Die Schuld des Staates Mexiko

Die Morde in Iguala Mexikos Behörden hätten die Morde an den Studenten von Ayotzinapa verhindern können. Allein, sie wollten nichts von den Zuständen in Iguala wissen

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Eines der Gräber außerhalb Igualas
Eines der Gräber außerhalb Igualas

Bild: Pedro PARDO/AFP/Getty Images

Die politisch Verantwortlichen in Mexiko haben immer noch nicht das Ausmaß und die wahre Bedeutung der Tragödie von Ayotzinapa verstanden. Zudem steht fest, dass sie das Verbrechen hätten verhindern können.

Zur Erinnerung. Am 26. September 2014 wurden 43 Studenten von der Polizei verschleppt und an Drogenbanden ausgeliefert. Bislang konnte nur die Leiche eines der Studenten identifiziert werden. Am 20. Januar hat der Generalstaatsanwalt bekannt gegeben, dass die Universität Innsbruck, an sie wurden Knochenreste von weiteren mutmaßlichen Opfern zur Untersuchung gegeben, keine DNA Spuren feststellen konnte. Es sei den Wissenschaftlern nicht gelungen, genügend Genmaterial aus der Asche und den Knochen zu isolieren. Die Leichenteile seien zu stark verbrannt gewesen, um sie mit herkömmlichen Methoden zu identifizieren. Die Gerichtsmediziner setzen ihre Hoffnung nun in die sogenannte massive parallele Sequenzierung. Dabei wird das Genmaterial aufgespalten und geklont. Ein künstlich erzeugter DNA-Strang wird um jeweils einen der vier DNA-Bausteine ergänzt. Entspricht die Sequenz der Vorlage, können die Wissenschaftler dies messen. Möglicherweise liefere diese Methode neue Erkenntnisse, hieß es in einem Schreiben des Instituts. „Wir können keine Schätzung über die Aussichten abgeben, aber die Methode ist die am meisten Erfolg versprechende." Allerdings bestehe die Gefahr, dass die Proben während der Genanalyse vernichtet werden, ohne dass ein Ergebnis erzielt werde. Es ist also die letzte Hoffnung auf Gewissheit. Die mexikanische Generalstaatsanwaltschaft erteilte der Gerichtsmedizin an der Universität Innsbruck trotzdem den Auftrag, die Identifizierung mit der vorgeschlagenen Methode fortzusetzen.

Erst vor wenigen Tagen wurde der mutmaßliche Drahtzieher des Massakers angeklagt. Der Bürgermeister der Stadt Iguala, José Luis Abarca, soll die Tat angeordnet haben, um zu verhindern, dass die Studenten eine Kundgebung seiner Ehefrau María de los Ángeles Pineda Villa störten. Pineda Villa wurde bereits angeklagt. Sie muss sich wegen mutmaßlicher Verbindungen zum organisierten Verbrechen, Drogenhandels, Geldwäsche und Entführung verantworten.

Das zweifelhafte Regiment des Paares war lange bekannt. Das hat der mexikanische Journalist Luis Hernández Navarro jetzt in der Zeitung „La Jornada“ enthüllt. Am 31. Mai 2013 tötete Abarca in Begleitung des Polizeichefs von Iguala, den Ingenieur Arturo Hernándes Cardona, ein Führungsmitglied des Bündnisse für Volkseinheit (FUP) von Iguala. Hernándes Cardona beteiligte sich 1988 an der Gründung der Partei der Demokratischen Revolution (PRD). Er setzte sich für bessere Lebensbedingungen der Kleinbauern ein. Bei den Wahlen 2012 unterstützte er die Bürgermeisterkandidatur von Jośe Luis Abarca. Abarca wurde der PRD-Strömung Neue Linke zugerechnet. Als Gegenleistung bot Abarca an, Düngemittel für die vom Ingenieur beratenen Gemeinden zur Verfügung zu stellen. Nach der Wahl hatte der Bürgermeister sein Versprechen vergessen. Dafür sorgte er für sich und seine Familie. Er setzte Verwandten und Freunde auf die Gehaltsliste. Auch seine Ehefrau María de los Ángeles Pineda, bekannt als Lady Iguala. Schon bald blühten in Iguala Drogenhandel und die Erpressungs- und Entführungsindustrie.

