"Wir impfen euch" als tätiger Antifaschismus?

Antifa "Antifa" ist ein Feindbild - nicht nur für Rechte. Die linke Bewegung mit langer Geschichte müsste allerdings tatsächlich ihre Theorie und Praxis diskutieren.

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"Antifa" ist ein umkämpfter Begriff. Meine Mutter fragte mich vor kurzem irritiert, warum in ihrem sehr bürgerlichen Bekanntenkreis dieser Ausdruck einen so schlechten Leumund hätte. "Antifa - das sind doch wir?", und sie verwies auf den Titel des gleichnamigen Blättchens der VVN/BdA, das meine Eltern postalisch beziehen. Tatsächlich ist die Verfassungsschutzkonforme Extremismusdoktrin aufgrund mangelnder Beispiele immer wieder angehalten, die ominöse "Antifa" als staatsgefährdend auszuweisen. Bei der Vorstellung von Verfassungsschutzberichten wird unter der Überschrift des "Linksextremismus" gerne auf Aktivitäten dieser Gruppen verwiesen. Dann greifen es die Medien auf, wobei nur die wenigsten recherchieren, was sich hinter einer erstmal hoch klingenden Anzahl von "Straf- und Gewalttaten" in diesem Bereich verbirgt - unter Umständen erfolgte einfach nur ein Zusammenzählen von dreihundert Demonstrant*innen, die sich eines "Landfriedensbruchs" schuldig gemacht haben sollen.

In den USA wurde zuweilen sogar der "Antifa" eine "Verschwörung gegen Amerika" angedichtet und erwogen, sie als "kriminelle Organisation" zu verbieten - in schlechter alter McCarthy-Tradition. Diese paranoiden Verstellungen bediente Donald Trump beständig während seiner Amtszeit und besonders aggressiv gegen deren Ende, als sich "Black Live Matters" und "Antifa" gemeinsam im antirassistischen Kampf formierten. Bei ihm und seinen Anhängern rückte die "Antifa" ins Zentrum einer Verschwörungserzählung, wonach der demokratische Herausforderer und schlussendliche Wahlgewinner Biden mit diesem oppositionellen linken Netzwerk unter einer Decke stecken würde. Auch unter den deutschen Coronademonstranten grassierte eine ähnliches "Feindbild Antifa". "Antifanten" oder Merkel-Jugend waren noch die netteren Beschimpfungen, die nicht nur der Giftküche der AfD entstammen. Auch staatliche Organe der BRD behindern antifaschistisches Engagement, indem beispielsweise ins Spiel gebracht wurde, der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) die Gemeinnützigkeit zu entziehen. Der offizielle "Antiextremismus" von Verfassungsschutz und Bundesregierung verfolgt eine Politik der Anti-Antifa. Antifaschistische Organisierung und Selbstschutz bleiben von Repression bedroht, auch wenn gleichzeitig einige zum klassischen Antifaschismus zählende Ideologiefermenten eine erinnerungspolitische Aufnahme in die Staatsräson erfahren haben: Der 8. Mai ist nicht mehr, wie lange bundesrepublikanische Jahrzehnte lang, ein Tag der "Niederlage", sondern korrekterweise der Befreiung. "Nie wieder Auschwitz" ist deutsche Selbstverpflichtung, kann aber sehr Unterschiedliches meinen. Seit dem Kosovo-Krieg ist deutlich geworden, dass diese Selbstverpflichtung von deutschen Politiker*innen keinesfalls auch zwingend "Nie wieder Krieg!" bedeutet.

Anpassung und Depotenzierung kritischen Denkens zeigt sich allerdings in einigen Ausläufern des aktuellen Antifaschismus vornehmlich deutscher Provenience. Während die Antifa-Bewegung in den USA zu einer kämpferischen Massenbewegung geworden ist, hat sich ein Teil des Antifaschismus in der Bundesrepublik, der ab den späten 70ern den antifaschistischen Selbstschutz propagierte, zu einer Szene entwickelt, die sich über ihre politischen Gegner und ihren eigenen Platz in der Gesellschaft wenig Rechenschaft ablegt. Natürlich ist jedes verteilte oder verklebte Antifa-Flugblatt und jeder Spucki gut und begrüßenswert, natürlich ist jede Sitzblockade vor AfD-Kongressen absolut notwendig und manche Aktionen zeugen von großen Mut. Allerdings waren die antifaschistischen Gegenaufzüge zu den "Coronarebellen" in ihrer Frontstellung und ihren Parolen zuweilen wenig zielführend. "Querfront", "Verschwörungstheoretiker", "Faschisten", "Nazis" waren als anklagende Beschimpfungen nicht in der Lage, die Teile der Demonstrant*innen zu erreichen, die sich selbst auch antifaschistisch positionierten oder jene aus den Demonstrationen herauszuholen, die für eine linke und fortschrittliche Politik hätten gewonnen werden können.

