In einer halleschen Buchhandlung vor der Krimi-Regal-Flucht. Ich zeige auf einen Band von Arne Dahl aus Schweden, der mit Zorn betitelt ist, und sage zu dem Buchhändler, der neben mir mit Umstapeln beschäftigt ist: Zorn ist wohl gerade Mode als Krimititel?
Ja, aber der da ist lange nicht so gut wie unser Zorn! grient er mich lokalstolz an.
Unser Zorn!
Unser Zorn weckt meinen Zorn.
Unser Zorn ist Claudius Zorn, ein Kriminalkommissar bei der halleschen Kripo, ewig faul, missgelaunt, mäßig intelligent, dessen Arbeitszeit hauptsächlich aus Rauchpausen besteht. Zorn trägt einen Klebezettel an der Stirn, auf dem steht in Großbuchstaben: Charakterkopf!
Der neue Zorn ist der alte Zorn in der vierten Ausfertigung und heißt Wie sie töten.
Der Autor ist Stephan Ludwig, der es inzwischen zum „Thriller-Star“ gebracht hat, meint jedenfalls die „Mitteldeutsche“, die sich „Zeitung“ nennt.
Er schreibt schon am fünften Teil, flüstert die Kassiererin. Jetzt weiß ich zuviel und kriege es mit der Angst zu tun.
Er! Fünfter Teil! Vielleicht kommt der ja auch noch ins Weihnachtsgeschäft? Nur das mit der Verfilmung wird wohl nicht zu schaffen sein. Das heißt, wenn man parallel drehen würde...? Dann müsste der Schnittmeister aber höllisch aufpassen, dass keine Szenen aus dem einen in den anderen Teil geraten. Naja, und wenn. Merkt wahrscheinlich kein Schwein. Wie soll man auch Bücher mit Titeln wie „Wo kein Licht“ und „Wie sie töten“ auseinanderhalten?
Der fünfte Band wird übrigens „Wenn sie bluten“ heißen (falls ich meiner Quelle trauen kann). Das Lektorat wollte erst „Was kein Scherz“, aber das Marketing war dagegen. Die neue Ernsthaftigkeit ist angesagt. Ironie war gestern.
Doch zurück zum vierten Zorn.
Eine öde S-Bahn-Station, nasskaltes Wetter, Dunkelheit, nur zwei Menschen am Gleis - eine junge Frau und in der Nähe ein Mann. Der S-Bahn-Zug nähert sich. Es ist ein Thriller, also wird gleich was passieren. Der Autor denkt, dass wir denken, dass der große fremde Mann mit dem hochgeschlagenen Mantelkragen gleich die arme junge Frau vor den Zug stoßen wird. Aber wir, die mit dem Drachenblut der Popkulturindustrie getauften Multimedia-Natives, wissen allerspätestens als der Zug in den Bahnhof einfährt, dass es ganz anders, also genau umgekehrt kommen wird, kommen muss. Tatsächlich: "Berit Steinherz ist eine Serienmörderin." Überraschung! Und da das "Böse" ja heutzutage "banal" sein muss, "mochte (sie) Rotwein, Paprikachips und deutsche Krimis".
Ich bin zwar auch banal, aber kein Serienmörder und mag keine deutschen Krimis. Stephan Ludwig ist ebenfalls banal, kein Serienmörder und mag anscheinend auch keine deutschen Krimis. Ein deutscher Autor zu sein, in deutscher Sprache zu schreiben und bei deutschen Verlagen zu veröffentlichen, dachte er wohl, muss ja nicht zwangsläufig bedeuten, "deutsch" zu schreiben. Also hat er sich die größte Mühe gegeben, das Beste aus Amerika, England, Schottland, Frankreich, Schweden und Norwegen zu vereinen, um ganz unbedingt einen ganz und gar undeutschen Krimi zu fabrizieren. Es gibt Leute, die würden das "typisch deutsch" nennen.
