Vor dreißig Jahren: Die erste Woche von 1991

Ein Zeitungsprotokoll Drohender Irakkrieg, außenpolitische Einschätzungen, innere Mobilmachung, Ressentiments und Räsonieren

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HANDELSBLATT (Düsseldort) „Sollte es zu einem heißen Krieg kommen, so müssen alle Ölszenarios neue schrieben werden. Ein dritter Ölpreissprung auf 60 Dollar je Barrel und mehr wäre kurzfristig wohl programmiert. Die Spekulanten würden die Spotnotierungen nach oben treiben, selbst wenn die saudischen Lieferungen nicht gestoppt wurden.“

STUTTGARTER ZEITUNG „Es wäre an der Zeit, daß sich die Israelis der Herausforderung stellen, die mit der irakischen Aggression gegen Kuwait verbunden ist. Wie auch immer der Konflikt am Golf ausgeht, die Welt des Nahen Ostens wird nie mehr so sein wie vorher ... Wohlmeinende westliche Staatsmänner werden nicht müde, nach dem Ende des vom Irak heraufbeschworenen Golfkonflikts eine Art von nahöstlicher Sicherheitskonferenz entsprechend dem europäischen Vorbild zu fordern. Aber es ist zu befürchten, daß dieser Gedanke vorläufig an der grausamen Wirklichkeit im Nahen Osten vorbeigeht. Gewalt gehört, wie jeder Tag neu erweist. dort nun einmal zum Alltag."

SALZBURGER NACHRICHTEN "Der Unterschied zwischen Reden und Handeln illustriert die Krise am Golf beispielhaft . Bisher kostete der militärische Aufmarsch der Alliierten gegen den Aggressor Irak mindestens 400 Milliarden Schilling (57 Milliarden Mark). Und sollte ein Krieg unvermeidlich sein, dann dürfte die Rechnung für die Alliierten täglich um zehn Milliarden Schilling ansteigen. Annähernd vier Fünftel dieser Ausgaben bestritten bisher die Amerikaner... Obschon Saudis, Japaner und Deutsche unter einer schweren Störung der Ölexporte aus dem Golf ungleich härter litten als die USA, schauen sie anscheinend ungerührt zu, wie die USA mit dieser Krise fertig werden."

ALGEMEEN DAGBLAD (Rotterdam) „Es ist nur noch bitter wenig Zeit und Hoffnung. Am Freitag treffen sich die Außenminister der Europäischen Gemeinschaft in Luxemburg. Wegen der geteilten Ansichten ist es sehr zweifelhaft, ob etwas dabei herauskommt. Es wäre schon viel, wenn der Anstoß zu neuen Verhandlungen hinter den Kulissen gegeben würde... Glückt das nicht, dann wissen wir, daß wir einem Katastrophenjahr entgegengehen.“

JERUSALEM POST „Die Tatsache, daß Israel weder stillschweigend akzeptieren noch dabei mitwirken kann, die Tschechoslowakei zu Saddams ,Hitler' zu spielen, mag die Europäische Gemeinschaft nicht sehr bewegen. Dennoch kann man nur hoffen, daß die Europäer verstehen, daß Israel im Falle des Überlebens von Saddam weniger zu verlieren hat, als seine arabischen Nachbarn. Schließlich würde selbst im Falle der Beseitigung Saddams nur ein eingeschworener Feind Israels eliminiert."


"Die Entpolitisierung der Golf-Debatte. Eine Diskussion über die Ziele des Vorgehens gegen den Irak findet nicht statt. Von Jürgen Busche

Die Politisierung des Unpolitischen durch die Phrase kennzeichnete die siebziger Jahre und präludierte das Scheitern der Linken. Seit Mitte der achtziger Jahre erleben wir Versuche, das Politische durch entpolitisieren. Die Beliebtheit von Politikern ist zu einem Kriterium geworden, das dem Wortsinne nach zu verstehen ist: Der Politiker will lieb sein. Er spricht nicht von Steuererhöhungen, er zeigt sich als Zuhörer, er tut immer genau das, was jedermann gern täte, wenn er nicht Entscheidungen zu treffen hätte. Er redet über alles das, was schön wäre. Schön wäre es, wenn am Golf kein Krieg drohte. Ganz schön ist es aber immerhin auch noch, wenn man vor dem drohenden Krieg warnen kann und für den Frieden eintritt. Wer wollte da widersprechen? Bundestagspräsidentin Süssmuth etwa findet bewegende Worte für den bedrohten Frieden am Golf. Tatsache ist, daß Kuwait nicht im Frieden lebt. Iraks Truppen haben das Land nicht in einen Abenteuerurlaub geschickt, sondern mit Krieg überzogen. Der Krieg ist da. Die Frage ist nur, mit welchen Kosten er beendet wird. Beliebte Politiker ziehen es vor, den Menschen in dem besetzten Land die Kosten aufzubürden. Welches Land wird das nächste sein? Selbstverständlich ist es richtig, wenn gefordert wird, unverdrossen nach Möglichkeiten zu suchen, Kuwait ohne Waffeneinsatz zu helfen. Unzweifelhaft richtig sind auch Hinweise darauf, wie fürchterlich der moderne Krieg ist. Doch so, wie diese Monita - keineswegs nur von Rita Süssmuth - vorgetragen werden, bedeuten sie ja nicht dasselbe, was zu Recht etwa die Kirchen tun. Im politischen Raum gibt es die Flucht ins Unpolitische nicht. Was die Bundestagspräsidentin sagt, rückt jeden, der sich auf die bittere Notwendigkeit eines militärischen Konflikts am Golf einstellt, in die Nähe von Kriegstreibern. Plötzlich entsteht der Eindruck, nicht Saddam Hussein gefährde den Frieden - den er schon gebrochen hat -, sondern George Bush, der amerikanische Präsident sei der Kriegstreiber. Eine solche Verkehrung der Verhältnisse beherrscht schon das Denken jener sozialdemokratischen Parlamentarier, die es als Verfassungsbruch bezeichnen, sollten deutsche NATO-Truppen auf das Gebiet des NATO-Partners Türkei verlegt und dort einem NATO-Oberbefehl unterstellt werden. Hermann Scheer und Heidi Wieczorek-Zeul unterstellen, daß die Bundeswehr dorthin gehe, um anzugreifen. Daß die Türkei angegriffen werden könnte, blenden sie aus. Weder die Bundestagspräsidentin, noch die Oppositionsabgeordneten müssen Entscheidungen treffen. Aber sie müssen Fragen stellen, statt in Phrasen zu glänzen. Die Frage ist, welches Kriegsziel der Westen verfolgt, also: Was muß geschehen, daß die Soldaten wieder in die Kasernen zurückkehren können? Wie soll der Friede in der Region nach Saddam Husseins Ende aussehen - wenn es denn darauf hinauslaufen müßte? Das - neben den diplomatischen Bemühungen der Regierung durch Außenminister Genscher - müßte die Debatte dieser Tage sein. Wer diese politische Debatte durch unpolitisches, aber auf Beliebtheitskriterien schielendes Reden verhindert, überläßt das Notwendige sich selbst. Und macht sich schuldig."

