Ein permanenter Verfassungsbruch

50 Jahre Gleichstellung Im Juni 1957 verabschiedete der Bundestag das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau - auf die vollständige gesellschaftliche Gleichstellung warten Frauen noch heute

"Männer und Frauen sind gleichberechtigt", so hatte das Grundgesetz die Gleichberechtigung schon 1949 festgeschrieben. Es waren die Sozialdemokratinnen Elisabeth Selbert und Frieda Nadig, die für die Einschreibug dieses Passus gekämpft hatten und gegen die hartnäckigen Gegenargumente - auch ihrer eigenen Geschlechtsgenossinnen - aus den konservativen Parteien resistent geblieben waren. Das Ziel der Verwirklichung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern war damit allerdings nicht erreicht. Denn die Ungleichbehandlung bestand weiterhin, unterstützt durch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), das die Vorherrschaft des Mannes in der Familie und die geschlechtsspezifische Aufgabenverteilung in Familie und Beruf zementierte. Dem Manne stand das "Letztentscheidungsrecht" in allen das gemeinschaftliche Eheleben betreffenden Angelegenheiten zu. Frauen konnten nur dann erwerbstätig sein oder ein politisches Mandat wahrnehmen, wenn ihre Männer einverstanden waren.

Nach dem Willen der Mütter und Väter des Grundgesetzes sollte der Gleichberechtigungsgrundsatz von 1949 auch Konsequenzen für die Gleichstellung in der übrigen Gesetzgebung, also auch im Familien- und Arbeitsrecht, haben. Das Grundgesetz (Artikel 117) sah daher vor, dass bis März 1953 alle Gesetze, die dem Gleichberechtigungsparagrafen entgegenstanden, geändert sein mussten: "Das dem Artikel 3 Abs. 2 entgegenstehende Recht bleibt bis zu seiner Anpassung an diese Bestimmung des Grundgesetzes in Kraft, jedoch nicht länger als bis zum 31.3.1953," war die eindeutige Vorgabe. Ein noch zu verabschiedendes zusätzliches Gleichstellungsgesetz sollte die familien- und arbeitsrechtliche Benachteiligung der Frau aufheben. Die Frist für diesen Stichtag lief jedoch - trotz wiederholter Interventionen und Anstrengungen der sozialdemokratischen Fraktion - ohne jegliche entsprechende Gesetzesänderung ab. Auch in der folgenden Wahlperiode schien man es nicht besonders eilig zu haben. Die Rechtsunsicherheit war perfekt.

Nachkriegs-Backlash

Die Anpassung des Familien-, Ehe- und Erbrechts brachte manchen hitzigen Kampf im Bundestag. Die damaligen konservativ/liberalen Regierungsparteien blockierten den Prozess der Gleichstellung, indem sie die patriarchalen christlichen Bestimmungen im Familienrecht mit allen Mitteln aufrecht erhalten wollten. Ihnen lag daran, die Familie als Rückzugsort für Frauen zu re-etablieren. Immer wieder wurde die "natürliche Ordnung" von Ehe und Familie als gefährdet betrachtet, wenn das Entscheidungsrecht des Mannes als Rechtsanspruch entfiele.

Eine Einigung war schwer zu erreichen, da die Diskussionen zudem quer durch alle Parteien und Fraktionen kontrovers verliefen. Auch wurden die spezifischen Eigenarten und die "Andersartigkeit" der Frau, die bereits im Parlamentarischen Rat als Rechtfertigung für eine unterschiedliche gesetzliche Behandlung der Geschlechter herangezogen worden waren, wieder aufgerollt. Obwohl zunächst einvernehmlich war, dass das Familienrecht dem Grundsatz der Gleichberechtigung im Grundgesetz widersprach, waren es bald nur noch die Abgeordneten der SPD, die sich gegen die Vorstellung wandten, der Schutz der Familie könne die Begrenzung der individuellen Grundrechte rechtfertigen.