Mir ist die nationale Verortung ja herzlich egal. Meine Aversion kommt nicht davon, dass die deutschen Krimis deutsch, sondern daher, dass sie im Durchschnitt brav und bemüht sind. Da haben wir Deutschen nun so einen unbraven, bösen Philosophen wie Karl-Heinz "Schade, dass ich nicht Bormann heiße, da würde ich noch dämonischer rüberkommen!" Bohrer, der der Meinung ist, dass gute Literatur nicht nur das Böse darstellen, sondern selbst durch und durch böse sein muss. Da haben wir also diese tolle, originelle, coole "Ästhetik des Schreckens", um die uns die halbe Welt, also der Teil, in dem die konservative Revolution auf dem Vormarsch ist, beneidet, und was kommt raus? So ein holzschnitzköpfiges Kasperletheater, wo das Teufelchen und der Lodrian als Serial Killer daher kommen. Und wo das Kasperle in seiner Jugend vom Onkel missbraucht wurde und trotzdem ein guter Mensch geworden ist. Ja, auch das! So bäckt man Krimi heute!
Bleibt nur noch das Problem, das alles zur Sprache zu bringen. Es soll ja gelesen werden. Es soll ja runtergehen wie Öl. Auch die größte Lokalpatriotin wird sich das sonst nicht lange antun. Ein LeserInnen-Kommentar wie der hier: „Ein super Krimi mit Suchtfaktor!!! Spannend sind auch die Schauplätze, wenn man wie ich aus Halle kommt... Ständig überlegt man, wo befinden wir uns gerade?? Habe das Buch schon sehr oft verschenkt, mit großem Erfolg. Ich hoffe es gibt noch viele Teile davon. Eine Frage bleibt aber. Woher hat der Autor so eine Fantasie???“ will ja verdient sein, vor allem die vielen Ausrufezeichen.
Ganz zu schweigen von all den nicht-hallenser Lesern, die der S. Fischer-Verlag aus betriebswirtschaftlichen Gründen ja auch noch erreichen muss.
Wie z.B. verklickert man dem Leser, dass der eine der beiden Kommissare nach dem dritten Teil dieser Serie bei der Polizei aufgehört hat und nun einen Laden betreibt? Wir bekommen nicht zu sehen, wie der Mann am frühen Morgen sein Schlüsselbund aus der Tasche zieht und die Ladentür aufsperrt, nein, wir müssen uns anhören, wie er seinem kürzlich verstorbenen Vater dies am Grab mitteilt. Wir erfahren alles, was wichtig ist, aus Mitteilungen und Behauptungen. Aus den Handlungen erfahren wir gar nichts. Die Handlungen dienen nur zur Erregung und als Cliffhanger.
„Im kühlen Licht der geschwungenen Deckenlampen wirkte die Szenerie wie ein Gemälde von Edward Hopper.“ (75) Beschreibung ist alles! Wir hätten uns ja sonst die Atmo in einem Klischee-Altenheim gar nicht vorstellen können. Warum aber Hopper? Wäre aus lokalpatriotischen Gründen nicht der Hopper des Ostens, Uwe Pfeifer, besser gewesen? Zu deutsch? Zu ostdeutsch? Zu lokal?
Damit sind wir bei den Dilemmata. Wie kriegt man das verrührt, Ost-Semmel mit West-Duft, regionale Spezialität für den globalen Geschmack, Klamauk zum Gruseln, das Serielle als Unikat? Gar nicht, der Leser bekommt alle Zutaten separat geliefert. Jedesmal verlässlich die selben. Das ist wie beim Raclette. Zum Schluss wird alles überbacken.
Stephan Ludwig, Zorn - Wie sie töten, S. Fischer Verlag, 2014
Kommentare 26
Das ist kein Zorn, das ist Provinzwut. Wenn Sie zurück in Berlin sind, ist alles wieder gut.
Aber wir, die mit dem Drachenblut der Popkulturindustrie getauften Multimedia-Natives, wissen allerspätestens als der Zug in den Bahnhof einfährt, dass es ganz anders, also genau umgekehrt kommen wird, kommen muss.
Bei "umgekehrt" dachte ich, die Frau lässt den Zug entgleisen oder sowas.
Es gibt Leute, die würden das "typisch deutsch" nennen.
:-))))))))))
gern gelesen und daher off-topic (?) neu erschienen ist "Wut. Plädoyer für ein verpöntes Gefühl" von Heidi Kastner. hier http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/heidi-kastner-im-interview-ueber-wut-und-aggression-a-1000530.html und für einige tage noch live hier http://tvthek.orf.at/program/Willkommen-Oesterreich/1309549 unter "Talk mit ..."
