Bundesverfassungsgericht: Freie Bahn für CETA

Enttäuschendes Urteil Die Hoffnung, das BVerfG würde über seinen Schatten springen und die Zustimmung der Bundesregierung zum Freihandelsvertrag CETA verhindern, hat sich als Illusion entpuppt

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Das Urteil enttäuscht große Teile der Bevölkerung: Vor einem halben Jahr hatte die Bertelsmannstiftung das Ergebnis einer Umfrage veröffentlicht. Danach sei die Zustimmung zum vergleichbaren Vertrag TTIP auf 17% gesunken, während die Ablehnung mit 33% fast doppelt so hoch sei. Die Kritiker betrachten CETA und TTIP, aber auch TiSA, also die geheim ausgehandelten Investorenschutz-Verträge als Abrissbirne gegen Demokratie und soziale Schutzrechte.

Engagiert hatten in der Verhandlung vor dem BverfG die bevollmächtigten Juristen der knapp 200 000 „Beschwerdeführer“ die Sorgen der Menschen dargestellt für den Fall, dass die Bundesregierung CETA zustimmen, die „vorläufige Anwendung“ des Vertragswerkes erlauben und damit faktisch die Parlamente in wesentlichen Bereichen entmachten würde. Kein Ohr für die Sorgen haben offensichtlich die Konzerne und ihre InteressenvertreterInnen in der Politik, denn sie sind diejenigen, die nicht nur materiell von den Verträgen profitieren würden; sie erstreben einen strategischen Sieg über die Interessen und Bedürfnisse der Bevölkerung. In Zukunft – so erwarten sie nicht ohne Grund von der neoliberalen Politik – brauchen sie parlamentarische Kontrolle und Regelungen noch viel weniger zu fürchten als bislang. Dagegen hat das Urteil keine Schranken aufgebaut.

Kritische BürgerInnen könnten einwänden: Das Gericht darf ja nicht politisch argumentieren und die Sorgen der Menschen den Regierenden quasi juristisch um die Ohren schlagen nach dem Motto: Hört ihnen doch zu, hier geht es um Menschen- und Grundrechte, um das Demokratieprinzip und die Daseinsvorsorge, also um den Schutz der Menschen und nicht der Investoren! Nein, das BverfG darf nur die Verfassung auslegen. Oder doch nicht?

Während das Urteil laut Pressemitteilung auf die von den bevollmächtigten Professoren vorgetragenen Sorgen überhaupt nicht eingeht, zeigt es viel Verständnis für die Sorgen der Regierenden, wie sie von Bundesminister Gabriel einem immer wieder verständnisvoll lächelnden Gericht und seinem Vorsitzenden Voßkuhle in leuchtenden Farben gemalt wurde.

So argumentiert das Gericht, dass eine einstweilige Anordnung gegen die vorläufige Anwendung von CETA „der Allgemeinheit mit hoher Wahrscheinlichkeit schwere Nachteile“ zufügen würde. Und zur Begründung wird nicht etwa das Grundgesetz angeführt: Das BVerfG will ein Scheitern von CETA verhindern, weil wirtschaftliche und insbesondere politische Nachteile zu befürchten wären! Nachteile für wen und wodurch, fragt der besorgte Bürger. Die Gestaltungsfreiheit der Bundesregierung sei bedroht, die Außenhandelsbeziehungen beeinträchtigt; auch „weit reichende Auswirkungen auf die Verhandlung und den Abschluss künftiger Außenhandelsabkommen“ werden angeführt. Es ist ein politisches Urteil nicht im Sinne der Demokratie und der Menschen; vielmehr würde sich, so befürchtet das BverfG, „der Erlass einer einstweiligen Anordnung negativ auf die europäische Außenhandelspolitik und die internationale Stellung der Europäischen Union insgesamt auswirken“.

Dem gegenüber würden die Nachteile bei Ablehnung einer einstweiligen Anordnung weniger schwer wiegen, denn die Bundesregierung habe Zusicherungen gegeben. Diese werden vom Gericht offensichtlich nicht als besonders verlässlich angesehen, denn alle diese Zusicherungen werden im Konjunktiv formuliert: „zu qualifizieren sein dürfte“, „dürften auch etwaige Bedenken (…) entkräftet sein“, „sichergestellt erscheinen lassen“, „es könnte (…) sichergestellt werden“. Wie schon bei anderen gesellschaftlich bedeutsamen Themen wie Armut und Ungleichheit („Hartz-IV-Urteil“) oder weltweiten Militäreinsätzen gibt das BverfG der Bundesregierung freie Hand, um ihre neoliberale Agenda durchzusetzen.

Georg Rammer

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Geschrieben von

grammer

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