Paranoia.

Eine Geschichte. Was ist die wildeste Fantasie gegen die Realität?

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Georg Rammer

So ging es schon seit vier Wochen: Wenn er von der Arbeit nach Hause kam, war er fertig. Es war keine Müdigkeit wie nach einem Kongress oder einer Bergtour. Er fühlte sich angespannt und bedrückt. Seine Stimmung war düster wie die Gemäuer der Klinik für Forensische Psychiatrie, wo er, Marcus Behr, als PiA arbeitete, als Psychotherapeut in Ausbildung. Noch elf Monate musste er da aushalten, ohne Bezahlung und ohne die Möglichkeit zu selbständiger therapeutischer Tätigkeit, um endlich die Approbation zu bekommen.

Er machte eine Flasche Bier auf und schob eine CD rein. Nie zuvor hatte er abends regelmäßig Alkohol getrunken und auch das Olatunji Concert von John Coltrane ertrug er früher nur ganz selten, die wilde Intensität seines letzten Auftritts. Jetzt aber war er fast süchtig danach. Hing die Veränderung mit dem Bau zusammen, der schon von außen wie die Kulisse für einen Horrorthriller wirkte? Der erst als Kaserne, dann als Irrenanstalt und jetzt eben als Klinik für psychisch kranke Kriminelle diente?

Die Atmosphäre drinnen entsprach durchaus dem äußeren Eindruck. Er wollte lieber gar nicht an all die Menschen denken, die vom Leben und den Psychopharmaka gezeichnet waren, an den Hofgang in Fußfesseln, die Zellen und die nächtlichen Kontrollen. Modern waren nur die Sicherungssysteme: Infrarotkameras, Laser, in die Mauern integrierte Mikrofone, Gitternetze, Kugelkameras, Schließanlagen mit modernster Datensteuerung. Er stellte Coltrane lauter.

Das Gespräch mit dem Chefarzt hatte mitnichten seine Stimmung gehoben. Er hatte die therapeutischen Möglichkeiten in der Arbeit ausloten wollen und den Chef um eine fachliche Unterredung gebeten. Besonders ein Patient – oder Häftling? – interessierte ihn, der dem Anschein nach wichtige Voraussetzungen für eine erfolgreiche Behandlung mitzubringen schien: Intelligenz, Kommunikationsfähigkeit – und irgendwas, was ihn wach und lebendig hielt.

Doch Dr. Maas war gar nicht begeistert von seinen therapeutischen Ambitionen: „Wieso ausgerechnet den Götze? Sie werden sicher wissen, dass ein paranoides Wahnsystem keine gute Prognose hat.“ Behr wagte einzuwenden, dass der Patient Götze derzeit in einer recht klaren, orientierten Verfassung zu sein schien. „Ja, dem äußeren Anschein nach“, winkte der Chef abfällig. „Werter Kollege, Sie sollten Ihre Kraft auf Fälle konzentrieren, bei denen eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft im Bereich des Möglichen liegt. Bei Götze ist das eindeutig nicht der Fall.“ Damit war Behr entlassen.

Immerhin hatte der Chefarzt damit Behrs Widerspenstigkeit geweckt. In der Mittagspause ging er in die Registratur. Er war sich nicht schlüssig, ob er damit seine Kompetenzen überschritt; die Suche nach der Akte Götze glich damit einer Geheimaktion und einer Insubordination. Er besänftigte sein schlechtes Gewissen, indem er sich sagte: Ich will ja nur im Interesse des Patienten die therapeutische Indikation klären. Das ist schließlich meine Aufgabe.

Brachte die Akte Klarheit? Bernd Götze war als Jurist und Ministerialbeamter psychiatrisch nie auffällig gewesen. In der Anamnese fand sich keine Depression, keine Sucht, geschweige denn psychotische Auffälligkeiten. Die Symptome, die zu seiner Erkrankung führten, begannen nach dem Tode seiner Frau. Er hatte sich einer losen Gruppierung mit dem Namen Business Crime Control BCC angeschlossen. Staatliche Maßnahmen wurden als neoliberal bezeichnet, sie schadeten der Bevölkerung und man schrecke auch nicht davor zurück, zur Sicherung der Macht nach Innen aufzurüsten. Staatliche Dienste wurden auf ihn aufmerksam, als er Blogs verfasst und mit seinem Klarnamen unterzeichnet hatte. Sie hatten den Charakter von Aufrufen an die Bevölkerung, Götze wollte aufrütteln: „Neoliberale Umerziehung der Bürger oder Abschaffung der Demokratie – das ist die Wahl, die uns aufgezwungen werden soll. Es droht die Abschaffung der Demokratie nach dem chilenischen Vorbild der 1970er Jahre!“ Der Staatsschutz verhaftete Götze, als er drohte, eine Bombe hochgehen zu lassen.