Frieda Nadig hatte bei den Verhandlungen immer wieder an die Bundestagsabgeordneten appelliert, mit dem Gesetz ein "lang geübtes Unrecht gegenüber der Frau wieder gutzumachen" und "das Gemeinschaftsleben" durch die wirkliche Gleichbehandlung der Geschlechter auf eine höhere Ebene zu heben. Durchsetzen konnte sie sich nicht. Bereits bei der ersten Beratung des "Gesetzentwurfs über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des Bürgerlichen Rechts und über die Wiederherstellung der Rechtseinheit auf dem Gebiete des Familienrechts" am 27. 11. 1952 hatte sie in einer Rede daran erinnert, dass der Parlamentarische Rat es mit der "echten Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau" ernst gemeint habe. Das im Gesetzentwurf enthaltene Entscheidungsrecht des Ehemannes bezeichnete sie als "familienfeindliche und verfassungswidrige Bestimmung", die das Recht des Mannes erhalten wolle und damit gegen die Verfassung verstoße. Auch das Elternrecht kritisierte sie, weil es als "Vaterrecht" zu bezeichnen war, das dringend dahingehend revidiert werden müsse, die "elterliche Gewalt" auf die Schultern beider Elternteile zu legen.

Argumente der Regierungsparteien, nach denen die männliche Entscheidung in der Ehe der "göttlichen Ordnung" entspreche, mochte sie nicht gelten lassen. Die Konservativen beriefen sich auf die Fuldaer Bischofskonferenz, die eindringlich an den Staat appellierte, "die wachsende Gefährdung der christlichen Ehe und Familie abzuwehren". Sie drohten sogar damit, dass diejenigen, die eine Fortführung der patriarchalen Autorität im Familienrecht ablehnten, sich nicht nur Adenauers Regierung, sondern auch der Heiligen Schrift und der kirchlichen Lehre widersetzten.

Streit um das Letztentscheidungsrecht

Frieda Nadig hielt ihnen ihrerseits die Bibel entgegen, denn dort stehe, dass "Gott dem Mann eine Gefährtin gab und keine Untertanin". Dem gegenüber konterte Helene Weber (CDU) in der Plenardebatte: "Wenn die Ehegatten sich nicht einigen, dann muss etwas geschehen, damit ein Handeln zustande kommt." Das Primat der Männer sei kein Privileg, sondern eine Schutzverpflichtung des Mannes für die Frau. Er solle für beide entscheiden, wenn man sich über ein Problem nicht einigen könne. Unterstützt wurde Frieda Nadig durch Ludwig Metzger (SPD), der darauf hinwies, dass eine solche Gesetzgebung den Mann dazu verführe, den Herrn im Haus zu spielen.

Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Juli 1958 war die rechtliche Gleichstellung von Männern und Frauen noch lange nicht erreicht, denn die harten Auseinandersetzungen zwischen den Parteien hatten aufgrund der vielen Kompromisse zu erheblichen Mängeln geführt: Zwar beseitigte es das Alleinentscheidungsrecht des Mannes in Ehe- und Familienangelegenheiten, und der Letztentscheid (Stichentscheid) des Vaters bei Meinungsverschiedenheiten der Eltern nach §1628 wurde bei Ehestreitigkeiten aufgehoben, jedoch beibehalten, wenn es um die Erziehung der Kinder ging. Ein Jahr später hob das Bundesverfassungsgericht diese Letztentscheidungsbefugnis auf und erklärte sie für verfassungswidrig. Die väterlichen Vorrechte in der Kindererziehung wurden jedoch erst 1979 vollständig beseitigt.