Nach dem Mord an Hernándes Cardona töteten Mitglieder vom Drogenkartell „Guerreros Unidos“ ihren Gefangenen Félix Rafael Balderas Román bei einem Fluchtversuch und warfen ihn zu Hernándes Cardona in die Grube. Nachdem sie einen Anruf erhielten, brachten die Verbrecher die Leichen an einen anderen Ort. Weil sie keine Zeugen wollten, ermordeten sie dort einen weiteren ihrer Gefangenen, Ángel Román Ramírez. Inmitten der Verwirrung gelang es einem der Entführten, Nicolás Mendoza Villa, der Fahrer von Hernándes Cardona, zu fliehen.

Mendoza Villa machte die Morde in Mexiko-Stadt vor einem Notar und einem Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft bekannt. Die Generalstaatsanwaltschaft aber ignorierte die Anklage.

Am 16. Oktober 2014 wurde Sidronio Casarrubias Salgado, genannt „El Chino“, einer der Anführer von Guerreros Unidos, verhaftet. Er gestand seine Beteiligung an den Morden. „Ein weiterer Fall, von dem wir den Bürgermeister befreit haben“, erklärte er gegenüber den Behörden. Bei den Vernehmungen wurde auch ein weiterer Mord, den Bürgermeister Abarca in Auftrag gab, bekannt. Stadtkämmerer Justino Carbajal Salgado hatte sich geweigert, Abarca Schecks zu unterzeichnen, ohne die Verwendungszwecke des beantragten Geldes zu kennen.

Der Unmut gegen die Regentschaft des Ehepaares Abarca wuchs schnell. Am 2. April 2013 gab es eine Sitzung die öffentliche Bauprojekte zum Thema hatte. Hernández Cardona beschuldigte den Bürgermeister der Vetternwirtschaft, der Auftragsvergabe an Günstlinge und der schleppenden Ermittlungen bei dem Mord an dem Kämmerer Justion Carbajal Salgado. Er unterstellte Abarca auch eine Mittäterschaft an dem Mord. Bei dieser Sitzung versuche Lady Iguala, auf den Ingenieur einzuschlagen. Sie warnte ihn: „Der Verbrecher bist du. Du hast keine Ahnung, mit wem du dich einlässt. Du wirst krepieren.“ Um gegen die Lage zu protestieren, marschierten am 21. Mai mehr als 500 Mitglieder des FUP durch Iguala. Sie wurden von Studenten aus Ayotzinapa begleitet. Als Abarca sich weigerte, sie zu empfangen, besetzte die Menge das Rathaus. Eine Woche später schüchterte Abarca Hernández Cardona ein. „Ich habe die Schnauze voll von dir, du Idiot!“ schrie er. „Ich habe meine Leute, die für mich arbeiten!“ Einer seiner Leibwächter riet: „Lass ihn über die Klinge springen. Er ist sowieso reif.“ Am folgenden Tag wurden die Drohungen Realität. Der PRD-Abgeordnete Bernardo Ortega verhinderte, dass eine Anklage gegen Abarca verfolgt wurde. Die nationale Parteispitze der PRD sagte gar nichts zu den Vorfällen.

Nicolás Mendoza Villa, der Augenzeuge der Morde, nannte die Namen der Verantwortlichen. Zusammen mit Bischof Raúl Vera und Sofía Mendoza, der Witwe des ermordeten FUP-Führers, brachte er den Fall vor die Interamerikanische Menschenrechtskommission. Die zivilen, polizeilichen und militärischen Autoritäten Mexikos hätten also Bescheid wissen können über die Zustände in Iguala. 15 Monate später wurden die Studenten von Ayotzinapa ermordet. Diese Morde wären nicht geschehen wenn der mexikanische Staat und seine Institutionen gehandelt hätten.

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Geschrieben von

Goggo Gensch

Autor, Dokumentarfilmer, Kurator. Lebt in Stuttgart.

Goggo Gensch

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