Die Leiden der Landarbeiter

Ausbeutung in Mexiko Ein Bericht der Los Angeles Times zeigt wie sehr mexikanische Landarbeiter ausgebeutet werden. Eine Folge des mexikanisch-amerikanischen Freihandelsabkommens

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Die Leiden der Landarbeiter

Bild: Sean Gallup/Getty Images

Tonnenweise kommen Tomaten, Paprika, Gurken und anderes Gemüse auf den US-Amerikanischen Markt. Sie alle tragen den Aufkleber „Product of Mexico“. Dank des Freihandelsabkommens zwischen der USA und Mexiko haben sich die landwirtschaftlichen Importe aus Mexiko im letzten Jahrzehnt auf 7,6 Milliarden Dollar pro Jahr verdreifacht.

US-Amerikaner bekommen ihre Salsa, Kürbisse und Melonen zu günstigen Preisen. Davon profitieren vor allem die großen Handelsriesen, Wal-Mart, Whole Foods, Subway und Safeway. Die Konzerne behaupten, ihre mexikanischen Lieferanten würden für akzeptable Behandlung und Lebensbedingungen ihrer Arbeiter sorgen. Eine Recherche der Los Angeles Times macht aber deutlich, dass durch den Export-Boom tausende Farmarbeiter südlich der Grenze brutal ausgebeutet werden. Viele der Farmarbeiter werden in rattenverseuchten Camps festgehalten, meist ohne Bett, ohne funktionsfähige Toiletten oder verlässliche Wasserversorgung. Einige der Farmer halten die Gehälter zurück. Damit verhindern sie, dass die Arbeiter während der Ernte die Lager verlassen können. Diese Arbeiter müssen sich verschulden, um das Allernötigste in den Geschäften ihres Arbeitgebers zu überhöhten Preisen zu erwerben. Oft stehen Arbeiter am Ende der Erntesaison mit leeren Taschen da. Diejenigen, die ihren Schulden und den grausamen Lebensbedingungen entkommen wollen, werden von Wachen und Stacheldrahtzäunen davon abgehalten. Die US-Firmen tun wenig, um ihre eigenen sozialen Richtlinien auch umzusetzen, in denen die einfachsten Rechte der Arbeiter, wie saubere Wohnmöglichkeit und faire Löhne, festgelegt wurden.

Bei den Arbeitern handelt es sich meist um Indigenas, Nachfahren der Ureinwohner aus den ärmsten Regionen Mexikos. Per Bus werden sie über hunderte von Kilometern zu den Agrarbetrieben gekarrt. Dort arbeiten die Menschen sechs Tage die Woche für ein Einkommen zwischen 8 und 12 Dollar. Die armseligen Wohncamps, in denen sie untergebracht sind – nicht selten schlafen sie auf Kartons direkt auf dem Betonfußboden – gehören den Agrarbetrieben. Der Kontrast zwischen der Behandlung der Produkte und der Menschen ist eklatant. In hochtechnisierten Gewächshäusern werden die Arbeiter angewiesen, keimfreie Handschuhe zu tragen. Sie lernen, die Produkte fast zärtlich zu handhaben. Die Fingernägel müssen geschnitten sein, damit die Früchte makellos in den US-amerikanischen Supermärkten ankommen.

„Sie erwarten, dass wir uns überaus sorgfältig um die Tomaten kümmern, sie kümmern sich aber nicht um uns“, sagt Japolina Jaimez, eine Hilfskraft bei Rene Produce, eine Firma die Tomaten, Paprika und Gurken im Nordwesten der Provinz Sinaloa anbaut. „Sie können ja selbst sehen, wie wir leben.“ Er zeigt auf seine Kollegen und ihre Kinder, die in den Bewässerungskanälen baden, da die Duschen des Camps kein Wasser führen.

In den großen Farmen, welche die großen amerikanischen Handelsunternehmen beliefern, wurde zumindest die Kinderarbeit inzwischen unterbunden. Aber auf zahlreichen kleinen und mittelgroßen Farmen findet man immer noch Kinder auf den Feldern. Rund 100.000 Kinder unter 14 arbeiten für geringen Lohn beim Ernteeinsatz mit – so eine aktuelle Schätzung der mexikanischen Regierung.

Während ihrer 18-monatigen Recherche bereisten die Times-Mitarbeiter neun mexikanische Staaten, besuchten die dortigen Arbeitscamps der Farmen und interviewten hunderte Arbeiter. Bei der Hälfte der rund 30 Camps wurden die Gehälter der Arbeiter einbehalten, so dass diese gezwungen waren, vor Ort zu bleiben. Einige der schlimmsten Camps gehören zu Unternehmen, die von der mexikanischen Regierung ausgezeichnet wurden. Mindestens zwei von ihnen wurden durch Enrique Peña Nieto, dem Präsidenten Mexikos, mit dem Titel „Exporter of the Year“ geehrt.

