Die Prostituierte Alicia weist mit dem Finger gegen die rosa Decke im Bordell in der Frankfurter Taunusstraße, meint aber den Himmel, und grinst: "Freitag bis Sonntag arbeite ich nicht. Ich putze nicht und ich bumse auch nicht. Denn bei uns in der Dominikanischen Republik sagt man: Egal, was man Ostern tut, Jesus Christus ist dabei. Selbst beim Putzen." Sie schüttelt sich bei diesem Gedanken, und dann wiegt sie mit dem Kopf: "Eigentlich bin ich schon gläubig". Ihre dunklen Augen strahlen, sie freut sich auf die Osterfeiertage: "Ich lege die Beine hoch, ruhe mich aus, gehe ins Kino, schaue mir einen schönen Film an. Insgesamt sieht Gott das wohl nicht gern, was ich hier tue, aber was soll's. Er wird schon nicht so genau hinschauen. Sie lacht. Auf die Frage, ob die Eltern sie streng katholisch erzogen haben, kommt jene berühmte Handbewegung, als habe sie sich diese gerade verbrannt. Wird sie schmoren müssen - im Fegefeuer? "Ja und wie, ganz schön brutzeln werde ich wohl müssen", sie lacht wieder, halb fröhlich, halb schuldbewusst. Und wird gleich darauf ernst: "Am Ostermontag gehe ich wieder arbeiten, nicht gern, aber es muss sein. Ich muss möglichst schnell möglichst viel Kohle machen. Zwar habe ich meine Familie schon ganz schön unterstützen können, aber ich will noch nicht aufhören. Dieser Job ist fast wie eine Sucht. Bei uns in der Dominikanischen Republik geht man Ostern an den Strand, hier ist es eher öde. Vor allem bedeuten die Feiertage für Alicia eine Oase der Ruhe, in ihrem Alltag fühlt sie sich ständig gehetzt: "In letzter Zeit sind wir hier alle sehr angespannt. Dauernd gibt es Razzien. Gut, ich bin zwar mit einem deutschen Mann verheiratet, deshalb kann mir nichts passieren. Aber es ist sehr demütigend mit anzusehen, wenn die Polizeiwagen vorfahren und weinende Frauen mit Koffern in der Hand das Bordell verlassen. Sie müssen entweder ins Gefängnis oder werden gleich in den Flieger gesetzt." Ostern will Alicia ihren Job - wenigstens kurzfristig - vergessen: "Ich möchte einmal so tun, als ob all das nicht wäre."
Marita Eilrich, Pressesprecherin des DGB, findet es interessant, einmal von ganz unterschiedlichen Menschen zu hören, welche Bedeutung sie Ostern beimessen. Sie selbst verbindet mit dem Fest den Gedanken an Gerechtigkeit und Frieden: "Beim Ostermarsch treffe ich Menschen, mit denen ich politisch übereinstimme - das ist etwas Besonderes in der heutigen Zeit, wo ansonsten jeder sehr vereinzelt macht, was er will." Letztes Jahr hat sie Ostern als schockierend erlebt. "Es war ein mieses Gefühl, dass aus Wirtschafts- und Machtinteressen nach dem Zweiten Weltkrieg das erste Mal wieder ein Krieg von deutschem Boden aus geführt wurde. Ein ganzes System wurde ausgehebelt, die UNO ist als Weltpolizei missachtet worden. Jetzt ist ein Damm gebrochen. Verdient hat daran die Rüstungsindustrie. Dabei wäre es so wichtig gewesen, endlich die Konversion dieser Betriebe in friedliche Industrien vorzunehmen, davon hört man nichts mehr." Marita Eilrich ist keine, die lange dozieren mag, sie unterbricht sich abrupt: "Auch der kleine Frieden ist mir wichtig, dass Nachbarn und Kollegen Zeit haben, miteinander zu reden. Ostern ist nicht so verkommen wie Weihnachten, es wird nicht viel konsumiert." Für die DGB-Frau hat das Fest keine religiöse Bedeutung: "Mit 14 Jahren sollte ich konfirmiert werden. Meine Mutter lag zu dieser Zeit im Krankenhaus. Der Pfarrer hat mir damals verboten, sie zu besuchen. Er bestand darauf, dass ich am Konfirmations-Unterricht teilnehme. Das fand ich ganz und gar unchristlich. Aus der Kirche bin ich mit 15 ausgetreten. Dennoch ist Ostern für mich schön. Das gemeinsame Tun hat mir immer gut gefallen. Eier auspusten, anmalen und so weiter."
Der Familientherapeut Gerd Bauer mag Ostern: "Man ist nicht mehr dem alltäglichen Stress ausgeliefert, kann neue Ideen sammeln." Für ihn sei Ostern ein besinnliches Fest, meint Bauer: "Ich nutze die Gelegenheit, mich gesellschaftspolitisch zu engagieren. An Freunde und Bekannte verteile ich Postkarten, von terre des hommes entworfen, die an die japanische Botschaft adressiert sind. Mit diesen Karten appellieren wir an die Politiker, die derzeit auf dem Gipfel in Okinawa tagen, sich für den Schuldenerlass in den armen Ländern im Süden einzusetzen. Es geht mir darum, den Kindern dort den Start in ein etwas erträglicheres Leben zu ermöglichen."
Der Kellner Hassan Güngör im kurdischen Restaurant Tandure hat nicht viel Zeit, aber als er das Wort "Ostern" hört, lächelt er kurz. Nein, eine Geschichte zu Ostern hat er nicht im Kopf, schließlich hat er gerade erst Ramadan hinter sich gebracht: "Aber klar, wir feiern mit. Einfach so." Warum sollte man auch einen Festtag ausfallen lassen: "Wir gehen alle einen trinken, nachts um halb eins, wenn das Restaurant dicht macht. Das ist auch etwas Besonderes. Aber meine Schwester feiert mit den Kindern, mit Eiern und allem drum und dran, die Kleinen lernen das im Kindergarten." Er will den Neffen fragen, der gerade zwischen den Tischen vorbeiflitzt. Doch der kleine Junge hat es zu eilig.
Geri Frasch, Vorstandsmitglied des Evangelischen Regionalverbandes, hat eine Geschichte parat: "Für mich hat Ostern ein emanzipatives Element: Die Frauen überbrachten die Osterbotschaft, dass Jesus auferstanden ist. Sie trauten sich an das leere Grab heran, hatten keine Angst hinzugehen. Maria, Maria-Magdalena, Johanna und die anderen verkündigten dies den Jüngern." Frasch resümiert: "Wieder einmal waren es die Frauen, die darauf schauten, dass alles seine Ordnung hat. Leider feiern wir dieses Fest nicht ganz so freudevoll und aus dem Inneren heraus, wie etwa in Andalusien, wir sind halt keine feurigen Spanier. Für mich ist Ostern das Fest der Hoffnung: Das Leben hört nicht mit dem Tod eines einzelnen auf." Verschieben die Christen ihre Heilserwartung auf das Leben nach dem Tod? Geri Frasch selbst jedenfalls nicht. Für das Leben vor dem Tod erklärt sie Heinrich Heine für zuständig - der Literat wollte bekanntlich "ein besseres Lied" dichten: "Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten ... Zuckererbsen für jedermann, sobald die Schoten platzen. Den Himmel überlassen wir den Engeln und den Spatzen." Ein Widerspruch? Schon, aber ein produktiver. Denn nach der Ostermesse geht Geri Frasch auf den Ostermarsch: "Ich trinke Wein und ich predige auch Wein."
Die Sozialarbeiterin Rosina Henning fällt aus allen Wolken: "Ach du liebe Zeit, Ostern? Hätten Sie mich jetzt nicht gefragt, wäre es mir völlig entfallen, dass es diese Feiertage überhaupt gibt. In der nächsten Zeit produziere ich die Zeitung La Muchacha, die sich an die rund 1.000 Prostituierten hier in Frankfurt wendet. Es hätte also durchaus sein können, dass ich Ostern plötzlich vor meinem leeren Kühlschrank stehe. Ich bin Atheistin, als christliches Fest ist mir Ostern egal. Außerdem fand ich es früher zwar immer schön, etwas zu finden, doch mochte ich weder Schokolade, noch harte Eier. Die Freude war eher abstrakt."
Rita und Klaus, zwei Drogenabhängige im Kontaktladen La Strada, haben ein spezielles Anliegen. "Für mich ist es zu Ostern und auch sonst wichtig, dass die Ausgrenzung von uns Fixern aufhört. Darüber sollten sich die sogenannten normalen Menschen vor allem an den Feiertagen einmal Gedanken machen. Mir geht es darum, dass wir entdämonisiert werden. Viele von uns sind hochintelligente Menschen und sehr friedfertig. Wenn wir oft unter Druck stehen - so ist es doch erzwungen, dass wir der Beschaffungskriminalität nachgehen. Ein Drittel meiner Bekannten in der Szene hätte gern Kontakt zu ihren Familien, aber es funktioniert nicht. Die heile Welt ist dahin und lässt sich zu besonderen Feiertagen nicht inszenieren." Klaus appelliert an Politiker und Mitarbeiter von den Drogeneinrichtungen: "Sie möchten uns doch bitte nicht bloß immer sanktionieren, sondern auch ermutigen. Am besten geht das mit Liberalisierung. Zum Beispiel haben wir hier im La Strada einen Fernsehraum seit Neuestem. Wider Erwarten ist der Fernseher nicht geklaut worden". Auch Rita möchte daran erinnern, dass es rein äußerliche Bedingungen sind, die solch ein stigmatisiertes Bild der Drogenabhängigen in der Öffentlichkeit schaffen: "Gestern habe ich wunderbare gelbe Osterglocken gesehen, dann fällt mir ein, dass ich gern in die schöne alte Zeit zurück würde. Heute stehe ich auf der Straße und voll im Überlebenskampf, deshalb fällt es mir schwer, über den Sinn dieses Festes nachzudenken. Gibt einer von uns einem anderen einen Druck aus, gilt dies unter uns als Ostergeschenk, als Zeichen der Zuneigung. Dabei würde ich auch gern mit anderen zusammen Eier färben, doch solche Ideen gehen unter. Dann denkt man wieder nur an das Eine: Wie komme ich an Stoff?" Die Osterbotschaft von Rita und Klaus: "Die Ansprache ist wichtig, dass uns überhaupt noch jemand fragt, was wir denken."
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