Als ob es nennenswerte Berlin-Krimis gäbe. Nichts, was an Wolf Haas mit Brenner in Wien, Ian Rankin in Edinburgh usw. herankäme. Die einzigen lesbaren Berlin-Krimis hat ein Brite geschrieben: Philip Kerr.
das warst du immerhin schon auf der richtigen Fährte. :-)
Dein Tip ist nicht off-topic und dankend entgegen genommen.
Dem Autoren ein Dankeschön? Na klar, hat sich ja viel Arbeit gemacht.
Schön? - Das ist ein bestellter Verriss!
Das Kriminelle daran, ist die Gewöhnung des Lesers und Sehers an den Krimi, in jeglicher Form, Länge und jedem Medium, als einzig wirklich erfolgreiche Prosaik der Jetztzeit, neben dem Sachbuch, in seiner Form als Ratgeber.
Im Grunde eine Entwicklung, die, völlig unabhängig von Systemen und Ethnien, die ganze Welt zu einer einheitlichen Provinz macht.
Gerne gelesen. Vor allem, weil mir Zorn und Wut, auch wenn ich eine individuelle Sparkasse dafür durchaus eingerichtet habe, so schwer über die Lippen kommt und sich nur mühsam in eigene Texte einflicht. Daher bin ich zwar begeistert vom diesjährigen Kalenderprojekt, auch ein wenig neidisch, aber eben nicht der passende Teilnehmer.
Mein Lieblings Lese-Zorn heißt übrigens Fritz und sein Buch Mars, kommt direkt aus dem Umkreis einer ewigen Goldküste.
Weiter, weiter
Christoph Leusch
Die "Zorn"-Krimis sind weitgehend synthetische Trivialliteratur, streng nach den Regeln des Genres gebaut. Dass so viele Hallesche Orte darin vorkommen, stört überhaupt nicht in diesen gesamtdeutschen Musterkrimis. Was auch mit der Abriss-Orgie nach der Wende zu tun hat: Industrie, Hochhäuser und Polit-Denkmäler sind beseitigt. Übrig blieb die Wilhelminische Idylle und der neoliberale Hass, hier als Zorn schöngeredet.
"Stephan Ludwig ist ebenfalls banal, kein Serienmörder"...
...in seiner Ruchlosigkeit scheinbar jedoch nicht von einem solchen zu unterscheiden. Und damit: Wer weiß...?
Ich habe sogar zwei bis drei Krimis gelesen! Einen von Martha Grimes, einen von Conan Doyle (wenn's keine detective story war), und einen von Agatha Christie, aber der war so langweilig, dass ich gar nicht mehr weiß, ob ich ihn wirklich gelesen habe.
Vielleicht finde ich das Genre ja noch.
Danke für die in berechtigtem Zorn geschriebene Rezension. Ich glaube. ich habe noch keinen der neueren deutschen Krimis zu Ende gelesen, selbst die Christian von Ditfurths nicht, der ja sehr zeithistorisch schreibt.
Überhaupt. Krimis. Dieses "Herabsteigen" in die angeblichen Abgründe des Menschen zwecks Wiederherstellung der Ordnung. Bis zum nächsten Mal.
Natürlich gibt es gute "romans noirs" - aber die sind keine "Krimis".
Eine sehr schöne Beschreibung, was das Menschliche im Krimi sei, legte Agatha Christie ihrer Miss Marple in den Mund. Auf die Frage, woher sie ihre Menschenkenntnis habe, obwohl sie kaum über die Grenzen von St. Mary Mead hinaus gekommen ist, antwortete sie sinngemäß, dass das Dorf ein Mikrokosmos sei, ein Abbild dessen, was in der weiten Welt passiere.
Von der Kraft, diese abgeschlossenen Welten schlüssig wie überzeugend darzustellen (und natürlich einen originellen Twist in die Story einzubinden), lebt für mich ein Krimi. Weswegen ich unterscheide, ob diese Welt nur (austauschbare) Kulisse ist: Wozu zweifellos die unsägliche Donna Leon und ihr Kommissar Brunetti (samt Verfilmungen gehören), die sich von einem Pfarrer Braun allenfalls durch Kostümierung und den Umstand unterschieden, dass sich zum Tatort per Boot begeben wird.
