Baltisch-skandinavische Kostproben

Mitbringsel Von einer Reise bleiben immer kulinarische Besonderheiten. Was sammelt sich bei einer Tour um die Ostsee, durch das Baltikum, Lappland und Schweden an?

Quer durch Deutschland, weiter Richtung Osten

Sauerkraut

„Sei mir gegrüßt, mein Sauerkraut / holdselig sind deine Gerüche!“, gibt uns Heinrich Heine mit auf den Weg. Hallo Deutschland, hallo Sauerkraut. Wenngleich in den Berliner Kneipen mit internationaler Küche nicht oft gegessen, so ist es doch bekannt: Sauerkraut, das ist deutsche Alltagsküche und Nationalstolz in einem. Angeblich schmeckt das Kraut am besten, wusste schon Witwe Bolte, wenn es zum zweiten Mal aufgewärmt ist. Gesund ist es außerdem: Viel Vitamin C versteckt sich in dieser milchsäuregegärten Hausmannskost, nicht unwichtig für die langen Winter, die umso länger werden, je weiter nördlich wir kommen.

Den Geschmack zum Kraut gibt es in einem abgelegenen Kaff in den Masuren. Hier serviert die Köchin pierogi mit angebratenem Sauerkraut als Füllung, die Reiseliteratur erzählt dazu Geschichten aus Ostpreußen. So köstlich unprätentiös die Teigtaschen schmecken, dreht sich das Tischgespräch sogleich um die kitschige Landschaft. Die lieblichen Seen! Die Störche, die mit ihren Schnäbeln klappern! Das Licht der untergehenden Sonne! Die Einsamkeit! Die Wildnis! Das Sauerkraut begleitet uns weit, nicht nur bis nach Polen, auch nach Litauen und Lettland, dort ist damit Gebäck gefüllt. Je nordöstlicher, desto variantenreicher: In der lettischen Hafenstadt Liepāja essen wir köstliches, in Butter angebratenes Sauerkraut.

Ab Kaliningrad weiter nordwärts

Roggen

Einzig ein hochstehendes Roggenfeld und zwei Kühe trennen uns vom russischen Kaliningrad. Wir fahren entlang der russisch-litauischen Grenze, leicht ungehalten, weil wir es verpasst hatten, ein russisches Visum zu beantragen. So betrachten wir die Grenze von Weitem und freuen uns umso mehr über die russische молоко (Milch) im nächstgelegenen Dorfladen. Erst später auf der Reise wird klar, dass jenes Roggenfeld dort an der russischen Grenze erklärte, warum das Brot dunkler wird, je nördlicher wir kommen. Roggen, besonders der Winterroggen, ist hart im Nehmen. Er gedeiht auch auf Sandböden und übersteht bis zu minus 25° Grad Celsius. Zum Roggen kommt weiter nördlich der Hafer, dieser braucht viel Regen, entsprechend wird viel davon in Finnland angebaut.

In den russischen und baltischen Ländern bis nach Skandinavien wird also viel mit Roggen gebacken, häufig in Kombination mit Natursauerteig, manchmal auch mit Malz. In Estland heißt es must rukkileib, in Lettland tumšā rudzu maize und in Litauen juoda ruginé duona. Nicht immer schmeckt dieses dunkle, nahezu schwarze, meistens säuerliche Brot. Doch in Klaipėda hinter der kurischen Nehrung begegnen wir ķiploku grauzdiņi, in Knoblauch und Salz gebra-tenen Brotwürfeln, die die Litauer und auch die Letten zum Bier essen. Auch so können Chips schmecken.

In Lettland, erfahren wir, isst beim Brot der Aberglaube mit: Junge Mädchen streiten sich etwa um das erste abgeschnittene Stück eines Brotes, das als Bauernsohn bezeichnet wird, denn wer es bekommt, wird einen solchen heiraten. Weiter oben im Norden, in Schweden schließlich hat knäckebröd, das Knäckebrot seine Heimat. Auch dieses grobschlächtige Brot ist aus Volkorngetreide, meistens aus Roggenschrot. Ohne Hefe buken die Schweden ein- bis zweimal im Jahr dieses trockene Brot, teils mit einem Loch in der Mitte, auf Vorrat für die langen, harten Winter.

