Barbarisch, aber konsequent

Rechte und Frieden Einige Thesen zu den Gründen, warum zuweilen deutsche Rechte besser angesichts von Krieg und Krise mobilisieren können als die „gesellschaftliche Linke“

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die AfD schafft es die Menschen angesichts der vielen Krisen besser zu mobilisieren. Woran liegt das?
Die AfD schafft es die Menschen angesichts der vielen Krisen besser zu mobilisieren. Woran liegt das?

Foto: Omer Messinger/Getty Images

Relative Hegemonie über die Straße

Spätestens mit den Coronademonstrationen haben es diverse rechte Kräfte besser geschafft, auf der Straße präsent zu sein, Wut und Frust zu artikulieren und sich als Anti-Establishment zu gerieren als linke Gruppen und Organisationen. Dies hängt auch damit zusammen, dass viele linke Kräfte während der Pandemie aus verschiedenen Gründen die Straße gemieden hat, sei es aus Orientierung auf Bündnisfähigkeit im Sinne von herrschender Koalitionsfähigkeit, sei es aus dem medizin-politischen Imperativ namens „stay at home“, sei es aus Furcht, als Teil einer „Querfront“ wahrgenommen und denunziert zu werden, sollte in unreinen und gemischten Demonstrationenzügen von außerinstitutionell- oder institutionell-detektivischer Seite Rechte oder als „rechts“ Markierte gesichtet werden.

Angst vor Wohlstandsverlust, statt proletarischem Anti-Austerity

Mit Inflationsbewegung, Teuerungskrise und Gaspreisdiskussion artikulierte sich vor allem im deutschen Mittelstand eine Angst vor einschneidenden Wohlstandverlusten. Diese Angst knüpft unmittelbar an die ebenfalls mittelständisch bis selbständig geprägte Anti-Coronamaßnahmen-Bewegung an, die von Anfang an keinen Abstand und keine klare Distanz zu deutlich sichtbaren rechten Akteuren suchte. Wie letztere haben die Kundgebungen zur Teuerungskrise vornehmlich in den Fünf Neuen Bundesländern einen durchgehend bürgerlichen und nie proletarischen Charakter getragen. Dies hängt auch mit der Schwäche und der im Bezug auf den Regierungskurs opportunistischen Haltung der Gewerkschaften zusammen. An einigen Orten konnte die Partei Die Linke die Demonstrationen und Kundgebungen anführen und ihnen somit zumindest in Reden und Proklamationen einen linksbürgerlichen Charakter verleihen – von Gregor Gysi bis Sarah Wagenknecht, wobei die Partei bis heute kein geschlossenes Bild abgibt. Proletarisch-klassenkämpferische Interventionen verbleiben in Deutschland im Jahre 2023 auf dem Niveau von Sekten, breite volkstümliche Anti-Austerity-Kämpfe wie sie aus den 80ern in England (Poll-tax-Rebellion), zur Zeit der „Griechenlandkrise“ oder von den französischen „Gelbwesten“ bekannt sind, haben in Deutschland keine Tradition.

Nationalismus als Antwort auf die soziale Frage

Oft wird gesagt, die AfD habe gar keine Antwort auf die soziale Frage. Verwiesen wird dann auf Steuersenkungen, Sozialabbau und die Gängelung Erwerbsloser, die unschwer ihrem Programm zu entnehmen sind. Tatsächlich werden Sozialforderungen bei den von der AfD angeführten oder maßgeblich besuchten Demonstrationen nicht laut (dies war bei den Corionaaufzügen ebenfalls nicht der Fall). Und bei aller Demagogie, man setze sich als einzige für die Nöte des „kleinen Mannes“ ein, und Bekundungen, man lasse die Regierung zittern, wenn man frieren müsse, lauert im Hintergrund natürlich ein kapitalfreundliches Verarmungs- und Umverteilungsprogramm. Dennoch darf nicht übersehen werden, dass natürlich der Nationalismus der AfD eine probate und an sich schlüssige Antwort auf „die soziale Frage“ darstellt, die ja in ihrer Allgemeinheit nur andeutet, dass es ein Auseinandertreten von Reich und Arm gebe und dies behoben werden müsse. Mit der „sozialen Frage“ ist noch lange nicht der Kapitalismus an sich als Problem benannt. Historisch waren jene Kräfte, die besonders schrill die soziale Frage beklagten, Konservative, die den Klassenkampf gerade vermeiden wollten. Im klassenkampfarmen Deutschland, in dem die Mehrheit der Bundesbürger keinen Bruch mit den sozialen Verhältnissen und Strukturen anstrebt oder wünscht, ist die staatliche und im nationalen Rahmen verbleibende Moderierung der Klassenverhältnisse attraktiv (und wird mit „Doppelwumms“ ja auch propagandistisch bedient). Bei den Rechten wie der AfD gehört Zwang für Erwerbslose genauso zum Programm wie das Beschweigen der Profite, Bezüge und Renten der Superreichen – wenn nur die Mittelschicht keine Proletarisierung zu befürchten hat. Auf der Klaviatur der Angstpolitik, die auf die Mittelschicht zielt, kann die AfD sehr geschickt spielen.