Das neue Gesetz anerkannte zwar das Recht der Frauen auf außerhäusliche Erwerbstätigkeit - allerdings mit der Einschränkung des §1356 BGB "soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist." Der Vorstoß des DGB für die ersatzlose Streichung dieses Paragraphen war nicht durchsetzbar. Erst 1977 wurde das Bürgerliche Gesetzbuch dahingehend geändert, dass die Ehegatten die Haushaltsführung in gegenseitigem Einvernehmen regeln. Nun blieben Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit zwar ganz der Entscheidung der Eheleute überlassen, doch auch die Neufassung des §1356 verlangt noch immer das individuelle Aushandeln der jeweiligen Tätigkeitsbereiche, also auch der Verteilung der Erwerbsarbeit. Aus vielen Studien geht hervor, mit welcher Selbstverständlichkeit die meisten Männer die volle Berufstätigkeit für sich in Anspruch nehmen und für ihre Frauen und Partnerinnen aufkündigen, wenn der "Sprung ins andere Leben" (Beck-Gernsheim) mit der Geburt des ersten Kindes vollzogen ist.

Nach dem neuen Gesetz durften Frauen, anders als vorher, ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen immerhin selbst verwalten. Zu einem Ausgleich der während der Ehe erworbenen Versorgungs- und Rentenansprüche hatte sich die Legislative indessen nicht entscheiden können. Dagegen führte das Gesetz eine gegenseitige Unterhaltspflicht der Ehegatten ein.

Auch die Regelung des Familiennamens ließ zu wünschen übrig. Bis 1994 mussten sich die Eheleute auf einen gemeinsamen Familiennamen einigen, und das war in der Regel der des Mannes, auch wenn die Ehefrau seit 1958 berechtigt war, den Mädchennamen hinzuzufügen und dieser seit 1976 als Familienname festgelegt werden konnte.

Arbeitsrecht blieb tabu

Die arbeitsrechtliche Seite klammerte das "Gleichberechtigungsgesetz" ohnehin nahezu ganz aus. Dass die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit im Gleichstellungsgesetz nicht verankert war, war besonders für die gewerkschaftlich aktiven Parlamentarierinnen ein Skandal, zumal die Römischen Verträge und der EWG-Vertrag in Artikel 119 diesen Grundsatz für alle Mitgliedsstaaten bereits 1957 festgeschrieben hatten. Liesel Kipp-Kaule hatte schon in einem Beitrag auf der Frauenkonferenz des SPD-Parteivorstandes vom 6. und 7. Mai 1950 vorgeschlagen, wegen der noch nicht erfolgten Gleichstellung der Frau in der Wirtschaft ein zusätzliches Gesetz zum Artikel 3 Abs. 2 des Grundgesetzes zur "Ökonomischen Gleichstellung" zu schaffen, weil die Frauenlöhne immer noch niedriger als die Männerlöhne seien und die Unternehmer eine diesbezügliche Diskussion ablehnten. Ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft steht bis heute aus. Ursprünglich war es im Koalitionsvertrag der rot-grünen Regierung vorgesehen, und die damalige Frauenministerin Christine Bergmann hatte sogar eine Expertengruppe ins Leben gerufen, die tragfähige und praktikable Vorschläge erarbeiten sollte. Ergebnis der langen Auseinandersetzungen war eine freiwillige Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Unternehmen, die sich bis heute als wirkungslos erwiesen hat.

Die Umsetzung des Rechts auf Gleichberechtigung dauert im wiedervereinigten Deutschland bis heute an. Elisabeth Selbert bezeichnete es 1980 in einem Interview als "permanenten Verfassungsbruch", dass die Realität anders aussieht, als die Gesetzeslage und Frauen selbst bei gleicher Qualifikation immer noch weniger Lohn bekommen.

Dr. Gisela Notz ist wissenschaftliche Referentin der Abteilung Sozial- und Zeitgeschichte bei der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zuletzt veröffentlichte sie zum Thema Frauen in der Mannschaft. Sozialdemokratinnen im Parlamentarischen Rat und im Deutschen Bundestag 1948 bis 1957 und Mehr als bunte Tupfen im Bonner Männerclub. Sozialdemokratinnen im Deutschen Bundestag 1957-1969 (beide Dietz-Verlag Bonn).


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