Das Ende der Welt, wie wir sie kannten

G7-Gipfel Dekarbonisierung ist das Zauberwort, mit dem sogar G7-Gegner versöhnlich gestimmt werden - was aber steckt hinter dem Begriff, und wie ernst ist die Lage wirklich?

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Das Ende der Welt, wie wir sie kannten

Farrshad Usyan/AFP/Getty Images

Nun haben die Vertreter der Industrienationen, von denen ein paar zumindest in der Vergangenheit zu den sieben größten gehörten, am 7. und 8. Juni 2015 Ziele verabschiedet, mit denen sie die Weichen für eine schönere und neuere Welt stellen wollen. Ziele freilich, keine Verpflichtungen,
Absichtserklärungen, keine rechtlich bindenden Beschlüsse, aber immerhin. Besser als nichts, wird sich der engagierte Umweltschützer denken, schließlich müssen wir die USA mit ins Boot holen, und auch China will man vor dem überfälligen Schritt nicht verprellen. Honi soit qui mal y pense ...

... und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort: Dekarbonisierung

"Wir wissen, dass wir im Laufe des Jahrhunderts eine Dekarbonisierung brauchen", so die Bundeskanzlerin Merkel zum Abschluss des G7-Gipfels Anfang Juni 2015 auf Schloss Elmau in Oberbayern.
Dekarbonisierung also ist das Zauberwort, mit dem sogar G7-Gegner versöhnlich gestimmt werden - wem es derart fürsorglich um die Zukunft unserer Erde zu tun ist, der kann nicht bösen Herzens sein! Was aber steckt hinter dem Begriff, und wie ernst ist die Lage?

Kohlenstoff scheint - vielleicht der schwarzen Farbe geschuldet, die so typisch für seine sedimentierte Form ist - mehr und mehr zum Buhmann unseres jungen 21. Jahrhunderts zu avancieren. Ebenso wie der Trend zur kohlenhydratarmen Ernährung geht, propagiert auch die Politik seit langen Jahren eine Abkehr von fossilen Brennstoffen, die allesamt seit noch sehr viel längeren Jahren aus Kohlenstoff-Molekülen gebildet haben. Stein- und Braunkohle, aber auch Öl und Erdgas sollen fortan aus der Weltwirtschaft verschwinden.
Dekarbonisierung bedeutet also die vollständige Abkehr von Kohle, Öl und Erdgas als Energieträger. Die Vorstellung dahinter ist heutzutage so en vogue, dass sie zu hinterfragen der Ketzerei gleichkäme: Wer dieser Tage noch die naive Frage stellt, ob der Mensch denn wirklich so einen großen Einfluss auf das Klima hat, wie angenommen, ob Klimawandel überhaupt rückgängig zu machen ist und wie groß der Schaden ist, der mit einer Umstellung auf andere Energielieferanten einhergeht - der wird sich beim gepflegten Gespräch unter "aufgeklärten" Menschen irgendwann nur noch durch Schreien bemerkbar machen können - wenn er nicht gar ganz verstummt. Und tatsächlich werden die Kritiker einer Theorie vom menschengemachten Klimawandel als fanatische Ketzer, profilneurotische Hobbywissenschaftler oder gleich als fremdfinanzierte Industrielakaien im weißen Kittel bezeichnet. Schon werden Forderungen laut, öffentliche Klimaleugnung unter Strafe zu stellen.

