Eigentum verpflichtet ... nicht?

Libertarismus Der Libertarismus ist eine Theorie, die individuelle Freiheit und wirtschaftlichen Ausgleich miteinander verbinden will. Ein Gespräch mit Oliver Janich.

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Der Libertarismus ist im deutschen Sprachraum nicht allzu prominent. Bedeutende Vertreter wie Ludwig von Mises oder Friedrich August von Hayek werden - anders als im angelsächsischen Raum - wenig rezipiert, und wenn, dann werden ihre Auffassungen von Kritikern mit negativ konnotierten Schlagwörtern wie "entfesselte Märkte", "Raubtier-Kapitalismus" und "Neo-Liberalismus" verbunden. Dabei beschreibt der Libertarismus (oder Spielarten wie Anarcho-Kapitalismus, Voluntarismus etc.) sich selbst als eine Theorie, die individuelle Freiheit und wirtschaftliche Ausgeglichenheit zwanglos miteinander verbindet.
Grundprämisse ist dabei die Vorstellung vom Selbsteigentum, d. h. des moralischen Rechts eines Menschen auf das Eigentum am eigenen Körper. Was ein Individuum in der Natur finde, sei ebenfalls sein Eigentum, solange es nicht bereits jemandem gehört. Was das Individuum mit diesem Stück Natur und seiner Hände Arbeit produziert, sei weiteres Eigentum, das wiederum nur durch freien Tausch auf einen anderen übergehen könne. Das Leben und das Eigentum des Individuums zu schützen, sei einzige Aufgabe des Staates; Abgaben an den Staat, die die innere und äußere Sicherheit ermöglichen, seien daher die einzigen gerechtfertigten Abgaben. Alle Steuern, die der Staat darüber hinaus erhebe (z. B. zur Sicherung von Sozialsystemen), seien als Zwangsabgaben unmoralisch und werden als Raub bewertet.
Hauptargument der Libertären ist die Vorstellung, dass das momentan vorherrschende Wirtschaftssystem (von ihnen Korporatismus genannt) die großen wirtschaftlichen Ungleichheiten unter den Menschen erst ermögliche bzw. perpetuiere. Der Korporatismus unterscheide sich vom eigentlichen Kapitalismus darin, dass in ihm eine enge Verquickung von Politik und Unternehmen zu finden sei - der Staat ermögliche es den Unternehmen mithilfe seines Gewalt- und Geldmonopols erst, ihre Vorteile auf breiter Ebene - bis hin zum Monopol - auszubauen. Z. B. durch Lobbyismus, vor allem aber durch das vom Staat aufgezwungene Geldsystem gelinge es Einzelnen, große Macht an sich zu reißen. Die z. B. von Hans-Hermann Hoppe befürwortete Privatrechtsgesellschaft hingegen verhindere übergroße Machtanhäufung aufgrund des freien Wettbewerbs.
Der Journalist und Buchautor Oliver Janich ("Die Vereinigten Staaten von Europa","Der Kapitalismus-Komplott") beantwortet im Folgenden sechs Fragen bezüglich Thesen und Problemen des Libertarismus.
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Aus dem Recht am eigenen Körper folgt für den Libertarismus das Recht auf Eigentum als dem Recht auf das, was mit dem eigenen Körper gefunden, bearbeitet und hergestellt wird. Begründet wird dies mit der Gegenfrage: Wem soll das Produkt der Aneignung durch Arbeit sonst gehören? Liegt darin nicht eine falsche Dichotomie - entweder mir oder einem anderen? Wieso kann etwas nicht allen oder auch keinem gehören? Schließlich ist man selber mit all seinen Fähigkeiten auch in einer freien Marktwirtschaft zu einem gewissen Teil ein Produkt der Gesellschaft - z. B. durch Erziehung, Bildung, Teilhabe etc. Wäre es dann nicht nur gerecht, wenn das Ergebnis auch der Gesellschaft zu einem gewissen Teil zugute käme? Und beruht nicht beinahe jede Arbeit auf der Verwendung von Ressourcen, die als Gemeinbesitz angesehen werden müssten - demnach auch das Produkt dieser Arbeit?
Oliver Janich (OJ): Ganz im Gegenteil, der Anarchismus ist vollkommen widerspruchsfrei. 1. Wenn niemandem etwas gehört, kann auch niemand darüber verfügen. 2. Wenn allen alles gehört, käme es ja andauernd zu Konflikten. Wer entscheidet denn, wer was benutzen kann, wenn alles allen gehört? Es müsste ja bei jeder Handlung darüber abgestimmt werden, ob sie zulässig ist. Und selbst wenn man das täte, würde ja eine Mehrheit denklogisch eine Minderheit unterdrücken. Das Wesen der Marktwirtschaft ist ja gerade, dass alle davon profitieren. Wenn jemand etwas erfindet, kommt der technische Fortschritt jedem zugute, der davon profitieren will, indem er sich das Produkt kauft. Jeder Arbeiter, der am Produktionsprozess beteiligt ist, profitiert durch den Lohn, der ja eine fixe Beteiligung an dem erzeugten Mehrwert darstellt. Es steht auch jedem frei, selbst Unternehmer zu werden oder eine Gewinnbeteiligung auszuhandeln. Darüber hinaus gäbe es ohne Staat keine Patente, so dass ohnehin jeder die neuen Ideen nutzen kann.
Eigentum ist ja kein natürlicher Gegenstand, sondern ein Verhältnis zwischen Menschen. Sobald ich etwas besitze, bin ich berechtigt, andere vom Zugang dazu auszuschließen. Ergibt sich auf diese Weise in einer Privatrechtsgesellschaft nicht notwendigerweise ein ungleiches Machtverhältnis? Diejenigen, die geschickter und / oder glücklicher sind, sich etwas anzueignen, erhalten ein Übergewicht an Macht und infolgedessen ein Übergewicht an Produktionsmitteln. Wer mehr Grund und Boden, Verkehrswege, Maschinen, Nahrungsmittel, Wissen etc. an sich gerissen hat und die anderen legal davon ausschließen darf, wird in einer freien Marktwirtschaft Vorteile haben (und durch Investitionen in Rationalisierung fortschreiben), mit denen er jegliche Konkurrenz ausschalten kann - bis hin zum Monopol.