Allerdings hatten wiederholte Kontrollen und Durchsuchungen keinerlei Spuren von Sprengstoff nachgewiesen. „Mein Sprengstoff ist mein Insiderwissen, sind meine Texte“, gab Götze an. In einem Text waren Sätze rot angestrichen: „2700 Soldaten fürs aufsässige Volk, Reservisten der Bundeswehr zur militärischen Aufstandsbekämpfung im Rahmen des Heimatschutzes. Nach einer Generalklausel der Europäischen Union könnte der Amtshilfe-Einsatz auch beim politischen Generalstreik, gewaltsamen Massenprotesten, sozialen Unruhen sowie Aktionen des zivilen Ungehorsam möglich sein.“ Und handschriftlich hatte er angefügt: „Die Krise dient den vorherrschenden Kräften als Vorwand zum Ausbau und zur Sicherung ihrer eigenen Vorteilsposition.“ Hm. Für einen deutschen Ministerialbeamten ganz schön gewagt. Klingt etwas nach Verschwörungstheorie, dachte Behr.

Das psychiatrische Gutachten basierte auf Unterlagen des Staatsschutzes. Nirgendwo konnte Behr Hinweise auf eine persönliche Untersuchung Götzes entdecken. So hatte ihn also das Gericht vor fünf Jahren in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Fünf Jahre Leben.

Er hatte die Mittagspause bereits überzogen. Rasch schob er die Akte wieder ins Regal. Die Station nahm ihn sofort gefangen.

Jetzt, da er beim Bier seine Anspannung loszuwerden suchte, war das Grübeln über den totalen Mangel an Voraussetzungen therapeutischer Interventionen in der Klinik auch nicht fruchtbar. Eva, seine Lebensgefährtin, kam herein und fragte, ob sie John Coltrane bitte könnte, etwas leiser zu spielen. Das war für Marcus das Zeichen, laut weiterzugrübeln. Er erzählte vom Tag, vom Gespräch mit dem Chef und der Akte des Patienten G. Ein bisschen auch von seinen Gefühlen; aber die waren ohnehin deutlich auf seinem Gesicht, in seiner Stimme und seinen fahrigen Bewegungen. Eva umarmte ihn von hinten und flüsterte ihm ins Ohr: „Lass dich nicht von den Klinikgespenstern erschrecken, Lieber. Bleib bei dir und tu, was du für richtig hältst. Und: Ich bin bei dir.“

Am nächsten Tag bat Behr Dr. Maas noch einmal um ein Gespräch. Erst am Spätnachmittag kam es zur Unterredung. Der Chef saß hinter dem Schreibtisch, vor ihm die Akte Götze. Kaum hatte sich Behr auf eine Geste hin auf der anderen Seite des Schreibtisches gesetzt, begann der Arzt in scharfem Ton: „Herr Kollege. Die Approbation ist an bestimmte fachliche Voraussetzungen gebunden. Ich habe dafür zu sorgen, dass diese fachlichen Kriterien eingehalten werden. Ich trage die Verantwortung dafür, dass Sie unseren Patienten keinen Schaden zufügen.“ Behr atmete tief durch. „Das betrachte ich natürlich auch als meine Verantwortung, Herr Doktor Maas. Bei Herrn Götze sind aber meines Erachtens gute Voraussetzungen…“ „Verehrter Kollege“, unterbrach Dr. Maas, „ich empfehle Ihnen einen Blick in das Diagnostische System des ICD 10. Unter dem Stichwort Paranoia werden Sie schnell eines Schlechteren belehrt.“ „Auf welche Befunde stützt sich eigentlich die Diagnose?“ Seine Worte kamen etwas gepresst, wie Behr selbst merkte.