Überfällig: Wissen hinterfragen

"Wir wissen", sagt die Bundeskanzlerin über die vermeintlich so dringend benötigte Dekarbonisierung; dieses Wissen scheint sakrosankt. Und immer, wenn derart folgenreiche Entschlüsse auf dem Spiel stehen - Entschlüsse, die unser gesamten Zusammenleben, unseren Handel, unsere Produktion und die unserer Kinder und Kindeskinder gleich mit so gravierend beeinflussen - immer dann ist es geraten, dieses "Wissen", auf dem sich alle Entschlüsse gründen, zu hinterfragen.
Kohle also. Kohlendioxid, genauer gesagt, als Stoffwechselendprodukt unserer herkömmlichen Wirtschaft, ihm kommt die Rolle des Sündenbocks in der Diskussion um eine bessere Zukunft zu. Es wird seit geraumer Zeit als Klimagift bezeichnet, so von der EPA, der amerikanischen Umweltbehörde. Und wer kann schon gegen das Verbot eines Giftes sein? Dass der Nährstoff für Pflanzen und damit für alles Leben auf der Erde (!) aber plötzlich schädlich sein soll und verteufelt wird, kann schon nachdenklich stimmen. Schließlich, so die naive Vorstellung, müssten Pflanzen, und damit Tiere und Menschen, sich doch über erhöhte CO2-Werte in der Atmosphäre freuen - größeres Pflanzenwachstum, mehr Landwirtschaft, mehr Wälder. Die Idee liegt nicht fern, dass ein derart gewaltiges Ökosystem wie das der Erde schon dafür sorgen würde, dass mehr CO2 auch anständig absorbiert und ausgetauscht würde - in Zucker und Sauerstoff zum Beispiel, auch nicht gerade marginale Abfallprodukte im großen Kreislauf des Lebens.

Das süße Kohlendioxid als Klimagift?

Um den leicht esoterischen Ton beizubehalten sei der österreichische Physiker und Philosoph Fritjof Capra zitiert:

Indem sie das Wasser und die Mineralien von unten mit dem Sonnelicht und CO2 von oben vermischen, verbinden Grünnpfanzen die Erde und den Himmerl Wir glauben im allgemeinen, daß Pflanzen aus dem Boden wachsen, aber tatsöchlch stammt ihre Substanz zumgrößten Teil aus der Luft. Die Masser der Zellulose und der anderen durch Photosynthese erzeugten organischen Verbindungen besteht aus schweren Kohlenstoff- und Sauerstoffatomen, die die Pflanzen direkt aus der Luft in Form von CO2 beziehen.

Und genau dieses CO2 will man nun besteuern? Will man den Pflanzen, und damit den Menschen und Tieren die Grundlage ihrer Existenz entziehen? Sicher bedeutete das das Ende der Welt, wie wir sie kannten, und sicher würde das nicht nur für das ganz alltägliche Zusammenleben der Menschen große Änderungen mit sich bringen, sondern auch für ihren Handel, ihre Produktionsweisen und für den Fortschritt, den Gesellschaften machen können, um ihren Mitglieder materiellen Wohlstand zu ermöglichen - Wohlstand, den die Industrienationen bereits vor hundert Jahren mit einem erhöhten CO2-Ausstoß gemacht haben. Einem afrikanischen Staat Vorschriften hinsichtlich seines Ressourcenverbrauchs zu machen, käme Sanktionen gleich, die man über ihn verhängt, wenn er weiterhin in seinen eigenen Gewässern fischt, weil man selber vor langer Zeit seinen Hunger und seine Luxusbedürfnisse auf Kosten einer Überfischung der Weltmeere gestillt hat.
Eine konsequente Dekarbonisierung hieße dann irgendwann auch, über das ständige Ausatmen der Lebewesen nachzudenken - von denen es sowieso viel zu viele gibt, wenn man es unter CO2-Gesichtspunkten betrachtet. Das ist die Krux an jedem umweltethischen Argument: Mit weniger Menschen auf der Welt ließe sich die Natur sicher NOCH einfacher beschützen. Wer kann heutzutage noch bedenkenlos ausatmen, wenn er gleichzeitig die "Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden" (Hans Jonas) im Hinterkopf haben muss? Aber ich übertreibe ... die Besteuerung des Ausatmens ist doch sicher nur eine Dystopie, die nicht mal der Phantasie eines George Orwell entsprungen wäre - so weit werden sie doch wohl nicht gehen?

