Kriege und andere Verbrechen

Justiz-Geopolitik Die Jahrespressekonferenz von Generalbundesanwalt Peter Frank ermöglicht bemerkenswerte Einblicke in die Arbeit der Bundesanwaltschaft - und gibt zu einigen kritischen Gedanken Anlass

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"Deutschland darf kein sicherer Hafen für Kriegsverbrecher werden!" Mit dieser unmissverständlichen Botschaft verband Generalbundesanwalt Peter Frank die Ankündigung eines Strukturermittlungsverfahrens gegen US- und NATO-Militärs, die Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen haben. Ermittelt werde auch gegen die politisch Verantwortlichen. Die von dem Journalisten Julian Assange bei Wikileaks veröffentlichten Beweismaterialien bildeten eine wichtige Grundlage für rasche konkrete Ergebnisse, sagte der Generalbundesanwalt.

Wieso wissen wir sofort, dass es sich hier um einen Fake handelt? Das beschriebene Vorgehen würde doch genau der Demokratie und den Menschenrechten entsprechen, denen Politik und Justiz zu dienen behaupten. In der Tat gibt es umfangreiches Material, die Ermittlungen nicht nur ermöglichen, sondern zwingend erfordern würden. Die "einzige Weltmacht" bekennt sich öffentlich zu den unzähligen Verbrechen, die sie im Benehmen mit der "westlichen Wertegemeinschaft" begangen hat. Bei seiner Jahrespressekonferenz spricht der Generalbundesanwalt aber nur über mögliche Prozesse gegen russische Soldaten im Ukrainekrieg.

Warum hat die Bundesanwaltschaft keine Strafverfolgung eingeleitet, als die USA auf Lügen basierend den Irak angriffen und hunderttausende Tote und ein zerstörtes Land hinterließen? Hat die Behörde die Aussage der ehemaligen US-Außenministerin Albright nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewertet, fünfhunderttausend tote irakische Kinder durch US-Boykottmaßnahmen seien ein angemessener Preis gewesen? Was tat und tut der Generalbundesanwalt bei systematischer Folter in Guantanamo oder beim Drohnenkrieg mit tausenden toten Zivilisten? Befasst sich die Bundesanwaltschaft mit den ungezählten Verbrechen in Libyen, Syrien, Jemen? Auch Verantwortliche für die über zweihunderttausend zivilen Opfer der Luft-, Drohnen- und Raketenangriffe in Afghanistan sind bekannt. Eine aktuelle Dokumentation der BBC in Großbritannien belegt Dutzende Morde an Zivilisten durch englische und australische Elitesoldaten. Alle Täter kamen straflos davon. Erinnert sei ferner an die saloppe Bemerkung von Gerhard Schröder, er habe als Kanzler im Jugoslawien-Krieg gegen das Völkerrecht verstoßen. „Da haben wir unsere Flugzeuge […] nach Serbien geschickt und die haben zusammen mit der NATO einen souveränen Staat gebombt – ohne dass es einen Sicherheitsratsbeschluss gegeben hätte.“

Aber in allen diesen und ungezählten weiteren Fällen ermittelt die Justiz der westlichen Demokratien nicht gegen die Verbrecher; vielmehr wird der Journalist Assange jahrelang mit lügenhaften Beschuldigungen verfolgt, seiner beruflichen Existenz und seiner persönlichen Freiheit beraubt - und er soll an die staatliche Gewalt ausgeliefert werden, deren Verbrechen er nachgewiesen hatte. Es ist zwar anerkennenswert, wenn wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine ermittelt wird; bedenklich und aufschlussreich ist die Verweigerungshaltung der Justiz in all den anderen bekannten Fällen von Kriegsverbrechen.

Die Bundesanwaltschaft ist nicht blind: Sie arbeitet vielmehr gezielt selektiv nach politischer Opportunität. Sie stellt sich in den Dienst der westlichen Geopolitik und verliert damit ihre Glaubwürdigkeit. Der Generalbundesanwalt ist ein politischer Beamter, damit auch von politischen Vorgaben abhängig. Der derzeitige Amtsinhaber Peter Frank ist nur bedingt persönlich verantwortlich für die Entscheidung. Aber nolens volens setzt er eine unselige Tradition staatlicher Justiz fort: Über Jahrzehnte war die Bundesanwaltschaft nach ihrer Gründung 1950 von NSDAP-Mitgliedern durchsetzt. 1966 waren zehn von elf Bundesanwälten belastet: Sie hatten in hoher Funktion dem Faschismus gedient. Die Süddeutsche Zeitung fasst zusammen: Die Bundesanwaltschaft erfüllte einen "Kampfauftrag der Regierung". Der politische Kampfauftrag habe gelautet: Verfolgung aller Kommunisten. Welchen Auftrag hat die Bundesanwaltschaft jetzt? Gewiss nicht die Verfolgung von Massenmorden und Folterorgien, die sich mit Namen wie Clinton, Bush, Obama und Blair, Wolfowitz, Cheney und Bolton und einer aktuellen Reihe Verteidiger der westlichen Werte verbinden. Und es bleibt zu fordern: Lasst Assange endlich frei. Er gehört nicht verfolgt, sondern geehrt!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

grammer

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