Auch wieder so ein elendig trauriger Film – von dem alle schreiben, er wäre ja so komisch. Natürlich Coen-Brothers-komisch, also hip-komisch, cool-komisch, aber doch komisch. Und das Publikum kennt seine Coens, hat das alles gelesen und will standesgemäß lachen. Und es lacht – zunächst. Doch dann wird es allmählich stiller im Kino.
Mir war eher zum Heulen. So wie damals, bei meinem letzten Besuch im Kino International, irgendwann in der Mitte meines bisherigen Lebens. https://lh6.googleusercontent.com/-na1p36fDvps/UsRAOwJeAQI/AAAAAAAADr4/KEehkdx65Eg/s400/Geh%2526sieh_DDR-Plakat.jpgDer Film hieß Geh und sieh, Regie Elem Klimov, UdSSR 1985. Dieser Film hatte mir gezeigt, was mir vorher immer nur gesagt worden war: Es gibt keine Monster auf der Welt, alles Schreckliche, Grausame wird von ganz normalen Menschen angerichtet! Von solchen Blondschöpfen in Landseruniformen auf alten Opel-Lkws, die meine Kneipenkumpels hätten sein können. Das hat mich umgehauen. Die Frau neben mir war recht, naja, erstaunt, als sie meine hervorstürzenden Tränen erblickte, da draußen vor dem Kino, im spätabendlichen Großstadtlichtgeblitze, zwischen den Vitrinen aus eloxierten Aluminiumprofilen mit den Filmplakaten, die da heute noch stehen (Denkmalschutz). Es waren gewissermaßen kathartische Tränen, eine spannungslösende Affektabfuhr. Immerhin hat sie mich geistesgegenwärtig umarmt. Jetzt ist es nur ein tiefes Durchatmen, da draußen vor dem Kino, unter der gleißenden Leuchtschrift des Konzertcafes Moskau.
Was zeigte mir Inside Llewyn Davis? „Man hat hinterher nicht die leiseste Ahnung, wie einem geschehen ist“, schrieb ein Rezensent. Darauf will ich mich jetzt mal hinausreden. Nur soviel: Die Songs im Film werden von Anfang bis Ende performt, das gibt’s in keinem Musiker-Biopic sonst! Aber diese Stellen sind die eigentlich traurigen. Unser unerhört talentierter Llewyn muss andauernd vorsingen, fürs Brot auf der Bühne oder beim Impresario, fürs Gewissen beim dementen Vater und dann noch vor diesen linksintellektuellen akademischen Mäzenen-Typen, die ihn als lebenden Beweis für ihre Kulturgesinnung brauchen. Aber die Songs sind so schön, so bitter, so traurig. Das Alltagsleben des Llewyn Davis ist banal, nervig, langweilig. Seine Aussichten sind banal, nervig, langweilig. Manche finden das dann komisch.
Diesmal ist Greta bei mir. Das tiefe Durchatmen hat sie nicht bemerkt oder diskret übersehen. Lachen konnte sie auch nicht. Ihr Alltag ist banal, nervig, langweilig. Dabei hat auch sie mal eine CD mit eigenen Songs rausgebracht, ein paar andere Alben mit Instrumentalarrangements und Backgroundstimme verfeinert. But „I don't see a lot of money here“, wie der Manager Bud Grossmann aus dem Film dazu sagen würde. Also umarme ich sie geistesgegenwärtig.
Wir nehmen ein paar Züge von der Karl-Marx-Allee-Abendluft und gehen wieder rein. Nächste Vorstellung: Jim Jarmusch. https://lh3.googleusercontent.com/-cG7lfQBo0KY/UsSrnBeu01I/AAAAAAAADtI/5ff2TeJHAgE/s640/P1140723%2520Kopie.JPGKontrastprogramm? Zufallsauswahl? Nein, das Thema ist Popkulturgeschichte. In beiden Filmen spielt die gleiche (die selbe?!?) uralte akustische Gibson eine Hauptnebenrolle. In Geh und sieh allerdings wird es keine Gibson gegeben haben, höchstens eine Balalaika, weiß ich aber nicht mehr.