Dank der Exportdaten der mexikanischen Regierung, verschiedener unabhängiger Lebensmittelsicherheitsberichte, einiger Pestizid-Studien und durch Interviews mit Firmen- und Branchenvertretern, verfolgte die Times den Weg der Produkte vom Feld bis in die Regale der US-amerikanischen Supermärkte.

Das Zurückhalten von Löhnen in Mexiko ist speziell bei indigenen Arbeitern gängige Praxis. Das bestätigten auch Regierungsverantwortliche sowie ein Bericht des Federal Secretariat of Social Development bestätigt. Die Arbeiter verpflichten sich vertraglich für drei Monate und erhalten ihren Lohn erst am Ende der Vertragslaufzeit. Laut Gesetz sind wöchentliche Zahlungen vorgeschrieben. Die Mitarbeiter der Times besuchten fünf große Exportfarmen, bei denen die Gehälter von hunderten Arbeitern zurückgehalten wurden.

Wal-Mart, das größte Handelsunternehmen der Welt, bezieht Produkte von mindestens drei dieser Farmen. Die Times stellte fest, dass Bioparques de Occidente, der größte Produzent Mexikos im Bundesstaat Jalisco, nicht nur die Löhne zurückbehält, sondern hunderte Arbeiter in Lagern gegen ihren Willen festhält. Wer fliehen will, wird zusammengeschlagen – so berichten Arbeiter aber auch Mitarbeiter mexikanischer Behörden.

Auf Nachfrage, wie man mit Bioparques und anderen Farmen, auf denen die Arbeiter ausgebeutet werden, zusammenarbeite, gab es seitens Wal-Mart folgende Aussage:

„Die Männer und Frauen in unserer Lieferkette sind für uns wichtig. Wir sind uns der Herausforderungen, die in unserer Branche noch bestehen, sehr bewusst. Wir wissen, dass die Welt sehr groß ist. Wir sorgen mit unseren Standards und Audits dafür, dass die Dinge weltweit besser werden, können aber nicht jeden Einzelfall erfassen, wo Menschen sich nicht korrekt verhalten.” „Die Wahrheit ist, wir sind Arbeitstiere auf den Feldern“, so der Farmarbeiter Pasqual Garcia.

Bei Rene Produce in Sinaloa trafen die Times-Mitarbeiter auf hungrige Arbeiter auf der Jagd nach Abfall. Sie konnten es sich nicht leisten, im Firmenladen einzukaufen. Der Hersteller, der 2014 Tomaten im Wert von 55 Millionen US-Dollar exportierte, beliefert Supermärkte überall in den USA. Dazu gehört auch Whole Foods, die erst kürzlich mit einer ganzseitigen Werbeanzeige auf ihre soziale Verantwortung aufmerksam gemacht haben. In ihrem Kommentar zu der Situation sagte Whole Foods, dass man nicht erwarte, weitere Produkte „direkt“ von Rene zu erwerben, da dieser nur ein weniger bedeutender Lieferant sei. Edmund LaMacchia, einer der Global Vice Presidents für Beschaffung bei Whole Foods sagte: „Wir nehmen Ihre Informationen sehr ernst, besonders da Rene unsere Vereinbarung in Bezug auf soziale Verantwortung unterschrieben hat.“

Rene Produce wurde im September als eines der Export-Unternehmen des Jahres in Mexiko gekürt. Vorstandsmitglied Jose Humberto Garcia sagte, dass man sich mit externen Fachleuten berate, wie man die Situation der Arbeiter verbessern könne: „Wir haben in den letzten Jahren versucht, das Leben der Arbeiter zu verbessern. Man kann natürlich noch mehr tun. Man kann immer noch mehr tun.“ Führungskräfte bei Triple H in Sinaloa, einem anderen Export-Unternehmen des Jahres und Distributor für die wichtigsten Supermarktketten in den USA sagte, dass man überrascht sei, von derart ausbeuterischen Arbeitspraktiken auf den Farmen, wie Agricola San Emilio, einem der eigenen Lieferanten, zu erfahren. „Es widerspricht sämtlichen unserer Richtlinien”, sagt Heriberto Vlaminck, Generaldirektor bei Triple H. Sein Sohn Heriberto Vlaminck Jr., kaufmännischer Direktor des Unternehmens, ergänzt: „Es ist unglaublich, dass Menschen unter derartigen Bedingungen arbeiten müssen.“ Das klingt in den Ohren der ausgebeuteten Arbeitern wie Hohn.

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Geschrieben von

Goggo Gensch

Autor, Dokumentarfilmer, Kurator. Lebt in Stuttgart.

Goggo Gensch

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