Führt daher das Recht auf Eigentum in Verbindung mit freier Konkurrenz nicht zu immer größerer Akkumulation von Macht?
OJ: Auch hier ist das exakte Gegenteil der Fall. Wenn es so wäre, wie Sie unterstellen, gäbe es ja schon längst nur noch ein Unternehmen auf der ganzen Welt, das alle anderen aufgekauft hat und so aufgrund der Stückzahlen konkurrenzlos billig produzieren könnte. Es gab aber noch nie ein dauerhaftes privates Monopol in der gesamtem Geschichte der Menschheit und wird nie eines geben. Ganz einfach aufgrund des Wettbewerbs. Sehen Sie sich nur die ganzen Marktführer an, die ihre Position verloren haben: Nokia, IBM, MySpace, Yahoo, um nur einige zu nennen. Ein Unternehmen behält seinen Vorsprung nur, wenn es die beste Leistungen anbietet, und dann ist es ja auch wunderbar, wenn dieses Unternehmen Marktführer bleibt. Entscheidend ist: Ein Unternehmen kann niemanden zwingen, seine Waren zu kaufen, der Staat schon. Deshalb verlangt er für seine "Dienste" inzwischen auch 70% des Einkommens, während er für die Sicherheit der Bürger nur 100 Euro im Monat ausgibt.
Die Grundannahme des Libertarismus lautet, der freie Markt regele alles über die Mechanik von Angebot und Nachfrage sowie mithilfe der unsichtbaren Hand. Die Bedürfnisse der Menschen würden am besten erfüllt, wenn freie Unternehmer im Wettbewerb ihren Profit anstreben können: nützliche Angebote werden vom Kunden angenommen und die Anbieter belohnt, weniger nützliche werden vom Markt verschwinden. Was entgegnen Sie dem Einwand, es gehe in der freien Marktwirtschaft immer nur um zahlungsfähige Nachfrage, nicht um wirkliche Bedürfnisse der Menschen selbst? Was produziert wird, ob überhaupt, für wen, unter welchen Umständen, entscheide allein das Kriterium der Verkaufbarkeit auf dem Markt, also der Tauschwert eines Produkts, nicht sein tatsächlicher Nutzen. Führt das nicht dazu, dass Bedürfnisse, für deren Befriedigung nicht bezahlt werden kann, in einer Privatrechtsgesellschaft eben nicht befriedigt werden?
OJ: Welche Bedürfnisse meinen Sie? Selbstverständlich muss irgendjemand für die Befriedigung von Bedürfnissen zahlen. Arbeiten Sie gerne umsonst? Arbeitet der Handwerker gerne umsonst? Irgendjemand muss es bezahlen. Wenn Sie es nicht als Kunde bezahlen, muss es ein anderer tun. Das ist Raub und daher für jedes Kleinkind ersichtlich unmoralisch. Abgesehen davon kann sich in einer freien Marktwirtschaft jeder das Notwendige leisten, weil es keine Arbeitslosigkeit gäbe, der Wohlstand viel höher und die Preise viel niedriger wären, weil es keine Abgaben und keine Inflation, sondern sinkende Preise gäbe. Allerdings wird sich nicht jeder einen Ferrari leisten können. Es gibt allerdings auch kein Menschenrecht auf Ferraris.
Schade. Entsteht in einer Situation andauernder freier Konkurrenz für die Mitglieder der Gesellschaft nicht ein immer belastender werdender Anpassungsdruck? Wird dies nicht noch mehr als jetzt dazu führen, dass sich die Menschen immer mehr selbst ausbeuten müssen, um konkurrenzfähig zu bleiben - angefangen bei der pränatalen und frühkindlichen Bildung, über Leistungsstress in Ausbildung und Beruf zur Rationalisierung menschlicher Beziehungen, dem Primat reinen Nützlichkeitsdenkens - bis hin zu Depression und Burn-out?
OJ: Ihre Fragen sind interessant, weil sie jeden Umstand in ihr Gegenteil verkehren. Dies ist übrigens der Zweck der staatlichen Bildung. Aber zur Frage: Der Staat zieht über alle Steuern und Abgaben 70% des Einkommens ab. Das heißt, Sie arbeiten zwei Drittel des Jahres für den Staat. Das erzeugt natürlich einen ganz erheblichen Druck. Der Aufschlag auf Arbeit beträgt also bereits 200%. Dadurch sinkt natürlich die Nachfrage nach Arbeit. Mehr Menschen werden arbeitslos, die unterstützt werden müssen. Diese Unterstützung wird wiederum auf die arbeitende Bevölkerung aufgeschlagen, wodurch sich die Arbeit wieder verteuert. Diese Interventionspirale führt in den Sozialismus, weshalb im Kommunistischen Manifest eine progressive Einkommenssteuer gefordert wird. Ebenso wird dort ein staatliches Geldmonopol gefordert, was auch umgesetzt wurde. Die durch das staatlich installierte Geldmonopol erzeugte Inflation führt dazu, dass sich die Menschen immer weniger leisten können, statt immer mehr. Seit Gründung der Bundesbank haben D-Mark und Euro 90% ihres Wertes verloren. Die Produktivität hat sich seitdem aber versechsfacht. Wir müssten uns also alle längst das Sechsfache leisten können oder entsprechend weniger arbeiten. Weniger als zehn Stunden würden locker ausreichen um denselben Lebensstandard zu haben wie zur Gründung der Bundesbank. Aber heute reicht oft der Verdienst eines Menschen nicht mehr aus, um seine Familie zu ernähren. Daher kommt der Druck. Der Staat erzeugt ihn und lehrt gleichzeitig an den Schulen und Universitäten, daran wäre der Markt schuld und nicht er selbst. Die Kommunisten haben dies alles übrigens erkannt, weshalb Ludwig von Mises, einer der wichtigsten Vertreter der Österreichischen Schule der Ökonomie, dort als Hauptfeind gilt. Schon Lenin hat die Parole ausgegeben, die Bürger müssten zwischen Steuern und Inflation zerrieben werden um reif für den Sozialismus zu sein. Dass dieser nicht funktioniert, habe ich in der ersten Antwort erläutert.