Only Lovers Left Alive, der Titel kommt wohl daher, dass im Film Solo-Opfer leergesaugt, Liebespaare aber „nur“ transformiert werden, was ja bekanntlich das Weiterleben als Vampir gestattet. https://lh3.googleusercontent.com/-wLKtOA4iM10/UsRQmqqcgcI/AAAAAAAADso/-4-EFT-AIts/s800/P1140760.JPGNach den Gesetzen der natürlichen Zuchtwahl wird also eines Tages die Population der Vampire tendenziell nur noch aus liebesfähigen, empathischen, teilnahmsvollen, mitfühlenden, kameradschaftlichen Individuen, die der Menschen dagegen aus egozentrischen, selbstverliebten, launischen, konfliktscheuen, beziehungsunfähigen, Sex als Dienstleistung oder als nüchtern verabredetes Gelegenheitserlebnis genießenden Exemplaren besteht. Vielleicht ist das ja der popmärchenhafte Heilsplan des Jim Jarmusch – alle Guten retten sich ins Vampirdasein? Oder eine Art Sarkasmus, wie er ihn seiner Hauptfigur Adam in den Mund legt, der die Menschen Zombies nennt.
Der Film ist sehr stylisch, sehr selbstreferenziell, vollgestopft mit den Steckenpferden des Filmemachers. Alte Autos, alte Gitarren, alte Schallplatten, alte Bücher, alte Elektrotechnik, malerische Industriekulturruinen, verwinkelte Kasbah-Gassen, die Christopher-Marlowe-Verschwörungstheorie, Percy Shelley & Lord Byron.
https://lh4.googleusercontent.com/-qWsMLLsJHtw/UsRQrot1NLI/AAAAAAAADsw/creZV_zFmR8/s800/P1140762.JPG
Wir werden wie Touristen an Jack Whites Geburtshaus vorbeigefahren, bekommen nochmal (wie schon in Coffee & Cigarettes) die Bedeutung des Nikola Tesla erklärt und einen Vortrag über das zum Parkhaus herabgesunkene Michigan-Theatre gehalten. Beinahe werden wir noch ins Detroiter Motown-Museum geführt, aber Tilda-Eve verhindert das mit der Bemerkung, sie stünde mehr auf Stax. Es groovt dann aber nicht so richtig, als sie zu Denise LaSalle tanzt. Man denkt an diese Episode aus den späten Sechzigern, als sich Blues-Fan Mick Jagger von Tina Turner die schwarzen Körper-Moves beibringen lassen wollte.
Prima Soundtrack. Aber vielleicht würde der ganze Film mehr Sinn haben, wenn er nicht ein Film mit Soundtrack, sondern der Video-Clip zu einem geilen Electric-Blues-Psychedelic-Oriental-Pop-New-Motown-And-A-Little-Bit-Gothic-Album wäre!?! Dann müsste allerdings den Christopher-Marlowe-Vampir nicht John Hurt, sondern Robert Plant spielen, der hat schließlich auch einen Kinnbart und ist in der Kasbah zu Hause.
Hab ich das jetzt alles laut gedacht? Greta lacht jedenfalls amüsiert. Sie nimmt mich natürlich nicht ernst. Ihr hats gefallen. Mir ja auch. Es war dunkel und wir waren beisammen. Okay, nicht nur deshalb, man hat ja teils ähnliche Steckenpferde.
Abschied am Eingang U-Bahn Schillingstraße. Noch ein kurzer Mantelkontakt im Stehen. Mehr ist nicht drin - zwischen diesen Familienfeiertagen. Sie verschwindet treppab Streifen für Streifen im Berliner Untergrund.
Ich beschließe, zum Hauptbahnhof zu laufen.
Dies ist eine Art Teaser.
Demnächst mehr aus dem Kino International.
Kommentare 21
Ich habe "Geh und sieh" seinerzeit im "Kosmos" gesehen - ein atemberaubender Film, auch heute noch (ich schaue in mir hin und wieder an; aber nicht im "Kosmos"; von Ales Adamowitsch, dem Drehbuch-Co-Autor, gab es damals auch ein sehr verstörendes Buch zum Thema: "Henkersknechte - Das Glück des Messers oder Lebensbeschreibungen von Hyperboreern").
Den Rest habe ich -hechel-hechel/keine Zeit/keine Muße- nur erst einmal überflogen. Wenn ich es irgendwie schaffe, wollte ich sowieso Inside Llewyn Davis ansehen. Und Jack White habe ich auch noch irgendwie aufgeschnappt...
