Vor dreißig Jahren: Kirche, Adel, Kommunismus

Ein Zeitungsprotokoll Das Verklingen des Kommunismus - und die anschwellenden restaurativen Bocksgesänge

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"Papst weiht Chef von ,,Opus Dei“ zum Bischof

Rom (AFP) - Papst Johannes Paul II. hat im Petersdom in Rom zwölf neue Bischöfe geweiht, unter ihnen den Chef der konservativen Personalprälatur Opus Dei, den spanischen Prälaten Alvaro Del Portillo, sowie den neuen „Außenminister“ des Vatikans, Jean-Louis Tauran. An der Zeremonie nahmen mehrere hundert Kardinäle und Bischöfe sowie etwa 10 000 Gläubige teil. Der 47jährige Franzose Tauran war im November zum Chef der Sektion für die Beziehungen mit den Staaten im vatikanischen Staatssekretariat ernannt worden. Als Bistum wurde ihm Telepte zugesprochen, eine historische Erzdiözese im Orient, die heute nicht mehr existiert. Nach kanonischem Recht muß jeder Bischof einer reellen oder fiktiven Diözese vorstehen. Der Chef von Opus Dei ist der erste Präsident der Organisation im Bischofsrang."

"KGB: Sowjetische Mafia hat Kontakte im Westen

Hamburg (dpa) - Die Mafia in der Sowjetunion arbeitet nach Angaben des stellverretenden KGB-Chefs Viktor Gruschko mit dem organisierten Verbrechertum im Westen zusammen. Dabei gehe es um Schmuggel von Kunstwerken, Rauschgift und Autos, sagte Gruschko der Bild am Sonntag. Der KGB habe in den vergangenen eineinhalb Jahren 310 kriminelle Vereinigungen entlarvt und dabei Waren und Geld im Wert von mehr als 220 Millionen Rubel beschlagnahmt. Außerdem seien 800 korrupte Beamte und Milizionäre vor Gericht gebracht worden."

"PDS und DKP schließen sich nicht zusammen

Ws. BERLIN, 7. Januar, DKP und PDS wollen nicht zu einer Partei verschmelzen. Dies beschlossen Vertreter der Vorstande beider Parteien in Berlin. Sie stellten fest, daß die unterschiedlichen Ansätze in Struktur, Theorie und politischer Praxis die Existenz beider Parteien rechtfertigten. Das könne zu Konkurrenzsituationen führen, etwa bei Kommunalwahlen. Andererseits, so die Vertreter von DKP und PDS, erforderten die ebenso vorhandenen Gemeinsamkeiten“ kooperative Beziehungen und Solidarität. Die Beziehungen zwischen PDS und DKP könnten sich jedoch nicht so gestalten wie zwischen Bruderparteien. Auch ein Bevormundungsverhältnis dürfe es ,,nie wieder geben“. Energisch hat sich der Parteivorstand der PDS durch seinen Sprecher gegen die Attacken des bayerischen Innenministers Stoiber (CSU) und des SPD-Bundestagsabgeordneten Niggemeier gegen den ehemaligen DDR-Ministerpräsidenten und jetzigen PDS-Bundestagsabgeordneten Modrow zur Wehr gesetzt. Wenn Stoiber Modrow als „Gauleiter“ beschimpfe und die SED mit der NSDAP vergleiche, sei nicht nur die Grenze des guten Geschmacks weit überschritten. Der PDS-Vorstand sieht sich durch diese Attacken in der Überzeugung bestärkt, „daß die Politiker aus dem alten Bundesgebiet Persönlichkeiten aus dem neuen Bundesgebiet nicht dulden wollen“. Ob es sich dabei um Politiker der CDU, der SPD, der PDS, um Künstler, Schriftsteller, Wissenschaftler oder Vertreter der Kirchen handle, sei unerheblich."


"Studenten beenden Protestzug in Leipzig

Leipzig - Der Protestmarsch ostdeutscher Studenten von Berlin nach Leipzig gegen die Umstrukturierungen und Schließungen im Hochschulbetrieb der ehemaligen DDR ist mit einer Kundgebung in der Leipziger Universität zu Ende gegangen. An dem Zug hatten auch Hochschüler aus Rostock, Potsdam, Merseburg. Halle, Leipzig. Erfurt und Naumburg teilgenommen. Die Studenten forderten „Wahrung der Hochschulautonomie“ und „Mitbestimmung“ bei der im Einigungsvertrag vorgesehenen und jetzt in die Wege geleiteten „Abwicklung“. Sie bedeute eine willkürliche, pauschale Säuberungsaktion, von der die Hauptbeteiligten ausgeschlossen würden. Auch Vertreter der von Auflösung bedrohten Fachbereiche Rechtswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Pädagogik sowie das Institut für Philosophie hatten betont, es gehe ihnen nicht darum, alte Strukturen zu erhalten oder belastete Professoren zu stützen. Die Studentenschaft müsse aber in den Erneuerungsprozeß des Wissenschaftsbetriebes einbezogen werden."



