sagt er; weg damit, meint er. Würde man auf den tief empfundenen Antifaschismus vieler Friedensfreunde verweisen, wären plötzlich diese Leute in Broders und Bittermanns Augen alles schlimme kommunistische Putinversteher. Prösterchen, die Demagogie schert sich nicht um Konsistenz. Oder sollte man versuchen, eine ernsthafte Debatte mit Broder und Bittermann anzustrengen über die so traurige wie gefährliche deutsche Tradition, in der Verächtlichmachung der Pazifisten und glühender Antisemitismus Hand in Hand ging? Nach allem, was man von Broder jahrelang lesen konnte, scheint er schon längst jenem reaktionären Diskurs über den verweichlichten und weibischen Pazifismus nicht mehr entfremdet zu sein.

Es sind nicht nur die alten Bekannten des deutschen Bellizismus, die sich in die „andere Querfront“ des westlichen Propagandakriegs einreihen, es sind auch die alten „Argumente“ und Schlagworte, die sie bedienen: Appeasement-Politik dürfe es nicht geben, die Friedensbewegung sei antiamerikanisch motiviert, Deutschland dürfe historisch nie wieder Sonderwege beschreiten, sondern müsse mit dem Westen zusammen Krieg führen, weltfremde Gesinnungsethik herrsche nur bei den Pazifisten vor. Dabei ist es ihr eigener, sehr interessegeleiteter politischer Moralismus, der nicht nur über jede Urteilskraft, sondern auch über jede kritische, irritierte und zögernde Frage autoritär hinweggeht und das passende Überbauphänomen des aggressiven postmodernen Liberalismus in Kriegs- und Krisenzeiten darstellt, der bereit zu sein scheint, bis an den Abgrund zu gehen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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