Die Introspektion gefällt mir noch vor Mankells Wallander bei Beck von Sjöwall und Wahlöö. Diesem Mann ist anders als bei Wallander die Wut nicht aufgesetzt worden – sie hat sich in eine etwas müde, vielleicht sogar routinierte Neugier verwandelt, die das Alltägliche des Verbrechens erst recht unterstreicht. Nicht das Genialisch-Wütende, sondern die leisen Anzeichen zu erkennen, wo etwas nicht stimmt. Der Gestus kehrt da zurück zur Sisyphos-Arbeit des Lebens. In der Hinsicht unübertroffen der lakonische Karl Stig-Erland Larsson. Dem verzeiht man dann sogar logische Brüche.
Danke, goedzak, dass Du Dich des Genres angenommen hast.
Wer aus einem Dorf kommt, kommt überall auf der Welt klar! Ist auch meine Meinung (und Erfahrung)! :-)
Deine Sätze zum Krimi an sich sprechen mir aus dem Verstand, danke! Die Einschätzungen zu den genannten Autoren teile ich. Bis auf die Tatsache, dass mir Larsson durch die Art der posthumen Vermarktung verleidet ist.
Es gibt einige mit (jüngerer) Geschichte verwobene Romane von James Ellroy oder Don Winslow, die spannend und "zeithistorisch" interessant sind. Über Winslow hat hier kürzlich Thomas Wörtche wegen dessen letzten beiden Veröffentlichungen den Stab gebrochen, allerdings ganz zu recht.
Der beste Roman von Winslow heißt übrigens in der deutschen Ausgabe Tage des Zorns... :-))
Ach, ich denke, Hopper ist ziemlich bekannt, sogar ein bisschen Pop. Auch im Osten, da wurde er schon in den Siebzigern in Comics zitiert.
Wer weiß...,
....was so ein Autor aus Gründen der Recherche alles auf sich nimmt...
....noch nie gehört...
...und nix verpasst. :-)
Stimme dir in allem zu, außer, dass ich nicht "streng nach den Regeln des Genres gebaut" formuliert hätte, sondern "spontan aus den Klötzchen verschiedener Baukästen zusammengefriemelt" - oder so. :-)
Ich bin dem Genre ja nicht prinzipiell abgeneigt, wenn auch mit den jüngst vergangegenen Jahren immer abgeneigter. Krimi ist Pop, war aber mal Jazz, Blues, Folk und Punk, auch ein bisschen Hiphop, Dub, Minimal, Noise, Industrial,... :-))
Danke für deine Meldung. Das mit dem Verriss musst du mal probieren! Ist ja auch noch Zeit bis Ultimo. :-)
Psst, nicht weiter tratschen. Auch der Columbus hat seine Krimiecke, die er fast aus Jugendzeiten mitschleppt. Sprachlich und psychologisch hänge ich an Simenon, und was die Plots und Einfälle, die Themen und ihre Präsentation angeht, an Jan Willem, dem großen Zen- Meister, an seinem Commissaris und den musischen Brigardiers aus Amsterdam.
Knallhart und als wäre es ein Report der Realität, ist "The Uncomfortable Dead" (Muertos Incomodos) von Subcommandante Marcos und Paco Taibo geschrieben. Das ist allerdings kein besinnlicher Lesestoff. Das gibt es bestimmt auch auf Deutsch.
Und nichts spricht dagegen, sich einmal mit Walter Serners "tükischer Straße" einzulassen und ein wenig über das "Rendevous mit dem Goldzahn" oder das "Psycho-Dancing" zu erfahren.
Ich muss das mit dem Veriss wirklich üben. Allein schon, um der blendenden Idee der Kalenderblätter, auch einmal eines hinzufügen zu können. Das reizt doch.
Gutes WE
Christoph Leusch
Bild(!)kräftige Veranschaulichung ist was anderes.
So ist es.
Zu Simenon ist noch Leo Malet zu empfehlen, den man als frz. Bindeglied zw. Simenon und Chandler vielleicht ansehen kann. J. Willem v. d. W. habe ich auch gemocht und gelesen, manchmal wurde es mir aber ein wenig zu Zen-mäßig. Von der Ko-Autorenschaft des Subcommandante und Taibo II hatte ich peinlicherweise bisher noch nichts gehört. Vielen Dank für den Tip! Von Serners habe ich auch noch nichts gehört. Ich nehme das als Anregung, meine Krimi-Depression beiseite zu schieben und wieder gezielter und optimistischer nach gutem Bahn-Lesestoff zu suchen... :-)
Ja, das wären weitere, lesenswerte Klassiker des Genres. Nie würde ich die je zerreißen können, wie das einst Marcel Reich- Ranicki in der Fantasie der Spiegel-Leute, auf der schwarzen Frontseite des Spiegels, mit dem "Weiten Feld" veranstaltete.
