Politisch, aber kein Politiker

Erinnerung Gregor Gysi über Heinrich Senfft, der beides war: sein Anwalt und ein guter Freund
Ausgabe 04/2017

Heinrich Senfft lebt nicht mehr. Er war eine seltene und sehr notwendige Persönlichkeit im Nachkriegsdeutschland. Geprägt wurde er durch die mangelnde Aufarbeitung der NS-Geschichte in den 50er und 60er Jahren in der alten Bundesrepublik. Er war also politisch, wollte aber kein Politiker werden. Er entschied sich für das Jurastudium und wurde zu einem sehr guten und hochspezialisierten Rechtsanwalt im Medienrecht. Er vertrat sowohl Verlage als auch „Objekte“ der Medien. Hervorzuheben ist seine Anwaltstätigkeit für den Stern und Die Zeit. Beide sahen damals noch anders aus als heute. Grandios war sein Erfolg gegen den Ministerpräsidenten Hans Filbinger. Dieser hatte als Kriegsstaatsanwalt sogar noch die Todesstrafe gegen einen deutschen Soldaten beantragt, der sich bereits in britischer Kriegsgefangenschaft befand. Bis zum Bundesgerichtshof setzte er durch, dass Die Zeit Filbinger als „furchtbaren Juristen“ – ein Zitat von Rolf Hochhuth – bezeichnen durfte. Das war ein beachtlicher juristischer, politischer und kultureller Erfolg. Filbinger trat zurück.

Ebenso erfolgreich vertrat er Günter Wallraff, der inkognito bei der Bild gearbeitet und haarsträubende Methoden veröffentlicht hatte. Die Bild bekam nichts unterbunden. Eine Mandantin von ihm war Romy Schneider. Sie war eine außergewöhnliche, aber auch sehr traurige Frau. Bekanntheit, Berühmtheit bedeuten keinesfalls immer Glück. Er hat sie nicht nur juristisch vertreten, sondern begleitet, begleitet bis an ihr Lebensende. Das Schicksal dieser Frau ging ihm sehr nahe.

Kurz vor der ersten freien Wahl zur Volkskammer der DDR am 18. März 1990 zierte ich die Titelseite der Bild. Berichtet wurde über eine Geheimrede von mir, in der ich angeblich die Sprengung der Banken, der Erfassungsstelle für SED-Unrecht und anderer Einrichtungen in der BRD mitgeteilt hatte. Ich war erstaunt, in welchem Umfang man lügen kann. Heute würde das niemand mehr schreiben, weil es in Bezug auf mich auch keiner glaubte. Damals war das anders. Ich unternahm aber nichts und weiß nicht, ob es das Wahlergebnis beeinflusst hat. Plötzlich aber rief mich Heiner (Heinrich) Senfft an, den ich nicht kannte, und fragte mich, ob ich mir das alles bieten lassen wolle. Er wusste sofort, dass es sich um eine Lüge handelte. Erfolgreich klagte er für mich auf Widerruf. Bild musste sich auf Seite eins bei mir entschuldigen. Nun hatte ich das Presserecht entdeckt und er vertrat mich hervorragend in einer Vielzahl von Prozessen. Der Rechtsstaat hat eben zweifellos einen Sinn, auch wenn es Journalisten gab und gibt, die in Bezug auf mich den Rechtsstaat nicht akzeptieren.

Er vertrat auch Stefan Heym, Markus Wolf und andere, weil er die arrogante Art bestimmter Leute, über Personen aus der Zeit der DDR zu urteilen, zutiefst ablehnte. Auch hier verteidigte er den Rechtsstaat. Das Verhältnis von Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten ist und bleibt kompliziert. Wenn einer auf diesem Gebiet Bescheid wusste und zusätzlich einen sicheren Instinkt besaß – dann Heiner Senfft.

Er war nicht nur mein Anwalt, sondern auch ein Freund von mir und meiner Familie. Das Besondere an ihm war, dass er häufig keine rein juristische Vertretung übernahm, sondern den Mandanten als Menschen kennenlernen wollte. So können auch Freundschaften entstehen. Außerdem mochte ich seinen Humor, seine Ironie, seine Selbstironie. Bei wem findet man das schon? Der frühe Tod seiner zweiten Frau hat ihn unglücklich, traurig gemacht. Wie hilft man in einer solchen Situation?, fragte auch ich mich. Mir ist keine gute Antwort eingefallen.

Er war so bedeutend, er ist nun weg, und das tut weh.

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