Hijacking Memory

Neue Rechte Eine internationale Konferenz in Berlin beleuchtete das Verhältnis der äußersten Rechten und rechtskonservativen Parteien zur Erinnerungspolitik, dem Holocaustgedenken und zu Israel

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Wie genau bedient sich die Neue Rechte nun an der Erinnerungskultur?
Wie genau bedient sich die Neue Rechte nun an der Erinnerungskultur?

Foto: Gerhard Hanloser

Am vergangenen Wochenende kamen unter dem Titel „Hijacking Memory – The Holocaust and the New Right“ unterschiedliche Referent*innen zu einer Konferenz zusammen, die mit einem hochaktuellen sonntäglichen Abschluss auch die russische Vergangenheitspolitik rund um den Ukrainekrieg auslotete.

Der Referent Nikolay Koposov vom Georgia Institute of Technology deutete zum Ende der Konferenz am Sonntag an, dass der Holocaust und die auf ihn bezogenen Lehren in Russland ein leerer Signifikant, beziehungsweise ein mit allem möglichen füllbares leeres Symbol seien. „Entnazifizierung“ könne folglich auch Krieg gegen ein souveränes Land bedeuten. Das im Vortragstitel von ihm gewählte Etikett „faschistisch“ für das aktuelle Russland konnte der mit Themen der Erinnerungspolitik betraute Professor nicht weiter begründen. Implizit widersprach ihm im darauf folgenden Panel Alexander Vererkhovsky, Director der russischen Antirassismus-NGO „SOVA Inforation and Analysis Center“. Er machte deutlich, dass es in Russland harte rechtliche Verbote und Sanktionierungen von Holocaustleugnung und Rechtsradikalismus gibt, stellte allerdings auch heraus, dass der russische Nationalismus autoritär-repressiv wirke, auch wenn er klassische faschistische oder neu-rechte Muster vermissen lasse.

Etwas unverbunden standen diesen Skizzen die ebenfalls äußerst kenntnisreichen Darlegungen über die Holocaust-Gedenkpolitik der osteuropäischen Rechtsradikalen und Rechten durch Jelena Subotic gegenüber. Denn sowohl in Polen, Lettland, Estland wie in Kroatien und Serbien gedenkt man besonders gerne „zweier Totalitarismen“, lässt die Juden als besondere Opfergruppe verschwinden, imaginiert stattdessen und jenseits der realen Kollaborationsgeschichte die eigene Nation als „Opfer“, ebnet schließlich den Unterschied von Nazismus und Stalinismus ein. Logischerweise wird man ein derartiges Manöver in Russland nicht finden beziehungsweise wird dort sogar das Gedenken an den „großen vaterländischen Krieg“ hypostasiert und Vergleiche des stalinistischen Terrors mit dem nazistischen sind unter Strafe gestellt. Hier, am letzten Vortragstag, ergab sich aus dem Vorgetragenen keine politische Konsistenz. In einer recht klaren Parteinahme für die Ukraine inklusive Siegeswünschen schienen sich die Referent*innen allerdings relativ einig zu sein, Widerspruch wurde zu solchen Aussagen jedenfalls nicht laut.

Netanjahus Regierung hatte gute Kontakte zur europäischen Rechten

Ein Vortrag zur „Unheiligen Allianz“ zwischen Israel und der äußersten Rechten in Europa wiederum knüpfte konzise und faktengesättigt an die großen Themen der vorherigen Tage an. Ksenia Svetlova benannte die guten Kontakte zwischen der Regierung Netanjahu zur europäischen Rechten von Gianfranco Fini über Matteo Salvini bis zu Heinz-Christian Strache. Letzterer verurteilte 2017 als „israelsolidarischer“ FPÖ-Politiker und zwischenzeitlichen rechtspopulistischer Vizekanzlers die von der EU beschlossene Kennzeichnung von Waren aus den Siedlungen. Der rechte Likud wie die Lobby der Siedler*innen drängen auf engere Beziehungen zwischen Israel und der extremen Rechten in Europa. Ethno-nationalistische Grundpositionen teilen sie, außerdem ist Israel für die europäische Rechte faktisch ein Bündnispartner im Kampf gegen eine angebliche muslimische Überfremdung, was der Öffentlichkeit als gemeinsamer Kampf gegen den „muslimischen Antisemitismus“ verkauft werden kann. Antisemitische Kampagnen wie gegen George Soros in Ungarn scheinen die israelische Seite nicht nachhaltig zu tangieren, schließlich habe man ein recht strategisches und „egozentrisches“ Interesse, wie die ehemalige Knesset-Politikerin betonte.

In den ersten Tagen wurde anhand der AfD das Verhältnis zu Israel, der Gedenkpolitik und dem Holocaust genauer extrapoliert. Susan Neiman verwies im Auftakt am Donnerstag auf den umstrittenen gemeinsamen Antrag von CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/Die Grünen vom 17. Mai 2017 mit dem Titel „BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“. Die AfD hatte sogar einen wesentlich schärferen Antrag eingereicht, der die Israel-Boykottbewegung sogar als „antisemitisch“ verbieten wollte. Nach der Konferenzmitveranstalterin Neiman sollte dies den berechtigten Verdacht untergraben, dass die Politik der AfD dem Neonazismus gefährlich nahe stünde. Antisemitismusgefahren kommen laut der AfD hauptsächlich von Muslimen. Neiman erklärte, dass dies eine Instrumentalisierung des Antisemitismusvorwurfs für nationalistische Zwecke darstelle, um migrantische und fortschrittliche Bewegungen anzugreifen und jüdische und palästinensische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Damit war die Stoßrichtung der Konferenz markiert, die anlässlich aktueller Verbote von palästinensischen Demonstrationen – auf einen möglichen „Antisemitismusverdacht“ hin – bitter notwendig ist.

In der medialen Rezeption konnte man über die Konferenz recht Merkwürdiges lesen: Eine Feier des Partikularismus und des Antirassismus, der das Holocaustgedenken herabsetzte, habe dort stattgefunden, suggerierte Jakob Hayner als Autor der Welt. Tatsächlich war nichts dergleichen der Fall. Aber auch zu dieser Form der gelenkten, pro-israelischen Berichterstattung, der sich mit bis in die redaktionellen „Unternehmensgrundsätze“ wirkendem Eifer der Springerverlag verschrieben hatte, gab es einen historisierenden Vortrag von dem Medienwissenschaftler Lutz Hachtmeister. Und nicht alleine Volkhard Knigge, langjähriger Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, betonte im Geiste Adornos, dass Geschichtsbearbeitung universalisierbar sein, zivilisierend und humanisierend wirken muss. Er hat keinen Zweifel aufkommen lassen, dass dafür historisches Wissen, Abwehr von Verkitschung wie pseudoempathischer „Holocaust-Education“ und eine Offenheit gegenüber anderen Leiderfahrungen notwendig ist.

Für bewaffnete Befreiungsaktionen

Ein Highlight bestand in dem Streitgespräch zwischen dem ehemaligen „Sponti“ und heutigen Grünen Daniel Cohn-Bendit und dem New Yorker Publizisten Peter Beinart. Die beiden linken Juden diskutierten, welche Möglichkeiten die Palästinenser*innen jenseits der BDS-Boykottbewegung in ihrem Kampf gegen die israelische Okkupation haben. Verwundert nahm das Publikum zur Kenntnis, dass Cohn-Bendit sogar bewaffneten Befreiungsaktionen gegenüber pazifistischen und symbolischen den Vorzug gab. (Vielleicht hatte sich der ehemalige „rote Dany“ in der Hitze des diskursiven Gefechts auch nur etwas verrannt.) Dass er sich unter Verweis auf sein „jüdisches Herz“ gegen ein Rückkehrrecht aller Palästinenser*innen nach Israel aussprach, provozierte allerdings Teile des Publikums, die in dieser Aussage einen Verstoß gegen universalistische Prinzipien und eine Akzeptanz der ethno-nationalistischen Konstitution Israels sehen wollten.