Geblendet von den verheerenden Strategien im kommunistischen Milieu, die 1923 und 1930 die nationale Frage und zuweilen auch antisemitische Demagogiepartikel benutzten, um Arbeiter oder irrlichternde Mittelschichtlerinnen der „Nationalsozialistischen Arbeiterpartei“ abspenstig zu machen, hält die heutige antifaschistische Linke absoluten Abstand zu als gefährlich erachteten Orten uneindeutiger angeblicher "Querfronten". Anstatt sich an Walter Ulbrich, Rudolf Rocker und Erich Mühsam ein Beispiel zu nehmen, die in den 20er Jahren sogar SA-Versammlungen aufsuchten und gegen die organisierten Nazis polemisierten und agitierten, um die anwesenden Arbeiter für ihr Projekt eines parteikommunistischen oder libertären Sozialismus gewinnen zu können, sucht man nun in der Regel am Rand die "gefährlichen Orte" auf und sorgte mit aggressiven bis herabsetzenden Zurufen für eine ungünstige Freund-Feind-Stellung. In der von Antifas skandierten Parole "Wir impfen euch alle!" mag ein subversiver Kommunikationsguerilla-Witz liegen, aber er transportiert auch ein Gemeinmachen mit der Herrschaft, ironischerweise in einem Moment, in dem die Verwaltung der Macht ihre Unfähigkeit zeigt, überhaupt wirksamen Schutz für die Bevölkerung zu organisieren. Ein mit Humor ausgestatteter Coronarebell könnte den Antifas zurufen: "Wollt ihr etwa das in Eigenregie machen, wozu der Staat nicht in der Lage ist, ihr Neoliberalen?!"

Die aktuellen Parolenrufer*nnen reflektieren nicht, dass man sich dabei auf eine administrativ-autoritative Position stellt, und somit auch als Teil der herrschenden Semantik und politischen Ordnung wahrgenommen werden kann. Abgesehen davon, dass der Schwur von Buchenwald nicht "Nie wieder Impfgegner" lautet. Die teilweise triumphierenden Anklagen von antifaschistischer Seite, man habe bei allen Coronarebellen lupenreine antisemitische Verschwörungsmytholog*innen vor sich, schlug auch den eigentlich linken Anspruch aus dem Feld, die Wirklichkeit der Demos angemessen zu analysiern, um aufklärerisch wirken zu können. Wenn Lockdownkritiker*innen "Schwurbeln" unterstellt wird, soll offensichtlich kaschiert werden, dass gelegentlich die eigene Analyse der Corona-Lockdown-Situation recht schwach oder sogar unkritisch ausfällt. Eine merkwürdige Staatsnähe der Antifa war bereits in früheren Zeiten in jenem Antifa-Milieu anzutreffen, das sich vorgeblich „antideutsch“ auf der Seite Israels positionierte und den Afghanistan- und Irak-Krieg befürwortete. Anstatt sich kritisch mit den zunehmenden "Weltordnungskriegen" (Robert Kurz) und der deutschen Rolle darin auseinanderzusetzen, wurden die obskurantistischen und halb-aufgeklärten "Montagsmahnwachen für den Frieden" lediglich als "antiamerikanisch" und "antisemitisch" angegriffen. "Friedensdemo-Watch" und andere Portale betätigten sich so als zivilgesellschaftlicher Verfassungsschutz voller Denunziationswut.

Insofern ist Sarah Wagenknechts polemischer Diagnose an diesem Punkt auch zuzustimmen, wenn sie in ihrem neuesten und vieldiskutierten Buch schreibt, dass viele Linke auch "bei den großen Anti-Corona-Demonstrationen, etwa jener im August 2020 in Berlin (...) nur »Verschwörungstheoretiker« und »Nazis« auf den Straßen" sehen wollten, obwohl "jeder, der Bilder dieser Kundgebungen unvoreingenommen betrachtet hat, die große Zahl relativ unpolitischer, aber eben unzufriedener Normalbürger kaum übersehen konnte." In Hinblick auf die Vorstände linker Parteien schreibt sie: "Ähnlich naserümpfend werden nahezu alle öffentlichen Aktionen kommentiert, bei denen die Akademikerquote unter 50 Prozent liegt und die vielleicht auch wegen dieser Arroganz von links am Ende tatsächlich häufig von Meinungsführern aus dem rechten Spektrum gekapert werden."

Mit Wagenknecht selbst allerdings wird sich kein angemessener Antifaschismus reformulieren lassen, wenn sie sich als im Wortsinn reaktionäre Linke ein Zurück in die postnazistische und prä-68er-Zeiten erträumt. Der große österreichische Lyriker, Übersetzer und linksradikal-antifaschistische Essayist und Kritiker Erich Fried schrieb seinerzeit (es waren die von Wagenknecht verteufelten westdeutschen Nach-68er-Jahre): "Ein Faschist, der nichts ist/ als ein Faschist,/ist ein Faschist./Aber ein Antifaschist, / der nichts ist/ als ein Antifaschist,/ ist kein Antifaschist!" Von hier aus könnte sich eine Diskussion eröffnen, was Antifaschismus auf der Höhe der Zeit und angesichts der realen kapitalistischen Zumutungen heißen müsste.

Die Antifaschistische Aktion der 20er Jahre war stark geprägt von jugendlichen Proletarier*innen, der Antifaschismus der 70er Jahre war ein breites Bündnis studentischer wie nicht-studentischer Jugendlicher und keinesfalls abgetrennt von anderen sozialen Bewegungen. Ab den 80er Jahren diskutierten antifaschistische Aktivist*innen die Notwendigkeit, aber auch Gefahr von breiten Bündnissen. Im Kontext von Antifaschistischen Aktionen wurde gegen Imperialismus und Krieg agitiert. Beständiges Thema in Antifa-Kreisen war in den 90er Jahren die "soziale Frage", die manche Gruppen Stadtteilläden eröffnen ließ. Manche Gruppen setzten sich sogar mit historischen linkskommunistischen und rätekommunistischen Kritiken des Antifaschismus auseinander, wonach dieser lediglich ein klassenübergreifendes Bündnis darstellen würde, das den Kapitalismus als solchen nicht tangiere... Einige aktuellen Antifa-Aktivist*innen wären sicherlich gut beraten, die eigene Geschichte zur Kenntnis zu nehmen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gerhard Hanloser

Kritische Analysen, Miniaturen und Reflexionen über linke Bewegungen, Theorien und Praxis

Gerhard Hanloser

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