Östlich von Berlin-Wien

Salzgurken

Hinter dem Salzgurkenmeridian, östlich der Linie Berlin-Wien, veredeln häufiger Gurken unsere Rastpausen. Mal süßer, mal saurer, immer in viel Salzlake, teils mit Gewürzen, häufig mit Dill oder Senfsamen verfeinert. Gut sechs Wochen in Steintöpfen braucht eine Salzgurke, um via Milchsäuregärung ihr Aroma zu erhalten. Jede Marktfrau betont, sie hätte die Gurken höchstpersönlich nach einem speziellen Familienrezept eingelegt, verraten will das Geheimnis uns freilich keine. Die Salzgurke ist programmatisch für die osteuropäische Küche, die hauptsächlich Deftiges auftischt: Für die perfekte Salzgurke braucht es wenig Zutaten, doch viel Erfahrung. Das prächtigste Exemplar unserer Reise entdecken wir in einem unscheinbaren Geschäft eines Urlaubsortes hinter der polnischen Küste. Die Auswahl beschränkt sich hier auf Tomatensauce im Tetrapak, Pasta und Chips – was Urlauber eben so mögen. Der Plastikeimer mit drallen, eingelegten Gurken steht neben dem Gemüse, das aus aller Herren Länder importiert wurde. Zum Glück fischten wir genug aus diesem Eimer.

Karelien, Finnland/Russland

Teigtaschen

Nur knapp zwei Stunden dauert die Überfahrt von Tallinn nach Helsinki, um wieder in einer völlig anderen Welt anzukommen. Abermals andere Wörter, anderes Gebäck und neue Biermarken. Bevor überhaupt ein Blick in das Wörterbuch geworfen werden kann, stehen wir bereits in der Markthalle. Den Rentierfleisch-Kebab lassen wir außer Acht, zu offensichtlich ist er eher eine touristische als eine traditionelle Spezialität. Ovale, handtellergroße Küchlein mit einem Mantel aus Roggenteig liegen da aber aus, mit einer feinen Füllung aus Milchreis, Butter und Eiern. Karjalanpiirakka heißt diese Spezialität – eine Art finnisch-russische Pirogge, die vorzüglich schmeckt und ursprünglich aus Karelien kommt, einer historischen Landschaft Richtung Russland. Sowieso wähnen wir uns in jener Markthalle im Paradies: finden doch all die Zutaten, die wir bislang auf der Reise angetroffen haben, hier zu ihrer Vollendung. Der Fisch, der Dill, das Roggenbrot, die Kartoffeln – im Gegensatz zum Baltikum hier auch fürs Auge angerichtet.

Riga

Kräuterlikör

Bei den vielen verschiedenen Küchen, die auf den knapp 11.000 Kilometern an unserem Weg liegen, kommt irgendwann auf dieser Reise der Magen nicht mehr mit. Das ist der richtige Moment für den schwarzen Balsam aus Riga, den Rīgas Melnais balzams. Dieser Likör besteht aus verschiedensten Kräutern und Beeren, geschmacklich erinnert er an den italienischen Fernet-Branca. Sprich: Der erste Schluck schmeckt fürchterlich bitter, schließlich findet man ihn ganz gut, und der Magen bestätigt diese Feststellung.

Dass diese Sorte Likör auch Digestif heißt und an Medizin erinnert, kommt nicht von ungefähr. Den schwarzen Balsam aus Riga hat der Apotheker Abraham Kunze erfunden, angeblich um die russische Zarin Katharina II. zu heilen. 24 Zutaten sollen es sein, deren Zusammensetzung allerdings geheim gehalten wird. Die Nase und der Gaumen meinen Johanniskraut, Wermut, Pfefferminz, Kalmus zu schmecken. Die Literatur spricht außerdem von Birkenknospen, Ingwer und Melisse. Traditionell wird der Kräuterlikör mindestens einen Monat im Eichenfass gelagert, anschließend in Tonkrügen angeboten. Ein Schluck davon erinnert nun im Winter an jenen Sommer.

Rund um Helsinki

Hefegebäck

Der Weg ins Zentrum wird unterbrochen durch das Café Regatta, einem kleinen, windschiefen Häuschen an einem der zahlreichen Uferwege von Helsinki. Hier wird Kaffee – entgegen einem weitverbreiteten Klischee das Nationalgetränk der Finnen – getrunken, dazu gibt es Korvapuusti. Das luftige Hefegebäck, das nach Kardamom und Zimt schmeckt, ist eine Verheißung und garantiert Gesprächsstoff: Kein Finne weiß, warum sie Ohrfeigen heißen, doch alle haben eine abenteuerliche Erklärung dafür. Weiter nördlich und westlich vermissen wir das Gebäck sehr. In Schweden schließlich gibt es die kanelbullar, eine Art Zimtschnecke. Die schmeckt auch. Aber nur nach Zimt.

Ab der polnischen Küste weiter östlich

Geräucherter Fisch

Als wir das Meer erreichen, stehen Holzschränke mit Flügeltüren am Straßenrand und in den Gärten. Erst in Darłówko wird klar, dass es Räucheröfen sind, in denen der ryba, weiter nordöstlich der žuvis, zivs und schließlich kala geräuchert und als kleiner Snack verkauft wird. Nicht überall sind die Öfen gleich, doch immer schmeckt der Fisch nach Ostsee und rauchigem Holz. Suitsukala gibt es auch am größten Binnensee Estlands, dem Peipsi Järv, der auch die Grenze zu Russland ist. Hier, in Mustvee etwa, werden wir von einigen großformatigen Autos mit russischen Kennzeichen überholt, während an der Straße estnische Frauen Gurken verkaufen.

Vilnius, Riga, Tallinn

Schokolade

In das Gepäck wandern während der Reise stillschweigend einige Tafeln Schokolade. Alle drei haben sie die gleiche Verpackung: die erste mit den Konturen von Vilnius, die zweite von Riga, die dritte von Tallinn. Eigentlich als Mitbringsel gedacht, stellt sich irgendwo im einsamen Lappland, während einer schwachen Minute heraus, dass sie köstlich schmecken; ganz besonders die „Luftschokolade“ aus Tallinn. Auffallend dunkel sind die Schokoladen, wegen der Akkra-Kakaobohne aus Ghana. Diese wurde bereits zu Sowjetzeiten von der lettischen Schokoladenfabrik Laima und der estnischen Kalev importiert.

Beide Schokoladenfabrikanten spiegeln ein Stück baltische Wirtschaftsgeschichte wider: Die größte estnische Schokoladenfabrik Kalev wurde ursprünglich von einem Schweizer Konditor 1806 aufgebaut, Laima wurde 1925 von jüdischen Besitzern gegründet, die später rechtzeitig nach Palästina auswanderten. Beide Unternehmen wurden Anfang der Vierziger durch die sowjetische Besatzung verstaatlicht, in den Neunzigern wieder privatisiert, um sich schließlich nochmals zehn Jahre später einen innerbaltischen Konkurrenzkampf zu liefern.

Gemeinsam ist ihnen, dass sie je in lettischer beziehungsweise estnischer Hand blieben und bis heute nicht von einer internationalen Firma übernommen wurden. Zu Zeiten der Sowjetrepubliken galt Kalev als sozialistischer Musterbetrieb, der Estland und die ganze Sowjetunion mit Schokolade belieferte; unterdessen ist Laima der größte Schokoladenhersteller im Baltikum. Und beide haben der jeweiligen Hauptstadt je einen beliebten Treffpunkt hinterlassen: In Riga trifft man sich für ein Rendezvous gerne bei der oft besungenen Laima-Uhr im Zentrum, in Tallinn im nostalgischen Café Maiasmokk – was soviel wie süßer Zahn heißt.

Sopot, Polen

Rauchkäse

Die Ufer-Promenade in Sopot, die sich fast bis Gdańsk zieht, ist an diesem lauen Abend belebt. Radfahrer weichen im Zick-Zack-Verfahren schlendernden Familien aus. Wir wähnten uns an der italienischen Riviera, wäre nicht ein seltsames Gebäck dazwischen gekommen, dessen rauchigen Geruch wir kaum wieder weg bekamen. Das vermeintliche Gebäck entpuppte sich als oscypek, eine Art Rauchkäse aus Schafsmilch. Der aufwendig mit traditionellen Formen verzierte Käse ist eine Spezialität von Hirten aus den Karpaten. Als dezent kann man seinen Geschmack nicht beschreiben, er schmeckt nach Wald, nach Kiefern und Fichtenholz. So stellt man sich die Karpaten vor.

Gen Russland

Brottrunk

Ein Gruß aus Russland steht im lettischen Liepāja auf dem Markt: Der gelbe Tankwagen mit kvass sticht aus dem fröhlichen Gewühl hervor, im Juni dominieren sattes Rot und Grün den Markt. Wir kennen dieses alte russische Getränk bereits aus der Ukraine, eine Art Saft aus gegorenem Roggenbrot oder Birnen, Wasser, Hefe und Zucker. Schmecken tut es wie Malzbier, nicht so schlecht also, aber doch Geschmackssache. Das säuerliche Getränk ist der Milchsäure wegen nicht ungesund: Die Verdauung und den Stoffwechsel soll es fördern und antibakteriell sein. So besagt denn auch eine russische Volksweisheit: „Nicht der Pelz hält warm, sondern das Brot.“

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