Demokratie? Jetzt seien Sie nicht kindisch!

BM Gabriel zu TTIP Whistleblower haben uns ein geheimes Dokument zugespielt. Es handelt sich um ein Gesprächsprotokoll aus dem Bundeswirtschaftsministerium. Hauptakteur: Sigmar Gabriel

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  • Dr. Liebmann: Mal unter uns, Herr Gabriel: Wie schätzen Sie denn die Lage um TTIP, CETA und Co ein?

  • Bundesminister Gabriel: Und wer möchte das wissen, bitteschön? Kommen Sie von der Süddeutschen oder vom Spiegel? Nein, also FAZ? Der Bildzeitung habe ich ja alles Wichtige schon gesagt. Hier: „5 Gründe, warum TTIP gut für uns ist!

  • Nein-nein, ich bin nicht von der Presse. Ich bin Ihr Coach vom Bundeskanzleramt. Projektgruppe „Wirksam regieren“.

  • Was? Wer?

  • Dr. Liebmann, Psychologe. Ja, unser Stab ist dabei, alternative Designs von politischen Vorhaben auf der Grundlage qualitativer Situations- und Problemanalysen und verhaltenswissenschaftlicher Evidenz zu entwickeln. Um politische Ziele besser zu erreichen. Aktuell insbesondere die Freihandelsverträge.

  • Hat Sie etwa die Chefin auf mich angesetzt? Mit ihr bin ich doch voll auf einer Linie. Sie können aber gleich wieder gehen. Ich brauch keinen Psycho-Coach. Ich selber weiß am besten, wie ich meine politischen Ziele erreichen kann.

  • Aber Herr Gabriel, Ihr CPS ist seit dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos total eingebrochen.

  • Mein was?

  • Ihr Credibility Performance Score. Das ist ein empirisch ermitteltes Maß dafür, wie glaubwürdig Sie in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Und mit Verlaub: Ihre Bemerkung in der prominenten Runde der Wirtschaftselite war ein Kommunikations-Desaster. „Deutschland ist reich und hysterisch“ - das sagten Sie zur Kritik an dem TTIP-Vertrag.

  • Da bin ich einmal authentisch und sag, was ich denke und dann ist es auch nicht recht?

  • Authentisch vielleicht, aber das klingt nicht gerade nach Respekt und Wertschätzung. Damit zeigen Sie dem ganzen Volk den Stinkefinger – bildlich gesprochen.

  • Wissen Sie was, Herr Psychologe? Ihre CePis können Sie sich sonstwo hinstecken. Sie haben ihn wohl falsch validiert. Mein CPS ist ganz im Gegenteil auf einem Rekordhoch – nämlich dort, wo´s drauf ankommt! Die Herren von Daimler, Monsanto, Goldman Sachs etc. haben mir auf die Schulter geklopft und ins Ohr geflüstert: Bravo! Endlich eine klare Kante! Sie sind unser Mann, weiter so!

  • Herr Gabriel, wir können aber die Meinung der Bevölkerung nicht total missachten. Wir müssen den Menschen wenigstens das Gefühl geben, dass ihre Meinung wichtig ist. Nur dann haben wir freie Hand, die Verträge abzuschließen. Sie wissen ja, die EU-Kommission hat eine Befragung zu TTIP durchgeführt. Und das Ergebnis: 97% sind dagegen!

  • Na und? Die produzieren doch für den Papierkorb. Solche Befragungsergebnisse werde ich nicht mal ignorieren!

  • Herr Gabriel, bitte! Mit Ihrem rabiaten Vorgehen provozieren Sie unnötige Widerstände. Sie müssen die Menschen einladen und nicht verächtlich behandeln. In modernen Postdemokratien ist Empathie, ist Dialog mit dem Bürger angesagt, wenn der Bevölkerung schon keine wirkliche Teilhabe und Mitwirkung zugestanden werden. Sie können einfach nicht außer Acht lassen, dass nicht nur Attac und die Linkspartei, sondern inzwischen auch seriöse bürgerliche Institutionen wie der Städtetag, der Deutsche Kulturrat und ganze Bistümer den Freihandelsverträgen ablehnend gegenüber stehen.

  • Mann, Sie haben keine Ahnung von Politik! All diese feinen Gremien üben Kritik? Ich sage denen: Sehr gut! Ich bedanke mich herzlich für ihr Mitwirken, für die Arbeit des von mir eingesetzten Beirats, für die Bürgerdialoge der Europaunion, für die eminent wichtigen Hinweise und Anregungen! Selbstverständlich werden wir alles genau prüfen. Und dafür sorgen, dass Arbeitsplätze gesichert, Wohlstand für Alle geschaffen, Standards beachtet werden! Etc. pp. Das Übliche eben: Unsere Experten zitieren, Nebelkerzen zünden und ein bisschen Schleim. Das Ziel ist klar: Die Verträge müssen kommen, das erwarten schließlich die Märkte und die Investoren von uns. Wir stehen bei ihnen im Wort!

  • Sicher, das kann mal funktionieren, tut es meist auch. Aber auf die Dauer verlieren Sie Ihre Glaubwürdigkeit und das Vetrauen der Menschen in die Politik.