Die Fonty- Geschichte und der Tallhover Schädlichs sind ja auch versteckt Stories um kriminelle Taten. Heute so aktuell, wie zu Wende- und Stasi-Zeiten.
Walter Serners Kriminalgeschichten aus den wilden 20er und 30er Jahren des letzten Jarhunderts, lesen sich einfach süffig und er hat ein Talent für Bilder, skurrile Sprachneubildungen und abgründigen Humor . Ein Beispiel aus der oben genannten Sammlung seiner Kriminalgeschichten:
"Las Tortilleras", eine frühe Bondage- Story, mit einer buchstäblich knallharten Frau.
>>Ljungdahl (stammt nicht aus modernen Schwedenkrimis,m.Einf.) fühlte sich beengt: da er nicht annehmen konnte, eine Neo-Sentimentale vor sich zu haben, vermutete er, nicht verstanden worden zu sein. Mit einem Blick auf ihren Leib, der in feinen Spiralen sich bewegte,zog er es vor, zu lächeln. (...)
Cristina warf die Zigarre an die Zimmerdecke und traf sie noch in der Luft mit der Reitpeitsche, von der sie knallend auf einen Spiegel flog. "Jeden Sonntag ging ich nun mit meiner Mutter zu den Corridas. Denn ich plärrte so, daß sie mich mitnehmen musste. Die Plätze kosteten sie nichts, da sie mit allen Banderilleros und Espadas, die damals in Madrid berühmt waren, geschlafen hat. Mein Vater war Valencia II. Ein großer Espada. Der vielleicht einer der größten geworden wäre, wenn ihn nicht mit vierundzwanzig Jahren in Sevilla ein Stier...<<
In einer endlos offenen Welt, mit unzählbaren Informationen und Texten, kann es eigentlich nicht sein, sich für irgend ein Unwissen schämen zu müssen. Ich erzähle ja auch nur, was ich mal las, sah, hörte, mehr nicht.
Mir ist viel wichtiger, dabei ein wenig angestrengt zu tun, also mit einem gewissen Ehrgeiz was zu sagen oder zu schreiben. Und wenn ich das bei anderen, z.B. in den Kalenderblättern, lese und spüre, dann ist mir fast schon egal, ob ich letztlich eine ähnliche Ansicht entwickeln kann.
Leider macht sich das auch negativ bemerkbar und ich muss, wie schon gesagt, den Verriss üben oder, um dazu fähig zu werden, im eigenen Wesenskern tief verletzt oder schwer angeschossen sein.
Zorn, Wut, Empörung, Verzweiflung, Kränkung und tief empfundenes Unrecht, gar Neid, gelten als klassische Mordmotive, in der Realität, im Krimi, auf den Bühnen der Welt und in der gespielten oder geschriebenen Feuilleton- Hinrichtung des Kritikers.
Für diese Motive haben wir vielleicht eine Neigung des Herzens, weil wir sie insgeheim auch einfühlen und verstehen können, während Verbrechen aus Gier, aus Lust an der Erniedrigung anderer, aus dem schieren Faktum der Macht, einen anderen Menschen schädigen oder gar töten zu können, uns schaudern lässt und abschreckt. Die zweite Art schildert Taibo II mit dem Subcommandante. Das ist, auch wegen vieler Realeinschübe, so eine Art Docucrimefiction aus Mexiko. - Ihr Inhalt ist topaktuell, sucht doch ein zapatistischer Detektiv Namens Elias nach den Verschwundenen und Taibos II. Stardetektiv löst die Fälle, die befremdlicher sind, als die Realität (die die meisten Leser kennen). Der Subcomandante Marcos ist übrigens ein erstaunlich gut schreibender Autor, der auch ohne die Kollaboration mit Taibo II. beachtliche Werke verfasste.
Beste Grüße
Christoph Leusch