Friedrich August von Hayek vergleicht die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit mit der Beschwerde eines Monopoly-Spielers über den für ihn nachteiligen Verlauf des Spiels. Die Natur und das Schicksal seien eben nicht gerecht und daher sei es widersinnig, auf Ausgleich durch die anderen Teilnehmer zu pochen.
Ist die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit tatsächlich eine Illusion oder unterscheidet sich die menschliche Gesellschaft nicht gerade durch eine moralische Pflicht zur Solidarität den Benachteiligten gegenüber (und ein Recht auf Ausgleich) von der unmenschlichen Natur?
OJ: Auch hier hat der Staat durch die Anwendung von Neusprech die Angelegenheit in ihr Gegenteil verkehrt. Solidarität muss denklogisch freiwillig sein, sonst wäre es ja nicht solidarisch. In einer Privatrechtsgesellschaft könnten Sie sich ja gegen alle Risiken privat absichern. Früher haben beispielsweise die Gewerkschaften Sozialversicherungen angeboten, bis sie Bismarck entmachtet hat. Er hat ja im Nachhinein zugegeben, dass er das nur tat, um die Bürger glauben zu machen, der Staat interessiere sich für ihre sozialen Belange. Dabei ging es nur um Macht. Wer aus irgendeinem Grund vergessen hat, sich zu versichern, um den kümmern sich in einer Privatrechtsgesellschaft wohltätige Organisationen wie die Kirchen. Es ist ja viel mehr Geld da. Diese Organisationen würden im Geld schwimmen. Aber nochmal: Jeder findet in einer wirklich freien Marktwirtschaft einen Arbeitsplatz, und er muss ohne Stress nur einen Bruchteil soviel arbeiten wie heute, wie ich oben erklärt habe. Gegen Krankheit kann man sich gegen einen Bruchteil des heutigen Betrages versichern, weil ja auch unser Gesundheitssystem planwirtschaftlich und damit extrem ineffizient ist. Wie Planwirtschaft funktioniert, haben wir in der DDR gesehen. Wir haben ein Trabbi-Gesundheitssystem, eine Trabbi-Bildung. Trabbi-Geld und Trabbi-Sicherheit.
In der Kritik am Libertarismus gibt es das Argument, seine Anhänger widersprächen sich selbst, wenn sie einerseits behaupten, ein wirklich freier Markt habe bisher immer funktioniert und alles am effizientesten geregelt, andererseits aber konzedieren, es habe in der Geschichte nie einen wirklich freien Markt gegeben.