Der Chefarzt schlug die Akte auf: „Hier ist ein fachärztliches Gutachten von Dr. Clay. Und die richterliche Anordnung der Zwangsunterbringung in der Forensik fasst einige deutliche Symptome zusammen.“ Er blätterte in der Akte und las: „In einem Blog behauptete G., ich zitiere, staatliche Institute forschen zu den Auswirkungen ökonomischer Ungleichgewichte auf die Sicherheit in den Ländern Europas. Untersucht wird etwa, welche Gefahren für den sozialen Frieden sich ergeben, wenn sich die EU in Defizit- und Überschussländer aufspalte. Zitat Ende. Und in einem Leserbrief schrieb er, die EU strebe militärische Absperrmaßnahmen zwischen arm und reich an. Ich zitiere: Es geht darum, die Reichen von den Spannungen und Problemen der Armen abzuschirmen. Zitat Ende. Paul Götze muss insofern als Wiederholungstäter bezeichnet werden, der darauf bedacht ist, die Öffentlichkeit in sein Wahnsystem einzubinden. Dadurch stellt er eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar; das Wahnhafte seines Denkens lässt befürchten, dass er vor aggressiven Akten nicht zurückschreckt.“

Behr saß bewegungslos. Er blickte auf: „Und welche therapeutischen Maßnahmen wurden bisher durchgeführt, wenn ich fragen darf?“ „Her Behr, der Patient hat keine Krankheitseinsicht. In der akuten paranoiden Episode haben wir jeweils die Dosis der Medikation erhöht. Das hat allerdings immer nur kurze Zeit Wirkung gezeigt. Das paranoide Wahnsystem des Götze hat eine bemerkenswerte Stabilität. Von ihm geht eine Gefahr aus. Und jetzt lassen Sie mich bitte wieder arbeiten.“

Weder Bier noch John Coltrane konnten verhindern, dass Marcus Behr eine unruhige Nacht verbrachte. Einerseits verletzte ihn die Arroganz seines Ausbilders. Andererseits war er keineswegs überzeugt: Er schätzte das Gedankensystem von Götze, wie es in seinen Texten zum Ausdruck kam, auch als paranoid ein. Aber gemeingefährlich? Er schlief endlich ein, als er sich entschloss, den Anweisungen des Chefs zuwiderzuhandeln und Götze in seiner Zelle aufzusuchen.

Doch es kam anders. Bereits am Eingang empfing ihn eine Pflegerin, die nebenbei auch die Bibliothek verwaltete. Ganz aufgelöst erzählte sie Behr, dass sie Herrn Götz erlaubt habe, die Bibliothek kurz aufzusuchen. Er sei doch immerhin ein kluger, studierter Mensch. Während sie mit der telefonischen Bestellung kriminologischer Zeitschriften beschäftigt gewesen sei, habe er den PC benutzt und über Facebook einen Text abgesetzt. Wegen der befürchteten Wutreaktion des Leiters war sie in furchtbarer Angst – und diese folgte in der Tat.

Götze wurde in Handschellen vorgeführt. Dr. Maas sprach zu ihm in einem Tonfall, der mehr Genugtuung als Groll ausdrückte. Ja, er schien zu lächeln: „Herr Götze, Sie haben erneut den Beweis erbracht, dass Sie Ihr wahnhaftes System nicht überwinden können und wollen. Aber nicht genug damit: Sie wollen damit auch noch die Welt unglücklich machen. Ich sehe mich gezwungen, Ihnen eine absolute Kontaktsperre aufzuerlegen: keine Informationen von außen, keine Zeitungen, keine Nachrichten. Und natürlich werden wir dafür sorgen müssen, dass Sie mit Ihren … Wahnideen nicht nach außen dringen können.“ Er nickte zur Bestätigung und rauschte aus dem Raum.

Götze zitterte – ob vor Erregung oder als Folge der Psychopharmaka, war nicht ersichtlich. Er starrte Behr zwanzig Sekunden an, dann griff er in seine Tasche und gab ihm einen klein zusammengefalteten Zettel: „Ich möchte Sie bitten, das aufmerksam zu lesen. Hier steht die Information, die ich an die Öffentlichkeit bringen wollte.“ Seine Sprache war undeutlich. Er wartete wortlos, bis er vom Pfleger hinausgeführt wurde.

Behr nahm die Akte, die noch auf dem Tisch lag und steckte sie in seinen Rucksack. Den Zettel steckte er dazu. Es war noch nicht Zeit, aber er wollte nur noch heim. Er nahm sein Fahrrad und fuhr los. Zu Hause angekommen wusste er nicht mehr, wie er den Weg geschafft hatte. Er zog sich zurück, legte die Akte vor sich und überflog den Zettel, den Götze ihm in die Hand gedrückt – oder anvertraut? - hatte. Eigentlich gehörte der jetzt auch in die Akte.

Schon die Überschrift war … paranoid? „Deutschland und EU auf dem Weg zu Militärdiktatur und Bürgerkrieg?“ Und es ging in dem Stil weiter: „Wir wandeln uns von einem Rechtsstaat in einen Überwachungsstaat … durch einen Apparat der Militarisierung im Innern … Stasi abgeschafft, aber es entsteht Schlimmeres … Staatsgewalten spielen verrückt … Verfassungsbruch des Staates … Allmacht der Exekutive:“ Und er schloss mit dem Satz: „Die Politik verliert die Legitimation und es herrscht das Recht des Stärkeren.“

Behr breitete alle Unterlagen von Götze vor sich aus. Dr. Maas hatte recht: Es ergab sich, wenn man alles im Zusammenhang betrachtete, das Gesamtbild eines paranoiden Wahnsystems: In Götzes Kopf bereiteten irgendwelche herrschende Eliten quasi den Krieg gegen die Bevölkerung vor. Sie schreckten wie in einem Polit-Thriller aus einer Trash-Produktion vor keinem Gewaltakt zurück, total an der Demokratie vorbei. Und fast erschrocken stellte Behr in den krankhaften Phantasien seines Patienten eine aggressive, gewalttätige Tendenz fest.

Kürzlich nämlich hatte eine Zellendurchsuchung bei Götze Notizen mit erschreckendem Inhalt zu Tage gefördert. Da war von einer Schallkanone LRAD die Rede, von „repulsive effect on general public crowds“ – wie konnte sich ein krankes Hirn nur sowas ausdenken? Er hatte in den Notizen von Aufstandsbekämpfungswaffe FN 303 phantasiert, von counter-personnel high power electro magnetic: Alles gegen Menschen gerichtet. Krank und gefährlich. „Inhibition of motor reactions by distracting stimuli“, Blend- und Schockgranaten M84 gegen Demonstranten! Und dann waren da noch Institutionen hingekritzelt, Fraunhofer etwa und Bundeswehr-Uni und immer wieder die NATO. Waren das wirre Anschlagspläne?

Er hatte Eva nicht hereinkommen hören. Als sie ihn von hinten umarmte, zuckte er zusammen. „Machst du heute wieder Überstunden? Ich werde mich bei deiner Gewerkschaft beschweren, dass sie das zulässt.“ Ihm war nicht zum Scherzen zumute. „Ich bin gleich fertig. Allmählich hat mich Maas überzeugt. Es hat keinen Sinn, gegen sein Wahnsystem therapeutisch anzugehen.“ Er schaute nochmal die Unterlagen an: „Das Einzige, was mich noch irritiert, ist die Frage: Wie verschafft sich seine Paranoia Nahrung und wieso sind seine Blogs jedes Mal in einem anderen Stil verfasst?“ „Darf ich mal sehen?“ Ihre Kompetenz als Deutschlehrerin war gefragt. Er sah keinen Grund, ihr die Dokumente, die schriftlichen Produkte eines kranken Hirns vorzuenthalten: Sie waren ohnehin als Blog öffentlich. Und während sie mit den Papieren verschwand, holte er sich ein Bier. Aber endlich war nicht mehr das Olatunji Concert nötig; heute entspannte er sich bei „Le pas du chat noir“ mit Anouar Brahem. Es tat ihm gut, das Thema Götze mit seiner Paranoia abschließen zu können. Es hatte ihn lange genug beunruhigt. Er hatte jetzt Klarheit und damit seine Ruhe wiedergefunden. Er nahm sich vor, das seinem Chef mitzuteilen, quasi als Abbitte.

Er war eingenickt, als Eva ihre Hand auf seinen Arm legte. Er schaute zu ihr hoch. Ihr Gesicht war sehr ernst, sehr nachdenklich. „Hey, liebe, was ist denn los? Hat dich das Götze-System auch in den Klauen?“ Aber anscheinend war ihr nicht nach Flaxerei: „Du, was ist, wenn dein Patient nicht paranoid ist?“ „Was, wie meinst du …“ „Wenn die ganzen Wahngedanken gar keine sind?“ „Ich verstehe nicht, was du sagen willst.“ Das Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden. Er war jetzt echt beunruhigt. Sie setzte sich neben den Sessel auf den Boden.

Sie holte tief Luft: „Also. Ich habe mal alle Blogs und Notizen mit einem Text-Analyse-Programm durchgecheckt. Dein Patient hat das alles gar nicht erfunden. Für alle seine Texte habe ich Quellen gefunden. Weshalb er das nicht kenntlich gemacht hat, kannst du vielleicht besser erklären.“ Marcus Behr hatte plötzlich ein Schwindelgefühl und sein Tinnitus meldete sich. Er musste sich erst mal auf sich selbst konzentrieren.

Sie zog ein Blatt nach dem andere aus dem kleinen Stoß in ihrer Hand: „Dieser Blog, der mit Heimatschutz und so, der ist wörtlich aus einem Bericht der taz.de vom 10.8.12 entnommen. Dann hab ich hier einen interessanten Artikel von Jutta Weber, einer Technikphilosophin und Professorin für Medienwissenschaft, der in der Wochenzeitung Der Freitag erschienen war. Sie hatte die militärischen Vorbereitungen der EU zur Abschirmung der Reichen von den Armen aufgedeckt. Und diese Notizen zu Militarisierung und Bürgerkrieg, du erinnerst dich sicher, der stammt von einem Peter-Alexis Albrecht. Er ist Jurist und Kriminologe. Was er gesagt hat, das kannst du als Interview auf Youtube anschauen. Tja, und das dickste Ei: Dieses verrückte Zeug mit Aufstandsbekämpfung und Schallkanonen und Flah-Bang-Effects ist gar nicht dem kranken Hirn deines Paranoikers entsprungen. Es ist einfach das Programm von einem Kongress, den die Fraunhofer-Gesellschaft neulich in Ettlingen durchgeführt hat. Thema war übrigens: Nicht-letale Waffen.“

Marcus Behr starrte vor sich hin. Nur mit Mühe konnte Eva ihn dazu bewegen, mit ihr ins Bett zu gehen.

Als er am nächsten Tag mit einer Stunde Verspätung in die Klinik kam, wurde ihm gleich eine Nachricht ausgehändigt: Sofort zum Direktor. Dieser empfing ihn kühl, schaute ihn durchdringend an: „Herr Behr, wir müssen uns von Ihnen trennen. Sie haben Ihre Kompetenzen bei Weitem überzogen. Bei der Auswertung der Überwachungskameras mussten wir darüber hinaus feststellen, dass Sie von einem Patienten etwas angenommen und eingesteckt haben. Das ist, wie Sie wissen, verboten und Sie zeigen, dass Sie den geordneten Betrieb hier erheblich zu stören beabsichtigen. Ab sofort sind Sie kein Mitarbeiter unserer Klinik. Das wird natürlich auch Auswirkungen auf Ihre Approbation haben. Sie müssen einsehen: Sicherheit hat absoluten Vorrang.“ Behr ging.

Mühsam suchte er, seine chaotischen Gedanken zu ordnen. „Absoluter Vorrang der Sicherheit“ – wessen? Wieso ist Götze eigentlich nie untersucht und nur auf Grund der Ermittlungen des Staatsschutzes weggeschlossen worden? Ist eigentlich in der Klinik nie aufgefallen, dass er ein intelligenter, sensibler Mensch ist? Ein Mensch, der wegen einiger Anschuldigungen gegen die Politik fünf Jahre weggesperrt und isoliert wird; wem wurde er gefährlich? Sicher wusste er nur, dass Götze keine Psychotherapie brauchte. Er brauchte etwas anderes.

Als er nach Hause kam, wurde Eva gerade verhört. Die Männer hatten sich als Beamte des Staatsschutzes ausgewiesen. Eva hatte sich verdächtig gemacht, als sie die Themen des Kongresses „Nicht-letale Waffen“ im Internet eingegeben hatte.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

grammer

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