  • Sie wollen Psychologe sein? Sie verstehen nicht nur von Politik nix, sondern auch nicht von der Seele der Deutschen. Glaubwürdigkeit? Ich habe mir schon zwanzig mal selbst widersprochen! TTIP mal als verfassungswidrig bezeichnet, dann gesagt: Das geht gar nicht anders. Mal für Schiedsgerichte plädiert, dann wieder Ablehnung signalisiert, dem DGB und meiner Partei das, den Abgeordneten jenes versprochen. Na und? Die Massen sind vergesslich und sie wollen sowieso nicht die Wahrheit; sie wollen gezeigt kriegen, wo es lang geht! Deutsche wollen Autorität, die ihnen das Gefühl der Stärke vermittelt. Und genau das gebe ich ihnen.

  • Gewiss, aber wenigstens einige formaldemokratische Regeln müssen wir in der Postdemokratie einhalten.

  • Herr … wie war doch Ihr Name, ich will Ihnen mal was verraten: Zu viel Demokratie überfordert die Menschen. Wirkliche Macht braucht keine demokratische Legitimation. Schauen Sie sich die mächtigsten Institutionen an, die EZB, Google, Goldman Sachs, meinetwegen auch die Troika: Sind die etwa demokratisch legitimiert? Na also.

  • Herr Gabriel, Sie sind ein harter Brocken. Ich muss Sie aber daran erinnern, dass wir den Menschen immer suggeriert haben, dass wir in einer Demokratie leben, im Gegensatz zu anderen Systemen, die nicht an die Marktwirtschaft glauben. Und wir sichern ihnen Freiheit und, na ja, auch ein bisschen Gerechtigkeit zu und preisen die Grund- und die Menschenrechte und sagen: Das ist unsere Demokratie! Das sind unsere Werte! Nach Ihrer Methode denken die Leute allmählich, mit „Wertegemeinschaft“ sind nur noch die Werte der Konzerne und Banken gemeint.

  • Demokratie, jetzt seien Sie nicht kindisch. Die TTIP-Gegner sind es, die die Demokratie gefährden: Sie wollen die Freiheit kappen, die Freiheit des Investors! Wir dagegen schützen die Grundrechte der Investoren auf Freiheit, Gleichheit und Freizügigkeit! Klar, Demokratie ist unser Blockbuster, unser Exportgut. Aber Vorsicht: Demokratie verzerrt den Markt und den Wettbewerb. Der Markt muss verwerten können und Profit schaffen, egal ob es sich um Hähnchen, Wasser, Bücher oder Flüchtlinge handelt. Entscheidend ist der globale Markt und unsere Hegemonie, auch im Vergleich mit China. Da bin ich mit Frau Merkel vollkommen einig.

  • Aber Herr Gabriel, das klingt tatsächlich nach Wirtschafts-Nato! Sie rufen „ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Märkte“! Als Psychologe muss ich Ihnen sagen: Die Menschen haben das Gefühl, dass überall nur noch Markt und Standortwettbewerb herrschen und dass sie, die Menschen, nur noch als verwertbare Masse und als Konsument behandelt werden. Sie sollten die Menschen …

  • Wir können uns nicht um alles kümmern. Aber keine Angst: Ich habe die Menschen genau im Blick. Trotzdem: Wir reden zu viel über Gefühle und Demokratie, aber wir reden zu wenig über Geopolitik. Nur Starke werden überleben! Weg mit den Nischenmärkten, auf in den Preiskampf! Schulen, Theater, Kliniken, Stadtwerke – alle müssen sich der Konkurrenz stellen genauso wie Bäcker und Metzger! Demokratie schön und gut, aber wir können doch essentielle Entscheidungen nicht der Straße, nicht volatilen Stimmungen überlassen!

  • Herr Gabriel, muss ich Sie daran erinnern, dass die kommunale Selbstverwaltung Verfassungsrang hat? Und die Daseinsvorsorge garantiert sein muss?

  • Kommunale Selbstverwaltung? Können Sie in der Pfeife rauchen. Damit die Gemeinderäte ihre Prestigeprojekte weiterhin subventioniert kriegen? Wenn wir die Regulatorische Kooperation durchkriegen, und das werden wir, dann sind die Parlamentarier ohnehin aus dem Spiel. Investoren brauchen Sicherheit, ein barrierefreies Operationsfeld. Würden Sie Ihr Geld in Projekte stecken, die nicht staatlich garantiert Profit bringen? Sie reden von Daseinsvorsorge? Es sind wir, die die Daseinsvorsorge erfolgreich privatisiert haben und es weiter tun werden. Das macht Deutschland zur globalen Wirtschaftsmacht!

  • Nun, Herr Gabriel, ich fürchte, Sie lassen den menschlichen Faktor außer Acht. Die Menschen sollen die ganze Agenda-Politik schlucken, sie sollen marktkonform sein und Selbstoptimierung betreiben, aber sie haben nichts mehr zu melden. Das führt zu inneren Spannungen … und das führt zu Pegida und Verrohung!

  • Nun, es gibt ein demokratisches Recht auf Rechtssein, das wissen wir als Sozialdemokraten am besten! Jetzt ist es aber genug. Ich muss sofort los zum Essen, ich kann die Herren von der Industrie nicht warten lassen!

Whistleblower: Georg Rammer

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Geschrieben von

grammer

Die alten Ziele Demokratie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Würde sind aktueller denn je - tun wir was dafür.

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