OJ: Es gibt keinen Libertären, der so etwas behauptet. Es gibt nur Demagogen, die behaupten Libertäre würden das behaupten. Überall gibt es Märkte und überall funktionieren sie. Der Markt ist ja nur der Platz, an dem Angebot und Nachfrage zusammenfinden. Jede freiwillige Vereinbarung zwischen zwei Menschen findet auf dem Markt statt. Das kann gar nicht nicht funktionieren. Denn die Vereinbarung kommt ja nur zustande, wenn beide etwas davon haben. Was Libertäre sagen, ist, dass der Markt dann nicht mehr so gut funktioniert, wenn der Staat eingreift oder den Markt gar ganz verbietet. Beispiel Drogenmarkt: Obwohl er verboten ist, funktioniert er. Aber durch das Verbot ergeben sich eine Reihe von Problemen. Da der Markt illegal ist, sind die Preise viel höher, weil der Anbieter ein hohes Risiko eingeht. Um seinen Profit zu steigern, panscht er die Drogen mit allerlei ungesundem Zeug. Der Kunde kann aber nicht klagen, weil er ja an einem Verbrechen beteiligt ist. Dadurch sterben Menschen, werden schneller abhängig, entsteht Beschaffungskriminalität und so weiter. Man kann also den Markt nie ganz ausschalten, selbst in der DDR gab es einen Schwarzmarkt. Aber die Eingriffe des Staates, die Drohung mit Gewalt, führt dazu, dass immer mehr Probleme entstehen. Und dann besitzen vom Staat ausgebildete Intellektuelle die Dreistigkeit, die Probleme auf den Markt zu schieben, statt korrekterweise auf die Eingriffe des Staates. Ein perfides, teuflisches System, das auf die Unwissenheit der Bevölkerung setzt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Gunnar Kaiser

Schriftsteller und freier Journalist, Köln

Gunnar Kaiser

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