Isolationismus statt internationalistischem Antimilitarismus

Natürlich ist die AfD keine Partei des Antimilitarismus, noch nicht mal eine Partei des Pazifismus. Dafür spricht bereits der hohe Anteil von Militärs in ihren Reihen, aber natürlich auch ihre prinzipielle Bereitschaft, die Bundeswehr mit Sondervermögen auszustatten. Ihre „Friedenspolitik“ besteht in einem Isolationismus, der zwei Parolen kombiniert: „Deutschland zuerst!“ und „Das ist nicht unser Krieg!“ Dabei haben sie die realpolitischen Gegebenheit und imperialistischen Realitäten durchaus auf ihrer Seite: Geostrategisch sind die USA bemüht, zwischen Europa, besonders Deutschland und Frankreich, auf der einen und Russland auf der anderen Seite, einen Keil zu treiben. Wenn gesagt wird, dass die USA die bislang einzigen Gewinner des blutigen Krieges in der Ukraine darstellen, ist dies augenscheinlich richtig (Stichwort: Waffenlieferungen und Profite der US-Rüstungsindustrie, neue Abnahme von Frakinggas), wobei nicht ausgemacht ist, ob es andere gegenläufige Tendenzen gibt, die ein weiteres Abrücken „des globalen Südens“ von den USA im Zuge des Ukraine-Kriegs andeuten. Doch die machtpolitisch zentrale Rolle, die die USA aus dem transatlantischen Hintergrund mit aggressiver Unterstützung und Aufrüstung der Ukraine sowie Unterbindung von schnellen Verhandlungen spielten und spielt, liegt deutlich auf der Hand, wird jedoch in westlich-atlantisch ausgerichteten Mainstraem-Medien beständig verschwiegen. Gegenwissen und Gegen-Öffentlichkeit bildet sich demnach an den Rändern heraus und ist von harter moralischer Diffamierung bedroht. Die deutsche Rechte hatte, im Gegensatz zu einer aufklärerischen Linken, mit einem pauschalen Antiamerikanismus niemals Probleme, sondern kann diesen nun wirklichkeitsunterfüttert offen pflegen. „Antiamerikanismus“ wie andere moralisch auf Diskreditierung zielende Vorwürfe muss sie demnach nicht weiter irritieren. Eine Linke wagt dahingegen nicht den Bruch mit den hegemonialen Diskursen und Narrativen und ihren ideologischen Apparaten, weil sie im Gegensatz zu der deutschen Rechten um Anschluss an die linksliberalen Dispositive bemüht ist.

Während sich Linke ihrem Selbstverständnis nach nicht von Krieg und Leid unberührt zeigen können, existiert im Denk- und Praxishorizont der Rechten ein durchaus bei einigen Bevölkerungsteilen Anklang findender roher nationaler Egoismus. „Das ist nicht unser Krieg!“, eine Parole, die häufig an Häuserwände gesprüht wurde, folgt einem nationalen Isolationismus und einer Verhärtung gegenüber den Leiden anderer, kann aber auch das aggressive Krisenbewusstsein des Normalbürgers erreichen, der ohnehin den Eindruck hat, man kümmere sich immer zu sehr um andere.

Kein Problem mit einer „russischen Welt“

Das Verständnis der AfD und anderer Rechter für Russland mag jene Beobachter verwundern, die nach wie vor Russland als eine Art verkleinerte Sowjetunion wahrnehmen. Denn dann müsste man sich tatsächlich über den Mangel an traditionellem historischem Antikommunismus, den bislang die Rechte in Deutschland an den Tag legte, wundern. Allein: Russland hat mit dem Kommunismus sowjetischer Prägung bereits im Übergang von Gorbatschow zu Jelzin gebrochen. Innenpolitisch ist es eine reaktionäre Kraft, die ihren eigenen Abstieg als Weltmacht kompensiert mit Ideologien über eine verfault-dekadente westliche Welt und revisionistisch Anschlüsse an ältere russische Traditionen weit vor den und gegen die Bolschewiki sucht. Das Gesellschafts- und hier besonders das Geschlechterbild ist ultrakonservativ. Im Geiste findet sich die globale Rechte mit ihrer Ablehnung von Minderheitendiskriminierung und Gleichstellungsbegehren in den heteronormativen, homophoben und anti-queeren Überbauphantasien des autoritären Russland wieder. Im Kosmos der Neuen Rechten wird einer in Kulturblöcke voneinander klar geschiedenen multipolarer Weltordnung das Wort geredet, Migration verdammt. „Frieden mit Russland“ - eine besonders in Ostdeutschland traditionell beliebte Haltung und eine ursprünglich linke Parole – ist so kombinierbar mit einer Akzeptanz oder Affirmation reaktionärer Werte, für die das aktuelle Russland steht.