"Sehnsucht nach der alten Zeit

Rußlands Adel hat Hochkonjunktur

Fast 73 Jahre nach dem Tod des letzten Zaren erlebt die Sowjetunion eine Welle der nostalgischen Schwärmerei für die Zeit vor der Oktoberrevolution. Die „Vereinigung der Nachkommen des Russischen Adels“, eine Organisation, die vor sechs Monaten gegründet wurde, erinnert auf einem dreitägigen Festival, das am Montag begann, mit Vorträgen über Geschichte, Kultur und Kunst an die angeblich gute alte Zeit. Appelle an ein „geistiges Wiedererwachen“ des alten Rußland fallen in einer Zeit der schweren Wirtschaftsprobleme zunehmend auf fruchtbaren Boden. Angesichts des von heftigem Nationalitätenstreit begleiteten wirtschaftlichen und politischen Chaos in der UdSSR sind die Sowjetbürger empfänglicher geworden für die sentimentalen Erinnerungen an eine Zeit, als Rußland noch als ein stolzes Imperium mit unermeßlichen Reichtümern galt. Gruppen wie die Monarchistische Partei erregen gerade deshalb zur Zeit große Aufmerksamkeit. Andrej Golizin, ein Sprecher der Nachkommen des russischen Adels, sagt, seiner Vereinigung gehe es nicht um Politik. „Das Hauptziel unserer Organisation ist ein geistiges und physisches Wiedererwachen.“ Daß das von den Mitgliedern der ehemals adligen Familien organisierte Festival in Moskau mit dem russisch-orthodoxen Weihnachtsfest zusammenfällt, ist ein weiteres Zeichen der Rückbesinnung."

"Adlige bekennt sich stolz zu „Gladio“

Auch Frauen waren bei der NATO-Geheimorganisation

Von Friedrich Kassebeer Rom, 8. Januar - Die Gräfin Maria Cristina Greppi aus Brescia war ebenso wie ihr Mann Francesco Gironda Mitglied der NATO-Geheimorganisation Gladio in Italien. Sie hat sich nach Veröffentlichung der Liste von 577 „Gladiatoren“ gegenüber dem Corriere della Sera stolz auf ihren Einsatz und ihre militärische Ausbildung gezeigt. „Jetzt will man uns als Putschisten und Reaktionäre hinstellen“, protestierte die aus altem Mailänder Adel stammende 50jährige Malerin gegen die Kampagne der Kommunisten. Sie habe nach der Besetzung Ungarns durch die Russen und anderen Vorgängen befürchtet, daß auch Italien erobert werden könnte. Deshalb hat sie sich ebenso wie ihr Mann Francesco Gironda, der Liberaler ist, bei Gladio anwerben und im Camp Kap Marrargiu in Sardinien ausbilden lassen. Sie fand es, wie in Romanen Le Carres, „abenteuerhaft und sogar vergnüglich“. Sie hätte nach einer russischen Besetzung untergetauchten Politikern und Wissenschaftlern helfen sollen.
Unter den 577 namentlich bekanntgewordenen „Gladiatoren" waren ein Dutzend Frauen, vorwiegend aus der Lombardei. Mehrere der nach der Auflösung des Verbandes mit einem Dankschreiben vom Geheimdienstchef Admiral Fulvio Martini verabschiedeten Mitglieder haben ebenso wie die Gräfin Stolz auf ihre Aktivität bekundet, andere haben gegen die Veröffentlichung protestiert oder erklärt, daß sie nichts von Gladio gewußt hätten. In Bozen versicherte einer von etwa einem Dutzend Südtiroler „Gladiatoren“, der 71jährige Giuseppe Landi, Präsident des lokalen Fallschirmspringer-Verbands, die Organisation habe nichts mit früherem Terrorismus in der Provinz zu tun gehabt. Die Bekanntgabe der Namensliste hat den politischen Streit über Gladio erneut verschärft. Der Generalstaatsanwalt in Rom ermittelt wegen Geheimnisbruchs, während im italienischen Parlament einige Ausschüsse ihre Ermittlungen nach der Pause am Jahreswechsel wieder auf nehmen."

"Gorbatschow ruft Litauen zur Unterordnung auf

tu. Moskau Der sowjetische Präsident Gorbatschow hat den Obersten Sowjet Litauens aufgefordert, „in vollem Umfang die Gültigkeit der sowjetischen Verfassung“ in der Republik wiederherzustellen und alle „früheren verfassungswidrigen Akte“ zurückzunehmen. Gorbatschow zufolge fordern die Menschen „die Wiederherstellung der Ordnung und die Einführung der Präsidentenverwaltung“, hieß es in der von der Nachrichtenagentur TASS verbreiteten Erklärung. Durch die Präsidialverwaltung können die Rechte der Republiksorgane zeitweise außer Kraft gesetzt werden."

"Gedenkdemonstration für Luxemburg und Liebknecht

Berlin (Reuter/dpa) - Rund 80 000 Menschen haben nach Schätzungen der Polizei am Sonntagmorgen in Berlin an einer Demonstration teilgenommen, um der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht vor 72 Jahren zu gedenken. PDS-Chef Gregor Gysi und der Ehrenvorsitzende der Partei, Hans Modrow, führten den Gedenkzug für den Frieden an. Die Demonstranten, unter ihnen viele ältere Bürger, trugen rote Fahnen und Fahnen der DDR. Die Staatssicherheit hatte 1988 nichtorganisierte Demonstranten, die den Luxemburg-Spruch „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ mit sich führten, festgenommen."

Zeitungsmeldungen aus der Süddeutschen Zeitung, der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Badischen Zeitung aus der ersten Hälfte des Januar 1991

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Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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