Versagen auf der ganzen Linie

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Bankräuber wollen den Tresor einer systemrelevanten Großbank ausplündern. Sie schaffen es, ihn zu knacken und verschwinden unerkannt mit reicher Beute. Haben sie versagt – oder einen genialen Coup gelandet? Klarer Fall: Versagen tun die Ganoven, die die Tür nicht aufgebrochen kriegen, Alarm auslösen und am Ausgang von der Polizei in Empfang genommen werden. Merke: Es „versagt“ nicht der erfolgreiche Übeltäter, sondern derjenige, der sich blöd anstellt; nach seinem Misserfolg wird er dann zu Recht abgestraft.


Wieso wird dann aber der Bundesregierung insgesamt und Frau Merkel im Besonderen ständig „Versagen“ vorgeworfen? Ob Bankenkrise oder Afghanistankrieg, Klimaschutz oder wachsende Kluft zwischen den Klassen, Bekämpfung der Nazis oder Einsatz für mehr Demokratie: Überall habe die Regierung und/oder die Kanzlerin versagt. Die Liste der Versagens-Kritiker wächst von Tag zu Tag: Steinbrück und Steinmeier, Roth und Özdemir, DGB, ver.di und die Piraten, all die wackeren Oppositionellen schwingen die Keule des „Versagens“. Gabriel konstatiert gar „ein Versagen auf der ganzen Linie“. Sogar Karl-Theodor zu Guttenberg hat ein Versagen bei der Bekämpfung der Krise beobachtet!


Es wird höchste Zeit, die Bundesregierung und besonders Frau Merkel gegen diese Anwürfe in Schutz zu nehmen. Sehr geehrte Damen und Herren der Opposition, die Regierung versagt nicht, sie handelt vielmehr höchst professionell, effektiv, ja geradezu genial! Sie selber sind diejenigen, die mit ihren unqualifizierten Versagens-Vorwürfen versagen! Meine Damen und Herren, haben Sie Silvio Berlusconi etwa Versagen bei der Stärkung des Rechtsstaates vorgeworfen oder George W. Bush bei der weltweiten Durchsetzung der Menschenrechte? Na also!


Wahrscheinlich haben all diese an sich ehrenwerten Menschen der Opposition die Bundesregierung und Frau Merkel nie gefragt, was sie eigentlich für Ziele verfolgen. Oder sie wollen es gar nicht wissen. Sonst würden sie nämlich nicht so laut „Versagen!“ schreien, sondern würden ganz andere Bewertungen dafür finden, was gegenwärtig alles in der Politik gemacht wird.


Schauen Sie doch mal: Wenn Gerhard Schröder und Joschka Fischer einst angetreten sind, den Standort Deutschland weltweit wettbewerbsfähig zu machen und dafür die ganze Palette der Agenda-Gesetze mit Macht durchgedrückt haben, zusammen mit den Parteien, die jetzt regieren – wieso soll dann die gegenwärtige Regierung ausgerechnet jetzt versagen, wo sie doch dabei ist, all diese Regeln europaweit durchzudrücken? Wieso versagt sie in Afghanistan, wenn sie genau das exekutiert, was NATO und Schröder/Fischer/Scharping unbedingt wollten – Grundgesetz hin oder her? Der einzige, der hier versagt hat, ist Horst Köhler, der ungeschickt genug war zuzugeben, dass die weltweiten präventiven Einsätze nun mal unvermeidlich sind zur Durchsetzung unserer Wirtschaftsinteressen. Für sein Versagen musste er dann ganz schnell die Konsequenzen ziehen.


Natürlich sagen sie alle „Wir haben über unsere Verhältnisse gelebt“ und „Alle müssen Opfer bringen!“ Aber das nimmt doch seit Rot-Grün niemand mehr ernst, das gehört zum Werbeblock. Aber haben Sie jemals von der gegenwärtigen Regierung und ihren Parteien gehört, sie würden soziale Gerechtigkeit durch Vermögens- und höhere Erbschaftssteuer anstreben? Haben diese jemals verkündet, sie würden Großbanken entmachten, Finanzmärkte strikt regulieren? Die Kumpanei der Elite von Wirtschaft und Politik beenden und das Parlament stärken? Die Agenda-Politik mit Niedriglöhnen, Leiharbeit und Minijobs endlich auf den Müllplatz der Geschichte kippen und damit die Armut an ihren Wurzeln ausrotten? Die Bundeswehr auf ihre grundgesetzlichen Aufgaben beschränken? Das augenzwinkernde Geplänkel der Geheimdienste mit den Rechten liquidieren? Die einzige Partei, die gegen die Agenda- und die Militarisierung der Außenpolitik war, nicht mehr bespitzeln lassen? Das geneigte Publikum nickt zustimmend: Sie hatten all dies nie vor und alle konnten es wissen. Wo ist das Problem?


Es istvielmehr absolut bewundernswert: Statt über weltweite Kriegseinsätze zu streiten, wird über die bedauernswerte Schließung von Militärstandorten geklagt. Statt die Zocker in den Banken und ihre Helfershelfer in Politik, Medien und „Wissenschaft“ zur Rechenschaft zu ziehen, werden sie zu Ministerpräsidenten und Chefs der Europäischen Zentralbank gemacht. BILD ist geadelt als Vorkämpferin der Pressefreiheit! Eine überwältigende Mehrheit der Bevölkerung hält die Verhältnisse in Deutschland für ungerecht, Wahlen für eine Farce und würden keinem Politiker irgendwas abkaufen – und die Schlussfolgerung? Merkel ist höchst beliebt, Karl-Theodor zu G. sollte Präsident werden und die Griechen gehören abgestraft. So viel zur Effektivität der Versagens-Vorwürfe.


Mein Gott, lasst sie doch in Ruhe mit den blöden hilflosen Versagens-Vorwürfen. Merkel, Rösler, Bangemann, Schröder etc. lachen sich doch ins Fäustchen: Diese Kritik perlt an ihnen ab wie das Spülwasser an der Teflonpfanne! Sie wissen, dass sie unheimlich effektiv gearbeitet haben und dabei sind, ihre Ziele mit aller Konsequenz umzusetzen. Danke Deutschland! Und wenn sie doch mal kurz stolpern, weil unvorhergesehene Zwischenfälle wie Fukushima oder plötzlich und unerwartet aufgedeckte „Döner-Morde“ passieren – kein Problem, da wird mal kurz gegengesteuert und brutalstmöglich aufgeklärt. Aber die Krise! Welche Krise? Hat etwa auch nur einer von denen, die vorher schon viel hatten an Vermögen und Macht, davon etwas abgeben müssen? Na also!


Wenn ihr aber eigentlich meint, dass es ein politisches Verbrechen ist, die Agenda-Politik europaweit durchzusetzen, dass die „marktkonforme Demokratie“ gar keine ist und der weltweite Siegeszug des neoliberalen Kapitalismus mit seinen verheerenden Folgen für die Menschen in die Barbarei führt und gestoppt werden muss – dann sagt das doch endlich laut und deutlich. Und tut was!


Georg Rammer

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Geschrieben von

grammer

Die alten Ziele Demokratie, Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Würde sind aktueller denn je - tun wir was dafür.

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