In der Neuen Linken gab es lange Zeit – von E.P. Thompson bis Gilles Deleuze – eine Haltung, die im Kalten Krieg betonte, dass die Aufrüstung seitens des Westen gegen die Sowjetunion die beste Voraussetzung für die Fortdauer des Gulag sei. Eine aktuelle Linke müsste in ähnlicher Weise daran festhalten, dass die NATO-Osterweiterung und die (auch militärische) Umkreisung Russlands die beste Voraussetzung für die Verfolgung Oppositioneller und divergierender Lebensformen in Russland ist. Diese Einsicht in die Dialektik von Friedenspolitik und Menschenrechten ist bei einem Teil jüngerer Linken einem Bellizismus und Antitotalitarismus gewichen, der die autokratische „russische Welt“ frontal und diesmal auch im Verbund mit der NATO angreifen will. Das ist extremistischer Idealismus, der mit westlichen Narrativen konform geht.

Konsistenz in der Barbarei

Während einige linke Akteure alles zusammenbringen wollen: Proteste gegen eine Verteuerung der Lebensmittel, Ablehnung des Krieges und von Militarismus, prinzipielle Solidarität mit der Ukraine und mit ihrem „Verteidigungsrecht“, Ablehnung der Aufrüstung hier und eine Klimapolitik, die vom fossilen Kapitalismus abdrückt, also ein idealistisches, maximales und an einzelnen Punkten sich eher widersprechendes Programm aufstellen, erscheint die Haltung der Rechten als kongruent: Ein „Weiterso“ mit billiger fossiler Energie, die konkrete Forderung, Nord Stream 2 in Betrieb zu nehmen, Plädoyers für ein wirtschaftliches Arrangement selbst mit autoritären Regimen. Statt einer hypermoralischen Außen- und Wirtschaftspolitik soll Politik zum Wohle des „eigenen Volkes“ die eigenen nationalen Interessen verfolgen – eine Deutschland-zuerst-Politik in jeglicher Hinsicht, von der Migrationsfrage bis zur Frage der außenpolitischen Bündnistreue.

Natürlich ist das ein reaktionäres und nationalistisches Programm, aber ein stimmiges. Im weltweiten Rahmen der Nationalstaatlichkeit erscheint es auch als weit realistischer als die globalen Gerechtigkeitsphantasien der Linken.

In Hinblick auf die Forderung der AfD, man müsse so schnell wie möglich auf Waffenstillstand und Verhandlungen ohne Vorbedingungen drängen, erscheint diese rechte Partei im Vergleich zu der enthemmten und ohne Ziel und Plan agierenden Bewaffnungspolitik der Ukraine, die die Ampel in der spiralförmigen Dynamik mit führenden Medien durchsetzt, als friedenspolitisch und mäßigend ausgerichtet. Die weltpolitischen, sicherheitspolitischen und geostrategischen Folgen der Politik von zwei nominell „linken“ Parteien – der Sozialdemokratie und den Grünen – sind so verheerend und die Linkspartei ist zu unentschieden, dass sich eine rechte bis rechtsradikale Partei geradezu als Garant einer Friedenspolitik gerieren kann. Der Wolf präsentiert sich im friedlichen Schafsfell.

Dass dies eine äußerst große Gefahr darstellt und alle Linken um so stärker aufgefordert sind, sich friedenspolitisch zu positionieren, muss vielleicht nicht extra erwähnt werden. Oder doch.

Am Freitag, den 17.2.2023 findet der Auftakt eines Veranstaltungswochenendes von Teilhabe e.V. statt. Hier kann über Ähnliches wie in dem Beitrag diskutiert werden.

Um 19 Uhr im Versammlungsraum Mehringhof, Gneisenaustr. 2a, Berlin-Kreuzberg 61

„Heißer Herbst“ und kalter Winter? – Eine Auswertung der Proteste gegen Preissteigerungen mit Perspektive Selbstverwaltung, Marcus Staiger (Heizung, Brot und Frieden), Ines Schwerdtner (Genug ist genug), Harald Rein (Frankfurt/Main) und Aktivist*innen der Offenen Versammlung „Der Preis ist heiß“

Moderation: Gerhard Hanloser und Anne Seeck

Obwohl es die Inflation, Lieferkettenprobleme und eine Energiekrise schon vor dem Beginn des Ukraine-Krieges gab, verschärfte sich die Situation seit Ende Februar 2022. Es gründeten sich in Berlin Bündnisse, die Demonstrationen und Aktionen im Herbst durchführten. Wie wollen ein Fazit der Proteste in Berlin und bundesweit ziehen und einen Ausblick wagen: Warum waren diese Bündnisse nur in der Lage, ihre eigene Szene zu mobilisieren? Warum ist es nicht gelungen, viele Betroffene der Preissteigerungen auf die Straße zu bringen? Wie können die Proteste fortgesetzt werden?

Auf lebhafte Diskussion mit dem Publikum freuen sich die VeranstalterInnen und ReferentInnen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden