Seit September steht die Entscheidung des britischen Parlaments aus, ob die Klonierungstechnik künftig auch an menschlichen Stammzellen erlaubt sein soll. Ende November hat Lionel Jospin der französischen Nationalversammlung einen Gesetzesentwurf vorgelegt, nach dem Stammzellenforschung "in engen Grenzen" zugelassen werden soll. "Eng" heißt in diesem Falle auch die umstrittene Forschung an "überzähligen" Embryonen, die bei der künstlichen Befruchtung "anfallen". Zum gleichen Zeitpunkt wurde in Japan das Klonen von Embryonen sowie die Produktion von tierischen und menschlichen Mischwesen unter strenge Strafe gestellt. Vor diesem Hintergrund beleuchtet die Tübinger Biologin Gisela Badura-Lotter die medizinischen und ethischen Probleme der Stammzellenforschung und die durch sie geweckten Erwartungen.
Seit nunmehr ziemlich genau zwei Jahren - seit ihrer "Entdeckung" im November 1998 - findet man sie auf den ersten Seiten, sowie in Kommentaren, den Wissenschafts- und den Feuilletonteilen aller Zeitungen: embryonale Stammzellen (ES-Zellen). Da wird von "Revolutionären Zellen" (ZEIT) oder "Nachwachsenden Organen" (taz) gesprochen; Forscher werden zitiert, die das "enorme Potential für die Medizin" ohne kritische Einschränkungen postulieren (SZ). Die Zeitschrift Focus titelte sogar schon im November 1998: "Erstmals gelang der Beweis: Im Labor können menschliche Stammzellen zu Organen reifen".
Seither erscheint dieses Thema in immer neuen, politisch und ethisch brisanten Zusammenhängen - sei es in der Debatte um das neue Fortpflanzungsmedizingesetz in Deutschland oder - wie in England - im Zusammenhang mit dem sogenannten "therapeutischen" Klonen. Dabei wird häufig nicht klar, um was es sich bei diesen Zellen eigentlich handelt.
ES-Zellen werden aus sehr frühen menschlichen Embryonen gewonnen, die dabei zerstört werden. Die Zellen befinden sich in einem "primitiven", d.h. undifferenzierten Zustand und können sich - theoretisch - zu allen Zellen des menschlichen Körpers entwickeln. Was menschliche embryonale Stammzellen tatsächlich leisten können, darüber wissen wir noch sehr wenig. Die meisten ihrer Eigenschaften, auf die sich die Hoffnungen der Forscher und der inzwischen von dieser Hoffnung infizierten Patientengruppen gründen, sind nur für ES-Zellen der Maus bestätigt. Diese unterscheiden sich jedoch in mancher Hinsicht von denen des Menschen und lassen daher nur begrenzt Rückschlüsse zu. Es ist bislang noch nicht gelungen, ES-Zellen des Menschen im Labor gezielt in ausgereifte Körperzellen zu verwandeln. Wir wissen von menschlichen embryonalen Stammzellen nur, dass sie sich in der Tat zu verschiedenen Zellen entwickeln können - bislang hauptsächlich zu einigen wenigen, ebenfalls noch nicht fertig ausgereiften Zelltypen, sogenannten Vorläuferzellen.
Heilung für Millionen?
Die Chancen, die Mechanismen der gezielten Steuerung dieser Entwicklung eines Tages entschlüsseln zu können, sind allerdings durchaus realistisch. Dass man einige Gewebe wird herstellen können - z.B. im neuronalen Bereich - ist ebenfalls wahrscheinlich. Dennoch kann man zum jetzigen Zeitpunkt nicht absehen, welche Zellen man aus embryonalen Stammzellen tatsächlich in Kultur erzeugen kann und ob diese sich für eine Transplantation eignen werden. Auch ist noch nicht klar, welche Krankheiten sich durch eine solche sogenannte Zelltherapie behandeln lassen. Für jede einzelne müsste eine Therapie auf der Basis von embryonalen Stammzellen erst noch entwickelt werden, daher sollte man sich davor hüten, jetzt schon ein Allheilmittel für unzählige Krankheiten zu versprechen.
Völlig abwegig ist momentan auch die Vorstellung, komplexe Organe wie Herz oder Leber in Kultur herzustellen. Damit soll nicht gesagt werden, dass diese Ideen grundsätzlich nicht zu verwirklichen sind. Aber die Aussichten sind so wenig wahrscheinlich, dass sie redlicherweise in dem Streit um Für und Wider der Forschung an embryonalen Stammzellen nicht als k.o.-Argumente auftauchen sollten.
Ungeachtet des bescheidenen Wissensstandes werden ES-Zellen jedoch genau so gehandelt - als potentielles Heilmittel für viele bislang nicht zu kurierende Krankheiten. Sie bilden die Speerspitze in der Argumentation der Befürworter einer Lockerung bestehender restriktiver Regelungen, z. B. zum Embryonenschutz oder dem Klonierungsverbot. Dies gilt besonders für Deutschland, das mit dem Embryonenschutzgesetz eines der in diesem Bereich strengsten Gesetze Europas hat. Auch die Ethik-Beratergruppe der EU hat sich, geleitet von den Versprechungen für Wissenschaft und Medizin, vor kurzem für eine kontrollierte Zulassung der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen ausgesprochen.
Das Potential dieser Technik wird erstaunlich wenig kontrovers gesehen. Nur wenige Gutachten weisen auf den vagen Wissensstand und die schwierige Prognostizierbarkeit künftiger Entwicklungen hin. Dies könnte an der Zurückhaltung vieler Wissenschaftler liegen, auf die bestehenden Probleme der Forschung an embryonalen Stammzellen auch öffentlich einzugehen. Auch wird häufig nicht auf die Fortschritte in alternativen Forschungsansätzen hingewiesen. Dabei erscheinen monatlich neue Publikationen, welche die Verwendung von Stammzellen aus Erwachsenen (somatische Stammzellen) für den selben medizinischen Einsatzbereich immer vielversprechender erscheinen lassen.
Ungeeignete Zellen, Krebsrisiko und Immunabstoßung
Diese selektive Darstellung des wissenschaftlichen Sachstandes hat vermutlich mehrere Ursachen. Wissenschaftler und Mediziner, besonders in Deutschland, die selbst ein Interesse an dieser Forschung haben, sehen sich quasi automatisch in einer offensiven Rolle - gegen das bestehende Embryonenschutzgesetz und gegen weite Teile der politischen und kulturellen Landschaft müssen sie ihr Forschungsinteresse propagieren. Da liegt die Versuchung nahe, das Potential dieser Zellen etwas höher anzusetzen, als es der momentane Forschungsstand so ohne weiteres tragen kann. Ähnlich wie zu Beginn des "Gentherapie-Booms", verschweigen manche Forscher die Unwägbarkeiten und ungelösten Probleme auf dem Weg zu einer breiten Verwendung der Zellen in der Medizin. Es wird die Vorstellung erweckt, mit Hilfe dieser Zellen könnten dereinst (und das heißt: in nicht allzu ferner Zukunft!) unbegrenzte Mengen an immunologisch perfekt an den Patienten angepasste Körperzellen, Gewebe, ja vielleicht sogar ganze Organe im Reagenzglas erzeugt werden - Heilung für Millionen, so das Schlagwort, und keine Alternativen seien in Sicht.
Das wissenschaftliche und medizinische Desaster der Gentherapie, dass nur deshalb eines wurde, weil die Erwartungen zu hoch und die Sicherheitsvorkehrungen in der Euphorie der ersten klinischen Versuche zu niedrig angesetzt wurden, könnte sich im Fall der embryonalen Stammzellen wiederholen, wenn die Versprechungen und der Drang, in die klinische Anwendung zu gehen, nicht gedämpft werden. Namhafte Wissenschaftler wie Anders Bjorklund und Olle Lindvall haben kürzlich darauf hingewiesen. Auch in Deutschland wird innerhalb der scientific community und der Ärzteschaft das Thema "menschliche embryonale Stammzellen" aus medizinischen und ethischen Gründen kontrovers diskutiert.
Denn abgesehen von der Tatsache, dass es die Zellen, die für einen klinischen Einsatz notwendig wären - nämlich die ausgereiften Körperzellen wie z.B. Nerven- oder Muskelzellen - noch gar nicht gibt, trifft man bei der konkreten Vorstellung ihres klinischen Einsatzes noch auf einige andere schwerwiegende Probleme. Embryonale Stammzellen - auch die des Menschen - neigen dazu, sich nach einer Transplantation zu einer bestimmten Krebsform, den sogenannten Teratokarzinomen, zu entwickeln. Man müsste vor einer Transplantation der in Kultur hergestellten Körperzellen also sicherstellen, dass sich keine undifferenzierten embryonalen Stammzellen mehr darin befinden. Eine Aufgabe, deren Bewältigung leichter scheinen mag, als sie faktisch ist.
Ein zweites große Problem ist die zu erwartende Immunreaktion des zukünftigen Patienten. Zellen aus embryonalen Stammzellen werden aller Voraussicht nach ebenso abgestoßen, wie andere Transplantate auch. Will man diese zum Teil gravierenden Abstoßungsreaktionen mildern oder verhindern, muss entweder das Immunsystem des Patienten medikamentös in Schach gehalten werden oder die fremden Zellen müssen "irgendwie" an den Empfänger angepasst werden.
Für dieses "irgendwie" gibt es verschiedene Lösungsvorschläge. Der aufsehenerregendste aber technisch unrealistischste Weg ist der über das Klonen von Embryonen à la Dolly mit dem Ziel, aus diesen Embryonen individuelle ES-Zelllinien für jeden Patienten herzustellen. Von England ausgehend entfachte diese Idee im vergangenen Sommer eine heftige Debatte in Europa. Eine Expertenkommission hatte im Juni dieses Jahres sowohl die Verwendung menschlicher Embryonen als auch die Anwendung der Zellkerntransfermethode ("Dolly") für die Forschung an embryonalen Stammzellen empfohlen. Die Entscheidung des britischen Parlaments hierzu steht demnächst an. Dabei weist der Bericht dieser Kommission um den medizinischen Berater der Regierung Liam Donaldson ausdrücklich auf die Schwierigkeiten dieses Ansatzes hin.
Dazu gehört auch die entscheidende Frage, woher die Millionen Eizellen kommen sollen, die nötig wären, um tatsächlich für jeden Patienten eine eigene Stammzelllinie mittels eines genetisch nahezu identischen Klons herzustellen. Abgesehen davon, dass unklar ist, ob die Technik des Zellkerntransfers beim Menschen funktioniert, stellen sich spätestens hier die ersten gravierenden ethischen Probleme. Eizellen sind schon jetzt Mangel"ware". Um sie zu bekommen, müssen Frauen einer physisch und psychisch belastenden Prozedur unterworfen werden, und es ist nicht damit getan, darauf zu verweisen, dass sie diese im Zuge der In-vitro-Fertilisation (der künstlichen Befruchtung) ja ohnehin schon auf sich nehmen. Denn zum einen ist es etwas anderes, ob eine Frau dieses tut, um sich selbst und ihrem Partner den Kinderwunsch zu erfüllen, oder ob sie ihren Körper zugleich in den Dienst der Forschung stellen soll. Die Bereitschaft dazu wird in der bestehenden Diskussion ganz selbstverständlich vorausgesetzt. Zweitens müssten sehr viel mehr Eizellen als bislang gewonnen werden, was bedeutet, dass der Eisprung entweder öfter oder stärker durch Hormone stimuliert werden müsste, wodurch die medizinischen Risiken vermutlich stark steigen würden. Es ist unwahrscheinlich, dass auf diesem Wege genügend Eizellen verfügbar werden.
Ein wirklich breiter Einsatz individuell angepasster ES-Zelllinien würde also zwangsläufig nicht nur zu einem immens hohen Verbrauch an menschlichen Embryonen führen, sondern auch noch zu einer Ressourcenknappheit. Ursprünglich angetreten, um eine genau solche Knappheit - nämlich den in der Transplantationsmedizin bestehenden Organmangel - zu beheben, würde also die Einführung dieser Technik einen nicht minder schweren Mangel in einem anderen Bereich provozieren. Britische Ärzte haben kürzlich darauf hingewiesen, dass es schon jetzt schwierig ist, für Infertilitätsbehandlungen genügend Eizellen von Spenderinnen zu bekommen, dies würde sich bei einem breiten Einsatz der Klonierungstechnik in der Transplantationsmedizin sicherlich dramatisch verschärfen.
Die Grenzen der Forschungsfreiheit
Die Erkenntnis, dass vermutlich ein "Eizellenmangel" eintreten würde, findet sich auch in den Schlussfolgerungen der britischen Berater-Kommission wieder, die deshalb auch nicht die tatsächliche Anwendung des Klonens in der Transplantationsmedizin anvisiert, sondern sie als Mittel für weitere Forschung ansieht, die eventuell dazu führen könnte, dass man irgendwann keine Eizellen (und Embryonen) mehr braucht, um erwachsene Zellen in ein primitives Stadium zurück zu programmieren. Also Klonen und Zerstörung von Embryonen, um vielleicht irgendwann weder klonen noch Embryonen zerstören zu müssen? Es drängt sich die Schlussfolgerung auf, dass es hier darum geht, die Verwendung menschlicher Embryonen ebenso wie das Klonen in der Forschung generell hoffähig zu machen und die bestehenden Schranken abzubauen. Oft wird dieses Ziel mit dem Verweis auf die Freiheit der Forschung als moralisch und gesetzlich geschütztes Gut verteidigt. Aber auch die Forschungsfreiheit hat ihre Grenzen, und sie ist außerdem mit einem Auftrag verbunden: dem Menschen zu dienen. Das kann sie nur, wenn Ziele und Mittel transparent gemacht werden, wenn wissenschaftliche und ethische Argumente nicht unseriös, d.h. bewusst einseitig oder verkürzt verwendet werden.
In der politischen Debatte um embryonale Stammzellen wird deutlich, dass es sehr wohl auch um Führungspositionen in Forschung und Medizin und damit um den Wirtschaftsstandort eines Landes geht. Und es gilt der Grundsatz: Je weniger Schranken der Wissenschaft auferlegt werden, desto größer sind die Chancen, erfolgreiche und profitable Produkte zu erzeugen. Mit dem Versuch, ernsthaft auf mögliche moralische Probleme der ES-Zelltechnik einzugehen, hat diese leider dominierende Kultur der Debattenführung nichts gemeinsam.
Gisela Badura-Lotter ist Biologin und arbeitet am Interdisziplinären Zentrum für Ethik in den Wissenschaften an der Universität Tübingen in einem DFG-Projekt über die biologischen medizinischen und ethischen Aspekte der Forschung an embryonalen Stammzellen.
Was ist Ihre Meinung?
Kommentare einblendenDiskutieren Sie mit.