Weniger kontrovers und leidenschaftlich, aber nicht weniger erhellend gestaltete sich das Gespräch zwischen Hanno Loewy, dem Leiter des Jüdischen Museums im österreichischen Hohenems, und der Publizistin und Autorin Eva Menasse über das „Täterland“ Österreich. Die lange Geschichte des autochthonen Antisemitismus wurde ebenso lange öffentlich beschwiegen, wie auch kaum ins Gedächtnis treten wollte, dass hochrangige SS- und SA-Funktionäre aus dem „Anschlussgebiet“ kamen. Das Bedürfnis, sich als „erstes Opfer“ des deutschen Nationalsozialismus zu gerieren, überblendete alles und wurde erst in den 80er Jahren unter dem schillernden sozialdemokratischen Remigranten Bruno Kreisky korrigiert.

In mehreren Panels wurde die wichtige Rolle der 1968er in Hinblick auf die Vergangenheitspolitik erwähnt. Erst durch von Linken lancierte vergangenheitspolitische Initiativen wie die Wehrmachtsausstellung oder die Stolpersteininitiative konnte sich im Wiedervereinigungsdeutschland ein angemessenes Erinnern durchsetzen. Dass Erinnerungskultur sich in einer bestimmten Zeit partikularisieren, also beispielsweise Juden als besondere Opfergruppe des NS entdecken musste, und nun eine Universalisierung anstehen würde, machten einige Diskutanten geltend. Allzu groß aufgezogene, diskurstheoretisch geprägte Vorträge, wie jener von Hannah Tzuberi, die recht überhistorisch eine mythologisch umworbene Figur „des Juden“ in der deutschen Erinnerungslandschaft ausmacht, wurden der Vielschichtigkeit, den Kontexten und Zeitgebundenheit von Erinnerungsprozessen nicht gerecht. Ein Teil des Publikums betonte, dass viele kommunistische und anarchistische Kämpfer*innen, Partisan*innen und Dissident*innen gegen die Nazis kämpften und sich, auch wenn sie aus jüdischen Milieus kamen, nicht als „Juden“ definierten. Gerade diese fallen aus dem staatlichen Gedenken vollständig heraus.

Filme zum Thema und ein hervorragendes Konzert des Liedermachers Daniel Kahn prägten das Abendprogramm der Konferenz. Als Kahn den aufgegebenen Nachkriegsplan des ehemaligen jüdischen Partisanen Abba Kovner besang, „Nakam“, also Rache, an „Six Million Germans“ zu nehmen, trug er mehr als nur Musikalisches zu dem Konferenzthema bei. Denn Kovner hatte seinen Racheplan schließlich fallengelassen und sich am Aufbau eines waffenstarrenden Staates beteiligt, der fortan sein neu besetztes Land gegen Palästinenser*innen verteidigte. Dieser mit Apartheitsstrukturen verbundenen Okkupationspraxis kommt von Seiten der politischen Öffentlichkeit nicht die gebotene Aufmerksamkeit zu. Protestierende und sich wehrende Palästinenser*innen stehen stattdessen unter dem Generalverdacht des „Antisemitismus“. Für die Organisator*innen der Konferenz, die sich an der „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ für die Wahrung der Meinungsfreiheit beteiligen, ist dies eine wohlfeile Strategie, in der sich rechtes und eurozentristisches Denken entlasten kann und mit der sich die israelische Politik Verständnis für Krieg und Repression erhaschen will. Dies im Geiste eines grenzenlosen Universalismus und unteilbarer Menschenrechte mit den Mitteln der Wissenschaft und Aufklärung zu sabotieren, ist die Leistung des – damit ungemein wichtigen – Kongresses vom vergangenen Wochenende.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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