Danke, lieber goedzak, büs glaiesch/späta.
lg-mcmac
https://www.youtube.com/embed/CcKX0L2xIX4
Goed, beter, goedzak!
Danke, genießend gelesen!
Mir fällt beim Lesen deiner Blogs oft Kafkas "ungeheure Welt ein, die ich im Kopf habe" - danke, dass du uns hie und da etwas hinschüttest. Gruß! A.
Sehr gern gelesen! Grüße Doris
endlich schnell
durchgelesen
immer langsamer
geworden
tief durch
geatmet
danke
Was den Film der Coen-Brüder angeht: Ja, traurig war er, auch das Banale kommt zu seinem Recht, aber nicht das Komische.
Komisch war nur, dass mein Hauptgedanke nach Filmende war: Ach deshalb hat er die Dresche bekommen.
Sehr schöner Artikel.
Chillax! :-) (hat mir mein Kind beigebracht...)
Hat das Lesen eine chillaxende Wirkung gehabt? Schön!
Danke für den Filmausschnitt (kann man komischerwiese nicht hier, nur bei YT angucken)! Und atemberaubend ist das richtige Wort.
Das Banale und das Schöne vertragen sich hier wie oft nicht, das ist das Traurige. Komisch ist in gewisser Weise die Dramaturgie und sind ein, zwei Figuren, eventuell.
Danke Dir!
Freut mich! Viel Spaß weiterhin beim Hamburg zu Fuß besichtigen und dem darauf folgenden Mitteilen Deiner Beobachtungen! :-)
Ich glaube, dass das Lachpublikum in einem Dilemma ist. Die wollen lachen, aber es gibt keine komische Konfliktlage, keine komische Unverhältnismäßigkeit, nix dergleichen. Eher ist das ganze tragisch: der zu früh gekommene Held. Das wird auch bestärkt durch die kurze Dylan-Szene.
Liebe Amanda!!! Das Bild mit dem "hie und da hinschütten", naja... :-) Ich steh voller Bewunderung, Staunen und Sympathie hier vor manchem Beitrag voller Welt, Witz (!!!) und sogar Weisheit gelegentlich von dieser und jenem! Da fühle ich mich nicht so, als könnte ich von oben herab da was hinzuschütten. Aber was eigenes sollte es schon sein, sonst ist es überflüssig.
Mir geht gerade der Gedanke durch den Kopf, wie es gewesen wäre, wenn wir die Adventbüchertexte anonym von Calvani hätten einstellen lassen. Deine z.B. hätte ich sofort erkannt! Und so soll es sein... :-)
Wenns Genuss ist, muss es linker Boulevard gewesen sein! ;-)
Danke, besonders für die Verfilmung des Schlusses! :-)
Du wirst lachen, aber bei dem letzten Satz hab ich tatsächlich gedacht, das klingt wie Koslowski, hoffentlich denkt er nicht, du willst ihn nachahmen...
Schütten muss man nicht von oben. (Satz für 2014)
Aber mal genau so soll es sein!
Gruß!
Schütten von unten? Da fallen mir doch gleich wieder die Coens ein: die Flugasche in Big Lebowski... :-)
https://www.youtube.com/embed/u44D3qKKGPU
Diesmal waren der Hauptaufwand die 4 1/2 Stunden am Stück im Kino.
Auch Dir ein schönes 14er! :-)
Die Tastatur leidet nicht an manueller, sondern an oraler Überbeanspruchung?!
Auch sehr gern gelesen.
Und - weil ich cineastisch ziemlich unterbelichtet bin - sehr informativ und hilfreich. Ich erinnere mich noch an die Debatte um Elem Klimovs Film. Aber ich habe nur einen Ausschnitt gesehen. So fürchterlich und so wahr. Die Debatte danach ist mir auch noch in Erinnerung. Das ist der Teil, den mcmac hier verlinkt hat.
Gruß
Herrgott und wieder die Hälfte lückenhaft. Die Debatte um diese "Herodes"-Idee. Einen Säugling erschießen, meinte ich. Das sind so Fragen.
Anders als mcmac habe ich den Film seit damals nichtr wieder gesehen. Es gibt ihn, wie ich feststellen durfte, in der Videothek meines Vertrauens. Ich schätze, ich werde ihn nun nach den vielen Jahren mit neuen Augen sehen. Das "Herodes-Motiv" z.B. scheint mir damals gar nicht aufgefallen, bewusst geworden zu sein.