Mensch vs. Mutter Natur

Eine Zwei-Grad-Obergrenze soll nun das Ziel sein, die gleichen zwei Grad Celsius übrigens wie die schon beim G8-Gipfel 2009 in L’Aquila beschlossenen, gleichwohl enthusiastisch gefeiert. Wie sinnvoll ist diese Selbstkasteiung? Wie groß ist ihr Nutzen?

Dass der Mensch bei einer möglichen Erwärmung der Atmosphäre mitwirkt, bestreiten wenige. Aber deswegen muss es natürlich noch lange nicht richtig sein. Der Mensch wirkt schließlich überall irgendwie irgendwo mit. Die Frage muss lauten, ob man aus dieser Mitwirkung eine Floskel wie die vom "menschengemachten Klimawandel" basteln kann - eine Floskel, die die Rolle von Mutter Natur doch stark marginalisiert. Kann der Mensch das Klima, kann er die Natur stoppen? Dies scheint selbst bei einem Gelingen der neuen, nicht allzu neuen Klimaziele doch recht utopisch. Die Sonne musste nur ein klitzekleines bisschen aktiver sein, schon wäre all die kostbare Anstrengung dahin. Stellen wir uns doch einmal vor: Unter größten Mühen verzichten wir (und hier sind vor allem die Länder der Dritten Welt gemeint) auf Fortschritt und auf den notwendigen Wohlstand, nur damit uns die Sonne mit ihren Flecken einen Strich durch die Rechnung macht. Wäre ja nicht das erste Mal.
Klimawandel scheint, so zeigen alle Daten, etwas äußerst Natürliches zu sein. Alles Leben auf der Erde hat sich in ständiger Anpassung an einen Wandel vollzogen - der Ausdruck "Klimawandel stoppen" scheint doch eher einer typisch menschlichen Selbstüberschätzung zu entspringen.
Die Prognosen das Weltklimarats unterliegen dabei so großen Schwankungen, dass von dem Merkel'schen Wissen wahrlich nicht die Rede sein kann. Mal soll sich die Atmosphäre bis zum Jahr 2100 um 1,1, mal um 6,4° C erwärmen; mal steigt der Meeresspiegel um 18, mal um 59 cm - je nach Szenario, das man für die Zukunft der Menschheit für am wahrscheinlichsten hält. Für echtes Wissen beantwortet werden müssten erst so unwesentliche Fragen wie: Behält die Menschheit ihren bisherigen Umgang mit fossilen Energien bei? Ergänzt sie sie durch alternative oder ersetzt sie sie gänzlich? Ändern sich die Produktionsbedingungen anderweitig? Schrumpft die Menschheitsbevölkerung oder wächst sie?
Auch der Begriff "Klima" ist an sich schon problematisch: zum einen bezieht sich Klima in der Meteorologie gemeinhin auf einen geographisch eingrenzbaren Ort, zum anderen ist er ein statistischer Mittelwert von meist ca. 30 Jahren Wetter - Veränderungen im Klima lassen sich also erst aus langfristiger Rückschau feststellen und "Weltklima" ist ein umstrittenes Konzept.

Und hat nicht Wärme auch ihre Vorteile? Biodiversität zum Beispiel wird von warmen Klima begünstigt, und besonders kalte Landstriche wie Russland, Skandinavien, Kanada profitieren von größerer Wärme. Kälte bedeutet Missernten, Viehsterben, Hungersnöte, Epidemien Bevölkerungsrückgang, wie man aus der Rückschau auf die so genannte Kleine Eiszeit zwischen 1400 und 1900 weiß, als sich Europa um etwa 1° abkühlte. An Kälte sterben weitaus mehr Menschen als an Wärme. Auch der Bedarf an künstlicher Wärme sinkt bei steigender Temperatur. Wärmere Regionen bedeuten einen sinkenden Verbrauch an den für Heizungen benötigten Ressourcen Kohle, Öl und Gas sowie an Feuerholz. (Klimaanlagen könnten allerdings vermehrt benötigt werden - das aber erst später mit erhöhtem Wohlstand.)

