Keine Entschuldigungen mehr

Rassismus Die AfD ist tatsächlich in den Bundestag eingezogen. Deutschland wurde vom moralischen Ross herunter gestoßen – zu einer Normalisierung darf es aber nicht kommen

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„Empört Euch!“, hat Stéphane Hessel so prominent in die Welt hinausgerufen. Tut genau das
„Empört Euch!“, hat Stéphane Hessel so prominent in die Welt hinausgerufen. Tut genau das

Foto: Maja Hitij/Getty Images

Die Klage dagegen über die Abgehängten, die Verwirrten, die Protestwähler*innen, die nun nach der Wahl noch lauter schallen als zuvor, sind so falsch wie gefährlich. „Denn sie wussten nicht, was sie tun.“ Nein. Denn auch wenn ein/e AfD-Wähler*in diese braune Suppe angeblich „nicht aus Überzeugung“ gewählt hat, dann waren ihnen die Folgen ihrer Wahlentscheidung für Geflüchtete, für die LGBTQ-Community und für People of Colour doch herzlich egal. Und mehr noch: Selbst wenn einzelne den übelsten Auswüchsen ihrer Vertreter*innen gar nicht zustimmen oder solches gar nie auf dem Stammtisch äußern würden – Ehrenwort –, hielten sie doch entsprechendes Gerede für zumindest so harmlos und „normal“, dass es die Wahlbereitschaft nicht berührt hat. (Das lässt sich übrigens vorzüglich an den Kommentaren zur Frage „Warum haben Sie die AfD gewählt?“ in der Zeit studieren.)

Aber ich bin mal ehrlich: den meisten Wähler*innen der AfD unterstelle ich, dass sie das schon auch oft Ok fanden, was Gauland, Björn Höcke, Beatrix Storch, Frauke Petry & Co. da so von sich gegeben haben. Daher: Was nutzt uns diese Frage, „Haben Sie die AfD aus Überzeugung gewählt?“ Nichts, gar nix. Sie bietet nur denjenigen AfD-Wähler*innen, bei denen die linksversiffte Entnazifizierungsscheiße einen Hauch von Rückständen hinterlassen hat, eine Entschuldigung und anti-apokalyptischen Realitätsverweiger*innen die vage Hoffnung nichts unternehmen zu müssen, weil irgendwann irgendwie irgendwer diese Verwirrten schon den rechten Weg weisen wird.

Wenn nun darüber lamentiert wird, wie diese Gruppe zu Rettender als Wähler*innen zurückgewonnen werden kann, ahne ich schon, dass deren mehr als problematische Gedankengut einmal mehr einer der derzeit so beliebten wie oberflächlichen Angst-Analysen unterzogen wird, die mehr Verständnis für Fremdenhass aufbringt als sich tatsächlich fundiert den Ursachen und dem Thema „Abstiegsangst“ zu widmen. Den Verwirrten wird damit nicht der rechte Weg gewiesen und stattdessen deren Rechter Weg hofiert.

Ich kann es nicht mehr hören, wenn sogenannte Globalisierungsverlierer*innen zitiert werden, die, wie wir wissen, keine sind und Mitleid für Ängste aufgebracht werden soll, die einen sozioökonomisch nachvollziehbaren Kern hätten. Aber irrationale Ängste, die auf Unbeteiligte und Nicht-Verursacher*innen projiziert werden, gehören therapiert, nicht zur Realität geadelt. Übrigens: die Ängste von Menschen mit Migrationshintergrund etwa, die Haznain Kazim so pointiert formuliert hat, meint schließlich auch kaum jemand ernst nehmen zu müssen.

Nur übers Therapieren redet man nicht so gerne, da müsste man ja glatt noch irgendetwas grundlegendes ändern, nämlich das Aufspringen auf den populistischen Zug zu unterlassen oder gar Geld in die Hand nehmen – für die Bekämpfung von Armut und rechtem Gedankengut etwa. Schon klar, da stellt sich das nächste Problem: Antifaschismus ist ja dummerweise das Gleiche wie Fremdenfeindlichkeit oder Homosexuellen-Feindlichkeit, wie die Hufeisentheoretiker*innen behaupten.

Wenn mir noch einmal jemand erklärt, dass sei ja nicht so schlimm, nun hole Deutschland nur das auf, was in anderen europäischen Ländern längst politischer Alltag ist, dann Himmelarsch und Zwirn, was soll ich da noch argumentieren? Ich soll keine Panik schüren, weil der Rest von Europa ja auch schon längst so rassistisch unterwegs sei? Was für ein Argument ist das? Soll ich jetzt auch anfangen glauben, dass die ganze Welt „so links“ sei, dass ein wenig Gegenwehr zu den normalen Anpassungsprozessen gehört (wie übrigens auch im bereits oben verlinkten Beitrag argumentiert wird, dass es sich um kulturell Abgehängte handelt) und wir aufpassen müssen vor einer gesellschaftlichen Spaltung? Nicht nur, dass ich der These der allgemeinen Linkswende widersprechen möchte, ich möchte auch nicht akzeptieren, zu den Spalter*innen gezählt zu werden, wenn es die AfDler sind, die den gesellschaftlichen Konsens (der es ja nie in allen Kreisen war), dass eine Wiederholung dessen, was im Zweiten Weltkrieg in Deutschland passiert ist, unter allen Umständen zu verhindern ist, aufkündigen wollen. Und ganz ehrlich: Rassismus und Revisionismus und das Wort „völkisch“ dürfen gerne kulturell abgehängt bleiben. Dafür kämpfe ich ohne schlechtes Gewissen. Spaltung hin oder her. Dass das Argument der Spaltung Anfang des 20. Jahrhunderts übrigens ein beliebtes der Rechtskonservativen war, die sich nach nationaler Vereinigung sehnten und Hitlers Aufstieg den Weg bereitet haben, sei an dieser Stelle nur angemerkt. Es verdient einen eigenen Beitrag.

Nein, die Antwort kann nicht sein, diese Wähler*innen durch Verständnis für problematische Argumente zurückzugewinnen. Die AfD ist keine Partei wie jede andere. Man kann auch die AfD-Wähler*innen mit den Taten ihrer Partei nicht schocken, wie Heribert Prantl hofft (dazu gab es Gelegenheit genug, und wir sehen, wie gut das Schocken in den USA funktioniert). Wir müssen anerkennen, dass mehr rechtes Gedankengut zirkuliert, als sich manche/r eingeredet hat. Und dass dagegen etwas unternommen werden muss. Normalisierung aber ist das Gefährlichste, was uns passieren kann. Für die Medien mag das sicher eine große Herausforderung sein – nicht über jedes AfD-Stöckchen zu springen, aber dennoch eine angemessene Empörung für unsäglich Gesagtes aufzubringen –, für die Verfechter*innen einer kosmopolitischen Welt kann es nur bedeuten: „Empört Euch!“, hat Stéphane Hessel so prominent in die Welt hinausgerufen. Tut genau das. Engagiert Euch, Initiativen gibt es mehr als genug, mit Ansätzen so vielfältig wie die Welt, die wir uns wünschen. „Parties of the left must get radical“, und auch wir Individuen dürfen es uns nicht mehr bequem machen. Es muss sich auch nicht jede/r einen schwarzen Kapuzen-Pulli kaufen, versprochen. Stammtischkämpfer*in zu werden reicht vielleicht fürs Erste.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Giulia Montanari

Sozialgeografin, derzeit als Postdoc an der Universidad Nacional Autónoma de México mit Kartenanalysen beschäftigt.

Giulia Montanari

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