"In einer Meinungsumfrage für das SZ-Magazin

Deutsche gegen Weltmachtrolle

Weizsäcker: Wunsch nach Selbstbeschränkung unrealistisch

München (SZ) - Deutschland soll nach dem Willen der meisten Bürger auch in Zukunft keine Weltmachtrolle übernehmen und sich aus internationalen Konflikten heraushalten: nur jeder vierte spricht sich für eine Einmischung aus. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Meinungsumfrage für das Magazin der Süddeutschen Zeitung über die Zukunftsvorstellungen der Deutschen. Für die Studie mit dem Titel „Deutschland 2000“ hatte Infratest zwischen Mitte Oktober und Mitte November 1008 Westdeutsche und 928 Ostdeutsche befragt. Dabei wünschte sich die große Mehrheit einen Staat mit offenen Grenzen, der sich an den Vorbildern Schweiz und Schweden orientiert. 71 Prozent möchten, daß es schon in den nächsten Jahren zur Bildung eines europäischen Bundesstaates kommt. Außerdem solle sich Deutschland vorrangig um engere Beziehungen zur Sowjetunion bemühen und zu Israel ,,eher auf Distanz gehen“. Nur vier Prozent der Befragten wünschten engere Beziehungen zu Israel. Der jüdische Staat nimmt damit gemeinsam mit China den letzten Platz in einer Auswahlliste ein. Als „bemerkenswertes Resultat“ werteten die Meinungsforscher, daß in den elf alten Bundesländern 27 Prozent der Befragten und in den fünf neuen Ländern 52 Prozent sich für mehr Distanz Deutschlands zu Israel aussprachen. Man werde dieses Ergebnis sicherlich nicht ausreichend mit den jüngsten Ereignissen in Israel erklären können, meinten die Demoskopen bei der Auswertung. Sie stellten fest, daß in niedrigen Bildungs- und Einkommensschichten diese Ansicht verbreiteter ist als in höheren. Anders als in den westlichen Bundesländern gab es in den östlichen außerdem eine deutliche Abhängigkeit der negativen Einstellung zu Israel vom Alter: zum einen sind es die über 60jährigen, die die Nazizeit noch erlebt haben, andererseits die ganz jungen, sozialistisch erzogenen Bürger. In der Innenpolitik verlangen die Bürger Vorrang für den Umweltschutz. Er rangiert in der Umfrage deutlich vor der sozialen Sicherheit, dem Lebensstandard und der Wirtschaftskraft. Um eine gesunde Umwelt zu erreichen, halten 71 Prozent einen „erheblichen“ Umbau der Gesellschaft für erforderlich. Ebenfalls sehr eindeutig zeigt sich der Wunsch nach mehr Demokratie: 60 Prozent fordern mehr Mitwirkungsmög- lichkeiten bei politischen Entscheidungen. In einem Interview des SZ-Magazins äußerte Bundespräsident Richard von Weizsäcker zu der Umfrage, er nehme den Wunsch nach mehr Mitwirkung sehr ernst; er halte es für sinnvoll, über die Einführung des Volksentscheids zu sprechen. Voraussetzung für eine solche „Verstärkung des plebiszitären Elements“ sei allerdings, daß die zur Abstimmung stehenden Fragen „wirklich offen“ seien und einfach gestellt“ werden könnten. Komplizierte Sachverhalte eigneten sich nicht dazu. Für weniger realistisch hält Weizsäcker die Zukunftswünsche der Bürger nach außenpolitischer Selbstbeschränkung: „Wir können uns nicht auf selbst zurückziehen.“ Deutschland habe sich den „gewaltigen Anforderungen“ zu stellen, die aus den sozialen Konflikten im Osten Europas erwachsen. Die Bundesrepublik müsse auf dem Weg zu einem europäischen Staatenbund vorangehen, um andere Länder „zum Mitgehen“ zu veranlassen - um nicht zu sagen: zu nötigen“."

Diese Zeitungsblütenlese gibt natürlich NICHT die Meinung des Autors wieder. Sie stellt eine von der Leser*in kritisch aufzunehmende Dokumentation dar.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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