First things first!

Vor allem skeptisch machen sollte die Behauptung von Dringlichkeiten, die mit dem vehement verteidigten und gefeierten Dekarbonisierungsziel einher geht. Wenn ein Thema die politische und mediale Agenda derart beherrscht, sollte immer auch gefragt werden, welche Themen zu seinen Gunsten in den Hintergrund rücken und ob diese Priorisierung gerechtfertigt ist.
Wenn ein Staat das Geld seiner Bürger für gute Zwecke ausgeben will, muss er sich stets fragen, welche Investition den größten Nutzen für die Bevölkerung haben wird. Er muss also Dringlichkeiten gegeneinander abwägen. Der dänische Statistikprofessor Björn Lomborg z. B. versucht, die Dinge in das Verhältnis zu setzen, das eine leicht erregbare Öffentlichkeit so gerne aus den Augen verliert: Während durch Unterernährung 4 Millionen, durch AIDS 3 Millionen und durch Luftverschmutzung 2,5 Millionen Menschen starben (Zahlen der WHO von 2000), sind die Opfer der Klimaerwärmung kaum zu zählen - weil hypothetisch, unsicher und prognostiziert.
Die Verpestung der Luft z. B. hingegen wird jeder, der schon einmal in Peking war, als weitaus bedrohlicher ansehen als ihre Erwärmung. Schwefeldioxid, Stickoxide, Rußpartikel, Kohlenwasserstoffe töten direkter als das ungiftige CO2. Smog und seine Konsequenzen (Krebs, Asthma, Herzkrankheiten …) ist für die Bewohner von Mexico-City ein dringenderes Problem. Auch die Vergiftung des Wassers und der Hunger, Themen, die auf dem G7-Treffen offenbar nicht angesprochen wurden und daher derzeit auch nicht so prominent in den Nachrichten auftauchen, sind größere und akutere Bedrohungen für die Mehrzahl der Menschen. Schmutziges Wasser tötet nach dem UNO-Umweltbericht von 2007 jährlich (!) 3 Millionen Menschen - sollte nicht auch in der Weltpolitik die Regel gelten: First things first?
In Lomborgs Liste folgt mithin die Besteuerung auf CO2 (also doch auf unser Ausatmen?) in ihrer Dringlichkeit erst auf Platz 12 solchen Punkten wie
- "Aids bekämpfen“ (Platz 1)
- „Fehlernährung bekämpfen“ (Platz 2) und
- „medizinische Betreuung erleichtern“ (Platz 10).
In seinem Buch "Das Kapitalismus-Komplott" fragt sich der deutsche Publizist Oliver Janich, was uns die Menschen des 17. Jahrhunderts wohl hinterlassen hätten, wenn sie uns etwas Gutes hätten tun wollen - und kommt auf die Antwort, es wäre wohl Kerzenwachs gewesen. Niemals hätte man sich im 17. Jahrhundert vorstellen können, dass die Lebenswelt der nicht allzu fernen Zukunft sich so extrem verändert haben würde, dass wir Nachkommen heutzutage über das Ahnengeschenk in Form großer Mengen Wachs nur mitleidig schmunzeln würden. Aber wir können vielleicht erahnen, dass unsere Urenkel über das Geschenk an übrig gelassenen fossilen Ressourcen ebenfalls schmunzeln würden, und über unseren hilflosen Versuch, die Natur zu stoppen, würden sie wohl lachen - vielleicht würde sich auch etwas Häme über unsere Naivität in ihr Mitleid mischen.
Was bedeutet es nun, wenn sich die Vertreter großer Industrienationen nicht mehr um das Dringliche kümmern und sich stattdessen Ziele stecken, deren Erreichung sie selber weder erleben noch einer kontrollieren können? Welchen Nutzen zieht die Politik aus der Verteuflung unserer Lebensgrundlage? Honi soit qui mal y pense ...
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Kaiser

Schriftsteller und freier Journalist, Köln

Gunnar Kaiser

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden